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"Wir wollen einen großen Stein ins Rollen bringen"
Der große Gebäudekomplex sieht zerzaust aus, halb heruntergerissene Plakate mit Aufschrift „Besetzt“ hängen an den Mauern herab, in den Bäumen flattern Alditüten im Wind und vor den Säulen am Eingang stehen große Gemälde mit Revolutionsmotiven. Nur von den Revolutionären ist noch nicht viel zu sehen, wenige junge Leute stehen rauchend zwischen Säulen und Plakatfetzen. Drinnen ist es dann schon etwas anders, hier herrscht eine unruhige Atmosphäre. An Boden und Wänden kleben unzählige handgemalte Plakate und Zettel, die teils auf Workshops und Plenarsitzungen in verschiedenen Räumen verweisen, teils Presseinformationen anbieten. Hinter dem Informationstisch essen einige Studenten ihre Nudeln, die in der extra für den Streik eingerichteten „Volksküche“ gekocht wurden.
Wir sind mit den von der Plenarsitzung für den heutigen Tag gewählten Pressesprechern Leoni Droste und Fabian Bennewitz verabredet, um uns über Hintergründe und Aktionen des Streiks aufklären zu lassen. Viel Zeit haben wir nicht, denn gleich gibt es eine BH- Verbrennung vor dem Gebäude und dann wird auch schon Konstantin Wecker erwartet, der sich hier zum Musikmachen mit den Studenten verabredet hat. Im Eingangssaal sitzen jetzt schon Jugendliche mit ihren Gitarren und singen in hippiesker Manier altbekannte 70-er Jahre Lieder. Auf dem Boden liegen Regenschirme, auf den die Protestierenden ihre Forderungen und Wünsche schreiben. Später werden sie zu einer Flashmobaktion bei dem Treffen mit Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch gebraucht.
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Womit seid ihr denn konkret unzufrieden?
Mit dem Bildungssystem in seiner ganzen Einheit. In unseren Augen dient es nämlich gar nicht mehr dazu, den Menschen in seiner Selbstbestimmungskraft zu stärken, sondern nur noch dazu ihn als Humankapital für Wirtschaft und Arbeitsmarkt zu verwerten. Sehr gut sieht man das am Beispiel der verkürzten Schulzeit im G8- System. Außerdem bei der Umstellung zu Bachelor und Master im Rahmen des Bologna Prozesses. Es geht uns hier also gar nicht direkt um die Universität allein. Wir haben und wollen auch sehr viele Schüler in den Plenarsitzungen. Fabian, hier neben mir, ist zum Beispiel so einer. Wir wollen alle dazu aufrufen, von ihrem Recht auf Meinungsäußerung Gebrauch zu machen. Wir wollen so viele Menschen wie möglich mobilisieren, sich für eine neue Bildungsreform einzusetzen. Auf unserer Homepage bildungsstreik-muenchen.de
kann man unsere konkreten Forderungen nachlesen.
Habt ihr einen Streikführer?
Nein, wir haben uns ganz frei gruppiert. Und wir legen auch außerordentlich viel Wert darauf, dass es hier keine hierarchischen Strukturen gibt. Jeder kann und soll mitmachen und alle sollen gleichviel zu sagen haben dürfen. Wir wählen zum Beispiel auch jeden Tag neue Presseverantwortliche, damit es nicht zu Fingerzeigereien oder Bestimmungsmustern kommt.
Wie sieht euer „Revolutionsalltag“ so aus?
Wir haben die Plenarsitzung, in der wir besprechen, was wir konkret wollen und wie wir dem Ganzen eine Struktur geben können. Wir haben uns da stark an der Wiener Uni orientiert, weil die ein unglaublich ausgeklügeltes, toll organisiertes Programm auf die Beine gestellt haben. Da gab es politische Vorträge, Workshops, aber auch künstlerische Aufführungen und richtige Konzerte. Allerdings immer umrahmt von Diskussionen. Und so haben sie es tatsächlich geschafft, immer mehr Leute dazu zu bringen, sich dafür zu begeistern. So sieht das bei uns auch aus. Wie ihr gesehen habt, haben wir ja sogar eine Volksküche. Wir sind hier völlig autark, zum Großteil schlafen wir auch in der Uni. Auf unserer Website
kann man immer nachschlagen, was für Vorträge und Aktionen es jeden Tag so gibt. Und dann selbst mitmachen. Heute Abend um 20 Uhr tritt zum Beispiel die Band „Jamaram“ hier in der Akademie auf. Und natürlich ist jeder eingeladen zu kommen.
