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"Wir sind wie Leute, die ihren Geburtstag nicht feiern."

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Als ich "Immer da, wo Du bist, bin ich nie" zuerst hörte, stellte ich zuerst die Klammer zu "Delmenhorst"von eurem letzten Album "Mittelpunkt der Welt" her. Da singst Du: "Ich bin jetzt immer da, wo Du nicht bist" ... Sven Regener: Diese Parallele ist uns erst später aufgefallen. Aber dann dachte ich mir, dass das gar nicht so schlecht ist. Vielleicht ist dieser Bezug zu "Delmenhorst" mit Heintje und Anita vergleichbar. Anita sang einmal ein Lied namens "Bau' mir ein Schloss". Ein paar Wochen später kam eine Single von Heintje: "Ich bau' dir ein Schloss!" Auch auf "Das bisschen Haushalt macht sich von allein, sagt mein Mann" gab's damals eine Replik. Der Antwortsong hieß "Das bisschen Arbeit kann so schlimm nicht sein, sagt meine Frau".

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Der zweite Gedanke: Alles klingt latent angesoffen. Woher kommt das? Ich denke, das ist musikalisch bedingt. Das ist der Groove, wie die Band so swingt und macht. Das sollte möglichst nie bemüht oder angestrengt wirken, finden wir, sondern wird einfach so rausgeballert. Ich würde es "enthemmt" nennen. Das dachte ich mir: ganz schön enthemmte Platte! Ich habe lang über einen thematischen roten Faden nachgedacht und schließlich festgestellt: Bei aller Ruppigkeit steckt in der Platte etwas Spätsommerlich-Erfreutes! Das Ding ist: Wenn jemand das so sagt, dann stimmt das auch. Wenn du die Platte als spätsommerlich verstehst, hast du völlig recht. Wenn jemand jetzt aber sagt: Hey, das klingt total nach Winter, dann hat der ebenfalls recht. Das ist das Schöne an der Kunst: Zwei völlig entgegen gesetzte Meinungen können beide wahr sein. Textlich setzt Du noch mehr als zuletzt auf Kleinigkeiten, auf Beobachtungen, auf Situationen. Kleinigkeiten gibt es gar nicht! Wenn einem etwas auffällt, ist es immer etwas Großes. Das lernt man, wenn man lange genug "Columbo" schaut. Die Details sind es, die uns auf die richtige Spur führen. Dieses eine Haar hier, was macht das da? Für was steht es? War die Schlupfwespe, die Du gerade weggescheucht hast, etwas Großes? Sagen wir's so: Sobald man darüber singt - ja, dann ist auch diese Schlupfwespe etwas Großes. Nimm doch einmal Delmenhorst. Das ist wirklich keine sehr große Stadt, aber das Lied, das hat ihm plötzlich eine gewisse Bedeutung gegeben. Das hat aber auch mit Sarah Connor zu tun. Die kommt da her und hat Delmenhorst so in die Fernsehstuben des Landes gebracht. Moment, was die Wenigsten wissen: Sarah Connor wohnt gar nicht direkt in Delmenhorst, sondern in Wildeshausen. Ich glaube, das ist auch ihrem Status angemessen. Aber ich hätte den Song auch so ohne Sarah Connor geschrieben. Also ist das Lied die Lupe, die die Kleinigkeit groß macht? Nein! Die Dinge sind groß. Sie können eine wahnsinnig große Wirkung auf alles andere haben. Die Idee metaphorischer Kunst: Das Tütchen Zucker hier, das kann die Metapher für den Atomkrieg werden. Man müsste erst überlegen wie. Das würde vielleicht ein bisschen dauern. Aber grundsätzlich wäre es möglich. Insofern sind die Dinge, über die ich singe, nicht klein. So selbstbewusst bin ich dann doch. "Immer da wo du bist, bin ich nie"

