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Wie treffe ich gute Entscheidungen?
Welche Eissorte möchte ich heute essen? Was soll ich studieren? Und wen wähle ich bei der Bundestagswahl? Wenn wir die Wahl haben, sind wir uns selten darüber bewusst, dass es sich um einen alltäglichen Aspekt von Freiheit handelt: Je mehr ich die Geschicke meines Lebens lenken kann, desto freier fühle ich mich. Aber häufig stellen uns Entscheidungen auch vor Herausforderungen – wichtige und komplizierte genauso wie vermeintlich einfache.
Über die Frage, wie Entscheidungen grundlegend funktionieren, haben wir uns mit dem Psychologen Thorsten Pachur vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin unterhalten. Pachur erforscht unter anderem die Anwendung von Strategien in verschiedenen Entscheidungssituationen.
jetzt: Es ist Superwahljahr, also ein Jahr der Entscheidungen. Jetzt haben wir einerseits das große Privileg, unsere Volksvertreter*innen wählen zu dürfen, andererseits ist man gezwungen, sich zu entscheiden, wem man seine Stimme gibt. Verbinden Sie Entscheidungen eher mit Freiheit oder mit Zwang?
Thorsten Pachur: Auf jeden Fall mit Freiheit – in diesem Fall vor allem angesichts der Alternative, überhaupt nicht wählen zu dürfen. Natürlich kann man sich nicht auch noch aussuchen, zwischen welchen Bewerbern man sich entscheiden soll. Aber das ist ja in vielen Situationen des Alltags genauso, beispielsweise im Supermarkt, und hier erleben wir die Wahlsituation ja auch nicht als Zwang.
Wie komme ich denn überhaupt zu einer Entscheidung?
Es gibt sehr viele verschiedene Arten von Entscheidungen. Grundsätzlich ist es aber so, dass im ersten Schritt einer Entscheidung geschaut wird: Was sind eigentlich die Optionen? Sobald man das Set an Handlungsalternativen überschaut, beginnt man in einem zweiten Schritt, sie zu bewerten: Was sind die möglichen Konsequenzen der Optionen? Wie gut finde ich die Optionen gemessen an diesen Konsequenzen? Schließlich kommt man in den dritten Schritt zur Auswahl. Idealerweise wählt man dann die Option, die im zweiten Schritt am besten bewertet wurde.
Welche Faktoren sind relevant für die Bewertung, zum Beispiel, wenn ich einen Urlaub planen möchte?
Das ist während einer Pandemie natürlich kein so passendes Beispiel – aber angenommen, wir haben Norwegen und Italien in unserem Set an Handlungsalternativen. Dann sollte Sie sich überlegen, was Sie eigentlich mit diesem Urlaub erreichen wollen. Legen Sie mehr Wert auf die Landschaft, dann lieber Norwegen. Wenn Ihnen die Landesküche wichtiger ist, wäre Italien die bessere Wahl. Dabei sollten Sie sich aber nicht nur die positiven Seiten anschauen, sondern auch die negativen, beispielsweise wie teuer das Urlaubsland ist, oder wie lange die Reise dorthin dauert. Diese positiven und negativen Konsequenzen ergeben dann zusammen ein Gesamtbild, mit dessen Hilfe Sie sich entscheiden können.
„Intuition ist etwas, das Training braucht“
Das klingt alles sehr rational und nach Pro-und-Contra-Liste. Spielen denn Emotionen oder Stimmungen gar keine Rolle bei meinen Entscheidungen?
Ich habe jetzt den idealen Fall, also den rationalen Ablauf bei einer Entscheidung, beschrieben. Das heißt aber nicht, dass unsere Entscheidungen immer so ablaufen. Auf Urlaubsportalen steht man zum Beispiel oft unter Zeitdruck oder man erinnert sich bei der Entscheidung besonders gut an die positiven Gefühle, die man im letzten Norwegen-Urlaub hatte. Es gibt also Abweichungen von diesem rationalen Vorgehen.
Wenn ich von mir selbst ausgehe, habe ich das Gefühl, ich treffe Entscheidungen meistens aus dem Bauch heraus. Steht im Alltag eher das rationale oder das intuitive Entscheiden im Vordergrund?