Wie lange werdet ihr diesen Streik durchziehen und was muss passieren, dass ihr Ruhe gebt? Und vor allem: Wie geht es dann weiter?
Man kann ja nicht voraus sagen, was passiert. Momentan ist es so, dass wir ja gerade erst angefangen haben und sehr motiviert sind, tatsächlich etwas erreichen zu können. Am 17. September gibt es dann ja den bundesweiten Streik, der eine Art zweiter Auftakt zu den schon gelaufenen deutschen Protesten sein soll. Natürlich möchten unsere Rektoren schon ganz gerne, dass wir das Studium bald wieder aufnehmen können, aber richtig zur Normalität zurückkehren werden wir nicht, bevor sich etwas geändert hat. Es wird weiter Treffen und Aktionen geben, eventuell immer wieder neue Streiks.
Habt ihr von Seiten eurer Rektoren etwas zu befürchten weil ihr hier den Betrieb lahmlegt?
Nein, wir wüssten momentan nicht was. Viele der Professoren stehen hinter uns, weil auch sie nicht mit den neu eingeführten universitären Strukturen zufrieden sind. Obwohl die Kunstuniversitäten ja die Einführung des Bachelor/Master Systems in einigen Bereichen noch einmal abwenden konnten. Und eine gute Neuigkeit: Seit heute haben sich sogar unsere Arbeitswerkstätten, also die Druckerei, die Holzwerkstatt und so weiter, auf unserer Seite geschlagen. Sie streiken ebenfalls. Wir möchten uns jetzt auch etwas von der Bezeichnung „Besetzung“ distanzieren, weil wir ja eigentlich nicht gegen die Uni sondern mit ihr kämpfen.
Wie seid ihr mit der allgemeinen Beteiligung an dem Streik zufrieden? Ihr seid hier zwar sehr engagiert bei der Sache, aber ehrlich gesagt hätte ich doch mehr Menschen erwartet.
Wir müssen eben noch viel mehr Leute mobilisieren. Zu viele denken, sie könnten nichts bewirken. Wir werden aber ständig mehr. Wir haben ja auch erst am Donnerstag entschlossen überhaupt zu streiken, und mittlerweile haben wir doch erstaunlich viel Beteiligung erfahren, vor allem von Schülern und Schülerinnen, aber auch von vielen Studenten der anderen Münchner Universitäten. Und sogar Eltern und richtig alte Menschen kommen vorbei, um sich zu informieren. Die meisten Leute kommen allerdings zu unseren abendlichen Veranstaltungen. Wir sehen eine gute Entwicklung.
Seid ihr denn eigentlich die einzige Münchner Uni die aktiv streikt?
Ja, momentan schon. Aber wie gesagt sind viele der hier Streikenden auch von anderen Münchner Unis. Die Münchner Kunstakademie bietet sich eben ganz gut an, weil hier schon so viel passiert. Einige unserer Professoren haben uns bereitwillig ihre Räume für die Workshops zur Verfügung gestellt und das ging dann hier sehr einfach und reibungslos. Aber wir hoffen, dass auch die anderen hier ansässigen Unis bald eigenständig mitstreiken. Wir wollen einen großen Stein ins Rollen bringen. Und es funktioniert: Jeden Tag gibt es jemanden in der Plenarsitzung der zum Beispiel dazwischen brüllt: „Greifswald ist jetzt auch dabei!“ Und heute sind Leute von der AStA Kiel da, die eine Tour durch alle streikenden, deutschen Unis unternehmen. Es ist schon ein gutes Gefühl zu sehen, dass es immer weiter läuft.