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Über Depression spricht man nicht

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Die spannendste deutsche Rockband zurzeit hat ihr Debütalbum „Und aus den Wolken tropft die Zeit“ veröffentlicht. Sie sprechen das aus, was die meisten stillschweigend in sich hineinfressen.

Über Depressionen spricht man nicht. Man will ja niemanden belasten, mit diesen destruktiven Gedanken, aus denen es keinen Ausweg zu geben scheint. Zentnerschwer drücken die auf den Rücken, bis man irgendwann so geduckt läuft, wie man nie laufen wollte, mit einem jungen Körper, der vital sein sollte, es aber längst nicht mehr ist. Tobias Bamborschke hat es versucht. Er hat gesprochen in der großen Stadt Berlin und ist bei den vermeintlich Vertrauten auf Unverständnis gestoßen. Isolation Berlin, das ist jetzt der Name seiner Band und das Gefühl, das ihn die vergangenen Jahre durch die ekligen Kneipen trieb und am Ende alles hat egal werden lassen. Die Schlinge um den Hals auf dem Damenklo im Bahnhof Zoo schien der letzte Ausweg zu sein, heißt es zumindest im selbstbetitelten Song „Isolation Berlin“. 

Über Depressionen spricht man nicht, aber über Depressionen schreibt man. Und Tobias Bamborschke macht das so ehrlich wie kaum einer zuvor. Mal nüchtern, als wäre das alles längst weit weg, hinter den versiegelten Stahltüren der Asservatenkammer der Negativität. Dann wieder so aufbrausend und verzweifelt, wie jemand, der kurz davor ist aufzugeben.

Einige Jahre legte die Isolation Berlin Bamborscheke lahm. Brechen mit alten Freunden, zielloses umherstreuen in den Gassen der Stadt, ohne jemals irgendwo richtig anzukommen und schließlich das stundenlange stille Warten in der eigenen Wohnung, ohne zu wissen worauf. Nur manchmal, da fand sich die Isolation als Buchstabensuppe auf Blättern mit Aschenresten von den immer brennenden selbst gedrehten Zigaretten wieder. Irgendwann hat Tobias Max kennengelernt. Über eine gemeinsame Freundin, die dachte, dass das vielleicht passen würde. Beide machten ja Musik. Es passte, nach zwei Minuten Abtasten merkten beide, dass sie sich ähnlich sind und es entstand die Idee für eine Band. Max wurde zu Tobias’ einzigem richtigen Freund in dieser Zeit und es folgten kalte, vom Laufpublikum ignorierte Auftritte in den U-Bahn-Stationen der Stadt. Dann kam Bassist David, dann Drummer Simeon. Und der bildenden Künstler Yannick Riemer malte irgendwann die passenden Bilder, die man zu Musik zwischen Wahn, Selbstmitleid und Erleichterung eben malt. 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Nach vielen Nächten mit Konzerten, zu denen kaum einer kam und der EP „Aquarium“ (2014), stieß die Gruppe kurz darauf zur Berliner Stil-Institution Staatsakt. Das Spex Magazin feierte die Band jetzt plötzlich. Es folgte die „Körper“ EP (2015) und schließlich der große Medienhype: Quasi jeder Kulturjournalist, der etwas auf sich hielt, berichtete in den vergangenen Wochen über Isolation Berlin. Man setzte sie auf Magazincover, die Musik lief in Fernsehen und Radio. „Und aus den Wolken tropft die Zeit“ ist nun das erste Album einer deutschen Rockband, die viel besser ist, als der Ruf der aktuellen deutschen Rockmusik. Post-Punk könnte man das nennen. Ton Steine Scherben-Vergleiche könnte man ziehen. Oder man lässt Isolation Berlin einfach Isolation Berlin sein.