Unsere Untersuchungen deuten auf viele verschiedene Faktoren hin, die das beeinflussen. Zum Beispiel gibt es individuelle Unterschiede: Manche Leute sind eher Bauchentscheider, manche Kopfentscheider. Außerdem kommt es auf die Situation an und wie viel auf dem Spiel steht. Wenn es um Kleinigkeiten geht, entscheide ich eher intuitiv und aus dem Bauch heraus. Wenn ich mir etwas Teures wie ein Auto kaufen möchte, hole ich mehr Informationen ein und wäge die Optionen ab. Erfahrung ist ebenfalls ein wichtiger Faktor, denn die Intuition ist etwas, das Training braucht. Wenn ich zum ersten Mal einen MP3-Player kaufe, würde ich also eher nach dem Kopf gehen. Und auch bei langfristigen, wichtigen Entscheidungen wie bei der Berufswahl sollte man den rationalen, nüchternen Weg gehen. Wenn ich mich aus einer Laune heraus für einen Job oder ein Studium entscheide, ist das Risiko hoch, dass ich die Entscheidung am Ende bereue.
„Menschen sind durchaus in der Lage, große Mengen an Auswahlmöglichkeiten zu verarbeiten“
Das Kaufen von Klamotten ist ein Bereich, in dem ich eigentlich ausreichend Erfahrung haben sollte, um mich schnell entscheiden zu können. Allerdings brauche ich für eine Entscheidung auf einer Online-Shopping-Plattform deutlich länger als im Laden. Woran liegt das?
Vermutlich daran, dass Sie beim Online-Shopping keinen direkten Zugang dazu haben, was sie eigentlich von einer Hose wollen. Auf der Plattform sehen Sie gewisse Aspekte wie Preis, Farbe, Größe, und dann können Sie sich aufgrund dieser Merkmale überlegen: „Wird mir diese Hose wohl gefallen?“ Wenn Sie aber im Laden stehen, sehen Sie sofort, ob sie Ihnen gefällt oder nicht, unter anderem, weil Sie schauen können, wie sie an Ihnen selbst aussieht. Sie können vielleicht gar nicht so genau artikulieren, warum genau diese Hose Ihnen liegt und trotzdem sehen Sie es auf einen Blick. Beim Online Kauf müssen Sie das theoretisch durchspielen. Zudem sind Sie möglicherweise mit der Menge der angegebenen Informationen beschäftigt, die am Ende aber eigentlich gar nicht so wichtig sind, beispielsweise die Zusammensetzung des Materials.
Wir haben bisher viel über Entscheidungen gesprochen, die man an Kriterien wie den Konsequenzen oder dem Preis festmachen kann. Jetzt sitze ich vor dem Laptop und möchte einen Film gucken. Im Grunde habe ich, egal welche Entscheidung ich treffe, nichts zu verlieren. Warum kann ich mich trotzdem nicht zügig entscheiden? Liegt das an der Menge an Auswahlmöglichkeiten?
Es ist natürlich einfacher, ins Kino zu gehen und aus vier verfügbaren Filmen auszuwählen. Aber Menschen sind durchaus in der Lage, große Mengen an Auswahlmöglichkeiten zu verarbeiten und eine Wahl zu treffen. Das hängt allerdings sehr davon ab, wie diese Auswahl präsentiert wird. Wenn die Menge an Filmen zum Beispiel alphabetisch sortiert ist, greifen vereinfachende und effektive Mechanismen nicht, die wir normalerweise anwenden, und man ist von der Informationsmenge erschlagen.
Was wäre denn eine Sortierung, die uns die Entscheidung erleichtert?
Hier kann es hilfreich sein, wenn die Filme nach meinem Geschmacksprofil geordnet sind – also beispielsweise Filme in der Liste oben stehen, die von Leuten gesehen wurden, die in der Vergangenheit ähnliche Filme angeschaut haben wie ich.
Okay, angenommen die Sortierung ist alphabetisch und hilft mir nicht. Wie gehe ich dann mit der Flut an Auswahlmöglichkeiten um?
Wenn man direkt in die Entscheidungssituation geht, kann das überfordern. Dann muss man wieder rational vorgehen und sollte sich zunächst fragen: Was will ich mit dieser Entscheidung erreichen, was ist eigentlich das Ziel? Wenn es um Filme geht, ist beispielsweise relevant, in welcher Stimmung man ist und was man passend dazu sehen möchte. Will ich jetzt einen Krimi gucken oder eine Komödie? Man strukturiert seine Entscheidungsmöglichkeiten vor und begrenzt so die Auswahl.
Angenommen, Sie als Experte für Entscheidungen gehen ein Eis essen. Haben Sie schon vorher rational entschieden, welche Sorte Sie möchten, oder entscheiden Sie aus dem Bauch heraus?
Es fällt mir schwer, schon auf dem Weg zur Eisdiele zu entscheiden. Ich muss das Eis vor mir sehen, gucke dann schon eine ganze Weile auf das Sortiment und versuche, mir vorzustellen, welche Sorte mir dieses Mal am besten schmecken würde. Das dauert dann manchmal länger als ich es gerne möchte. Auch bei Bauchentscheidungen können also durchaus Konflikte entstehen.