Hat sich Deine Herangehensweise an die Texte geändert? Ach, dieses Mal lief das schon anders. Freier. Songs wie "Kopf aus dem Fenster" habe ich noch nicht oft geschrieben. Andererseits ist das ein Vorgang, den man nicht groß steuern muss. Man will sich als Künstler immer mehr Spielraum schaffen, immer mehr Möglichkeiten. Es macht keinen Sinn, immer nach den gleichen Mustern zu verfahren. Die Sachen entwickeln sich organisch daraus, wie sich eben die Leute entwickeln. Ich singe auch ganz anders als vor 15 Jahren. Aber nicht, weil ich mir das vorgenommen habe, sondern weil es sich so entwickelt hat. Richard spielt im Übrigen ganz anders Schlagzeug als früher, das fiel mir neulich erst auf. So etwas zu beobachten, macht Spaß. Das ist eine der wenigen guten Seiten daran, dass es eine Band so lange gibt wie Element Of Crime. Warum glaubst Du, dass es nicht erstrebenswert ist, wenn es Bands lange gibt? Ach, eine lange Existenz besitzt keinerlei Wert. Da sagen dann Leute: Mensch, die Band XY macht seit 25 Jahren Musik. Ist das nicht toll? Nö. Ist nicht toll! Wieso soll das toll sein? Was bitteschön ist die besondere Leistung daran, nicht rechtzeitig aufzuhören? Wir haben auch nie irgendwelche Jubiläen begangen. Wir sind da wie Leute, die ihren Geburtstag nicht feiern. Feierst Du? Nein! Das würde auch nicht so wirklich funktionieren. Ich habe am ersten Januar Geburtstag. Das ist ein Tag, an dem jeder lieber mal ruhig macht und daheim bleibt. Das finde ich ganz gut. Du hast in den letzten Jahren Romane geschrieben. Glaubst Du, dass die Arbeit an "Herr Lehmann" und Co. sich auf Dein Songwriting ausgewirkt hat? Ich denke nicht. Dass ich drei recht dicke Bücher geschrieben habe, macht das mit den Liedertexten leider nicht einfacher. Auch umgekehrt konnte ich da keine Zusammenhänge feststellen. Diese Prosasache ist 'ne ganz andere Übung. Man muss seinen Stil finden, diese ganzen Songtexte haben mit da überhaupt nichts genutzt. Aber vielleicht haben mich die Bücher selbstbewusster gemacht. Vielleicht traue ich mir jetzt mehr zu. Das sind so indirekte Sachen. Ihr wart zum Mixen des neuen Albums in Nashville ... Na, erst einmal ging es uns nicht um Nashville, sondern um Roger Moutenot, der ja schon "Mittelpunkt der Welt" mixte. Wäre er in New York, wären wir eben nach New York geflogen. Wäre es München gewesen, nach München. Diesen Genius Loci, also die Atmosphäre eines bestimmten Ortes, gibt es für uns nicht. Wir könnten eine Platte komplett in Delmenhorst aufnehmen, sie würde trotzdem nicht anders klingen. Fragten euch dort Leute nach dem Sinn Eurer Texte? Einige sagten: Ich wünschte, ich könnte was von den Texten verstehen. Unser Bassist Dave, der schon früher angereist war, übersetzte für Roger ein bisschen was. Aber das funktioniert natürlich nur eingeschränkt, im Prinzip beschränkt sich unsere Musik auf den deutschen Sprachraum. Da kann ich in Nashville mixen lassen, bis ich alt und grau bin, es wird immer höchstens die Leute in Österreich, Deutschland, Schweiz interessieren. Wir hören ja auch keine japanische Popmusik, oder italienische! Na, ein bisschen doch schon! Aber das, was jetzt außerhalb englischsprachiger Musik in anderen Ländern wahrgenommen wird, hat doch immer mit so einer Art Comic-Aspekt zu tun. Der Italiener ist dafür da, "Azzuro" zu trällern. Dann gibt's noch Ramazotti oder so, aber das war's. Was da sonst passiert, was da jedes Jahr in San Remo läuft, davon haben wir doch überhaupt keine Ahnung. Und der Deutsche, der macht in der internationalen Wahrnehmung eben Krautrock oder so düsteren Rammsteinrock. Einstürzende Neubauten, Rammstein, Tokio Hotel. Das isses, was man an deutscher Popmusik im Ausland kennt. Aus Nashville habt ihr sehr witzig und pointiert gebloggt. Eigentlich wärt Ihr gute Twitterer! Es gibt für alles eine Grenze. Twittern ist im Prinzip nur eine Belästigung. Da könnte man vielleicht einmal eine Kunstaktion machen. Man könnte vielleicht Haikus twittern. Aber das würde zu weit führen. Im Blog ist man freier. Man baut da so eine Alltäglichkeit auf, die aber natürlich nicht ernst gemeint ist. Ich denke auch, so ein Blog funktioniert nur mit einer gewissen Distanz, zu viel Nähe ist da einfach verlogen und im übrigen auch total langweilig. Es gab Tage in Nashville, da passierte einfach nichts, und da haben wir dann eben manchmal etwas fotografiert und dazu irgendwelche Geschichten erfunden. Was soll man da bitteschön twittern? "Ich gehe jetzt zum Essen?" Das ist doch einfach nur öde.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

"Immer da wo du bist bin ich nie" erscheint am heutigen Freitag bei Universal.

Text: jochen-overbeck - Foto: Universal

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