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Jesper Munk, ärgere dich nicht

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Ein Gespräch über Rückschläge, bei einer Partie Mensch, ärgere Dich nicht. Sonderregel: Schmeißt der Reporter eine Figur des Interviewten, darf er eine unangenehme Frage stellen. Umgekehrt darf der schamlos bewerben, was er will, wenn er es schafft, eine Figur des Reporters zu schmeißen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Jesper Munk läuft mit schwarzem Tanktop, schwarzer Jeans, einem schweren Silberarmreif und einem dicken Totenkopfring ein. Wenn man nicht Keith Richards ist, wirkt man damit leicht wie in Piratenverkleidung. Er nicht. Er kann das sehr glaubwürdig tragen. Wie er überhaupt viel kann, was man einem 23-Jährigen eigentlich nicht abnimmt: Blues-Rock spielen zum Beispiel und dabei als großer Schmerzensmann weltgewandt leiden. Der weiß bestimmt was übers Scheitern. Schnell los also! Mit der ersten Sechs beim zweiten Wurf.

Womit bist du zuletzt richtig gescheitert?
(überlegt lang) Puh, bei mir läuft es grad extrem gut. Ein kleineres Scheitern habe ich neulich beim Check-in am Flughafen erlebt. Unser Drummer durfte nicht mit in den Flieger. Also habe ich allen Charme zusammengekratzt, um das total g’schaftelhubermäßig zu regeln.

Und?
Hat die Frau am Schalter auch nicht ein kleines bisschen interessiert.

Das ist echt alles, was du an Rückschlägen zu bieten hast? Ziemlich fatal für einen Bluesmusiker.
Natürlich ist das nicht alles. Aber über das echte Zeug rede ich nicht gerne öffentlich.

Aber eine Idee davon könntest du doch geben.
Na, ganz natürliche Sachen eben: gescheiterte Beziehungen. Tod. Themen, die vielleicht doch nicht ganz zu einem Brettspiel passen.

Das ist natürlich falsch. Jedes Thema passt zu einem Brettspiel. Leider schlägt er jetzt schon die erste Figur des Spiels. Sehr nebenbei. Und überlegt dann lang, was er bewerben kann. Sehr lang. Dann bewirbt er:

Ah, vielleicht die Tour! Wir sind in Triobesetzung unterwegs von Ende Oktober bis Mitte November.

Erkennst du ein Muster, wie du mit Rückschlägen umgehst?
Das kommt sehr auf den Rückschlag an. Ich bin ein relativ verkopfter Mensch. Wenn vor dem Rückschlag also eine Entscheidung stand, die ich zu lange zerdacht habe, dann hängt mir das manchmal ziemlich nach.

Warum?
Weil es sich so anfühlt, als hätte ich mich beim Grübeln von mir entfernt. Bei einer unterbewussten Entscheidung kann ich mir viel eher sagen, dass sie wenigstens aus meinem Kern kam.

Dein Ziel wäre also: mehr Bauch?
Ja. Auch wenn man dadurch manchmal wohl etwas weird rüberkommt, weil der Prozess weniger rational erscheint. Ich finde es wichtig, Entscheidungen mehr in der Gegenwart zu treffen. Zu viele Entscheidungen kommen aus der Vergangenheit. Weißt du, was ich meine?

Nicht ganz.
Wir analysieren die Vergangenheit ja deshalb oft so sehr, weil wir denken, damit die Zukunft vorhersehen zu können. Und das ist fast immer Unsinn. Die Gegenwart ist doch der viel realistischere Ort für eine Entscheidung.

Schon klar, was man jetzt denken will: Ein 23-Jähriger erklärt der Welt, wie man Entscheidungen treffen sollte – wie anmaßend. Aber Jesper Munk kann nicht nur sehr glaubwürdig schwarze Tanktopstragen, er kann solche Sätze auch so sagen, dass sie gleichzeitig überzeugend und trotzdem noch suchend klingen. Nach einer Antwort, in der die Frage mitschwingt.

Wie hältst du den Kopf aus der Musik raus?
Das finde ich überhaupt nicht schwierig. Songs zu schreiben ist pures Bauchgefühl. Wenn ich merke, dass ich gerade gesagt habe, was ich sagen wollte, dann muss die Reflexion auch genau an diesem Punkt aufhören. Zumindest von mir kann danach schließlich nichts mehr kommen. Es ist raus aus meinem Kopf.

Ist das auch dein Antrieb beim Songwriting – etwas aus dem Kopf bekommen, damit es dich nicht mehr umtreibt?
Ja. Ich habe das tatsächlich erst vor Kurzem gecheckt: Ich kann ganz schlecht mit mir selbst Probleme ausmachen. Ich muss Dinge aussprechen, um durchs Reden meine Gedanken zu organisieren. Und aufschreiben hilft eben auch.

Schluss mit der Gemütlichkeit. Ich schlage eine seiner Figuren. Und habe eine Frage dabei, die vielleicht ein bisschen boulevard-saftig ist. Aber geht auch mal:

Warum hast du „Guilty“ gecovert, einen Randy-Newman-Song über einen Typen, der vor Schnaps und Selbstmitleid triefend mitten in der Nacht bei seiner Freundin aufschlägt?
(überlegt) Hm, schon weil ich einen Bezug dazu habe. Ich hab oft auf eine ähnliche Art in Beziehungen gefailt. Auch wegen Besoffenseins.

Du bist also ein Dirty Stayout?
Mein Gott, was heißt Dirty Stayout?! Ich versumpfe schon gerne mal in Bars und komme erst in der Früh heim. Aber ich bin halt auch in einem Alter, in dem man das noch machen sollte. Später muss man zu krass dafür bezahlen.

Eines deiner Ziele als Musiker ist, nachhaltig zu wachsen. Wie geht das?
Um ehrlich zu sein, kann ich dir das gerade sehr schwer beantworten, weil Wachstum für mich auf vielen Ebenen momentan zu langsam geht.

Kommerziell oder persönlich?
Persönlich. Mich treibt zurzeit ein sehr rastloses Gefühl um. Ich bin mit meiner Entwicklung wahnsinnig ungeduldig.

Was geht dir zu langsam?
Ach, Dinge, die vor allem etwas mit Konsequenz und Inkonsequenz zu tun haben.

Dinge, die zu privat für Brettspiele sind?
Genau.

Und damit zieht er die letzte Figur nach Hause und gewinnt. Ein bisschen höhnisch. Und mit leicht gehustetem Lachen. Und sagt noch so einen glaubwürdigen Satz:

Komm, wir gehen lieber eine rauchen!

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