Das Album entlädt den angestauten Schmerz, die Frustration und die Wut, die in Bamborschkes Innerem so lange rotierten. Bis zur Explosion. Musik ist der Katalysator. Genau wie vorher die Kneipen, in denen er sich dem kurzen Rausch hingab, der am Ende nichts besser gemacht hatte, als der Barkeeper ihn nach der letzten Runde vor die Tür setzte. Kneipe, Rausch, raus und „am Ende hat es sich wieder nicht gelohnt und zu Hause wartet treu die Depression“. Das sagt er resigniert und man bekommt ein Bild von dieser absoluten Egalheit des Seins. Er sagt auch: „Es ist so schwer aufzustehen, wenn man einfach nicht mehr weiß wofür“ („Schlachtensee“) oder „Ich will, dass ihr mich liebt und auch die ganze Welt“ („Produkt“).

Damit charakterisiert er die Depression so gut, wie es vorher noch keiner gemacht hat. Er beschreibt sie als den lähmenden Dämon, der sie ist, ohne sich dabei jemals im Selbstmitleid zu suhlen. Eine Zustandsbeschreibung ist das, mehr nicht. Angeführt von der gebrochenen Stimme Bamborschkes, der Qual, die aus den verzerrten Gitarren schießt und mit voller Wucht gegen die Wand der Konzertkeller kracht. Aber gleichzeitig der entspannten Leichtigkeit, die nur jemand haben kann, der das Schlimmste bereits überwunden hat und nicht mehr ganz versteht, was ihn damals trieb. Weiter entfernt von denen, die sich mit der Krankheit schmücken, daraus einen Lifestyle spinnen und sich irgendwann nur noch darüber zu definieren scheinen, kann das nicht sein.

Ich will, dass ihr mich liebt“

 

Der große Schrei nach Liebe und die Sehnsucht danach, endlich verstanden zu werden, das ist das Album auch. Bamborschke möchte gemocht werden, möchte ins Rampenlicht, möchte endlich wieder lieben und vertrauen können. Obwohl die Depression lähmte, funktionierte die Musik besser, als sich vor Freunden zu erklären. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, der ihn trotz Isolation und Abturn auf keifende Menschenmassen immer wieder raus aus der Isolation auf die Bühne trieb. Dort konnte er ohne komische Blicke und peinliche Stille er sein. Er spricht über die Angst vor der Bindung, weil doch ohnehin jeder nur an sich denkt und jeder nur für sich tanzt: an den Wochenenden in den Technoklubs, die er zwar ausprobiert hat, aber nicht leiden kann. Denn „alle wollen dasselbe, nur für sich allein“ („Verschließe dein Herz“)

 

Trotzdem ist „Und aus den Wolken tropft die Zeit“ kein gänzlich negatives Album. Die Gitarren motivieren zur Geselligkeit, bevor sie wieder schwermütig werden. Die Drums wollen, dass man sich zu ihnen bewegt, bevor sie einem wieder ins Gesicht peitschen. Der Gesang Bamborschkes möchte aufmuntern, bevor er in schmerzvolles Geschrei ausartet, das die zuvor gepinselten Farben schneller wegsaugt, als sich die Menschen in den Clubs die stinkenden Kristalle durch die Nase jagen können.

 

Dann bleiben nur die Ferne und das Wasser. Der Schlachtensee am Rande Berlins ist Bamborschkes liebster Ort. Seine Oma wohnt da. Ruhig ist es da und heimelig. Auch am Schlachtensee, weit weg von den Lichtern der Stadt, kann man sich isoliert fühlen. Das ist die angenehme Isolation Berlin und fast so gut wie das Meer, das zum Sehnsuchtsort wird.

 

Wahrscheinlich sind es solche Momente gewesene, die Tobias Bamborschke die Kraft dazu gaben, weiter zu machen und ihn vor dem endgültigen Crash retteten. Das war wichtig, denn bei „Und aus den Wolken tropft die Zeit“ hört man ihm nun endlich zu. Hier wird das Thema Depression so verpackt, dass verständlich wird, was die Leute mit den immer dunkleren Augenringen eigentlich durchmachen und warum sie nicht aus dem Bett kommen, auch wenn sie es könnten. Das funktioniert weit über die Grenzen Berlins hinaus. Das war dringend nötig.

 

 

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