- • Startseite
- • Interview
-
•
"Wir sind zu verwöhnt"
jetzt.de: Hand auf’s Herz: Schmeißen Sie Essen in den Müll?
Valentin Thurn: Auch mir passiert es fast täglich, dass ich Lebensmittel wegwerfen muss. Allerdings habe ich mich durch die Arbeit an dem Film gebessert: Statt zu kaufen worauf ich Lust habe, halte ich mich an meine Einkaufsliste. Wenn ich für Freunde koche, spare ich mir auch die 30 Prozent Überschuss und nehme das Risiko in Kauf, nicht genug zu haben.
Wissen Sie, wie viele Lebensmittel der Durchschnittsverbraucher wegwirft?
Pro Kopf werfen wir Deutsche rund 80 Kilogramm unverdorbene Lebensmittel weg – pro Jahr. Für die Recherche war ich mit einer Müllwissenschaftlerin unterwegs. Sie durchwühlt quasi beruflich unseren Hausmüll. Dabei fand sie heraus, dass sich Verbraucher viel zu positiv einschätzen. Wir werfen also viel mehr weg als wir annehmen.
Sind wir Verbraucher also schuld an der massiven Lebensmittelverschwendung?
Wir tragen natürlich nicht die alleinige Schuld. Aber ein Drittel der verschwendeten Menge wird im privaten Haushalt entsorgt. Wir schauen nicht in den Kühlschrank und fragen uns, was man daraus kochen kann. Wir schauen, was da ist und kaufen dann das, worauf wir Appetit haben. Ich glaube, wir sind diesbezüglich einfach zu verwöhnt.
Supermärkte ermöglichen uns mit ihrem großen Angebot doch dieses Leben im Überfluss.
Der Handel steht unter einem enormen Konkurrenzdruck. Der Kunde mag es eben nicht, wenn er Samstag abends im Supermarkt steht und alles ausverkauft ist. Es gibt deshalb viel zu viele Produkte in den Regalen – die Händler riskieren es, Unmengen davon am Abend zu entsorgen. Das ist besser als den Kunden zu verlieren.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Warum werden so viele Lebensmittel weggeworfen, bevor sie überhaupt in die Regale gelangen?
Das ist der Knackpunkt: Zwar gibt es eine Reihe von Gründen, weshalb die Verschwendung derart groß ist. Allerdings ist es der Handel, der die Normen setzt – er bestimmt, welche Ware „schön“ genug ist um verkauft zu werden. Die Leidtragenden davon sind vor allem die Bauern. Bis zu 50 Prozent müssen sie oft entsorgen, was doppelt schade ist. Die weniger schönen Waren bringen ja keinen Gewinn, schmecken aber oft besser als die Akkuraten.
„Das Auge isst mit“: Wollen wir deshalb nur noch perfektes Obst kaufen?
Ich glaube schon. Ich denke, dass wir viel zu sehr auf die Optik fixiert sind anstatt auf den Geschmack. Der Handel begründet seine strengen kosmetischen Normen damit, dass wir Kunden dies so wünschen. Der Trend zur Perfektion hat sich schleichend auch auf die Lebensmittel übertragen.
Sie raten Konsumenten, sich nicht auf das Haltbarkeitsdatum zu verlassen. Welchen Wahrheitswert hat dieser Aufdruck?
Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist das größte Drama: Im Prinzip ist es nämlich nicht mehr als ein Richtwert, um zu wissen, wie lange der Frischkäse noch cremig ist. Er kann aber oft noch Wochen nach Ablauf problemlos gegessen werden, kaum verderbliche Dinge wie Salz und Nudeln sogar noch Monate danach. Das schlimmste aber ist, dass das Mindesthaltbarkeitsdatum kaum zu unterscheiden ist von dem so genannten Verbrauchsdatum. Da geht es wirklich um Gesundheitsgefährdung. Meiner Meinung nach sollte das in schreiendem Rot aufgedruckt werden, damit wir den Unterschied klar erkennen.
Im Film heißt es, mit dem Essen, das in Europa und Nordamerika weggeworfen wird, könnten alle Hungernden der Welt dreimal satt werden. Ist das dann nicht doch ein unrealistischer Vergleich?
Klar können wir unsere Essensreste nicht nach Afrika schicken. Wir haben aber einen globalen Markt – auch für Nahrungsmittel. Durch unseren starken Konsum steigen die Preise und diese Preise gelten eben auch für afrikanische Länder. Für viele ist es generell schwer geworden, bezahlbare Lebensmittel zu bekommen. Kommt es dann noch zu einer Krise wie zuletzt in Somalia, verschärft sich die Situation extrem.
Was können wir dagegen tun?
Wir können ganz viel machen: Wenn zu viel gekocht wurde, können die Reste eingefroren werden. Es gibt auch zahllose gute Rezepte, Pizza und Quiche sind zum Beispiel dadurch entstanden, dass Reste zusammengemixt wurden. Uns ist leider die Wertschätzung für Lebensmittel verloren gegangen. Politisch hat sich in Deutschland erst durch den Film etwas bewegt. In Großbritannien ist man da viel weiter. Es gibt Lektüre und sogar eine App für’s Smartphone. Das erkennt den Kühlschrankinhalt und erarbeitet daraus Rezeptvorschläge.
"taste the waste" ist seit Donnerstag im Kino zu sehen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Valentin Thurn ist 48 Jahre alt. Der gebürtige Stuttgarter arbeitet als Filmemacher für die öffentlich-rechtlichen Sender. Thurn ist Autor des Buches „Die Essensvernichter“ und Regisseur von „taste the waste“.