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"Wir sind im Grunde alle längst Cyborgs"

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Natürlich ist da der Science-Fiction-Impuls: Star Trek, Terminator - Zukunftsmusik, Spinnereien, Angstszenarien. Aber der Impuls ist falsch. Die technologische Erweiterung des Menschen ist alt. Prothesen gibt es seit Jahrtausenden. Eine Lehrredaktion der Deutschen Journalistenschule hat dem heutigen Stand im Cyborgism jüngst ein faszinierendes Abschlussmagazin gewidmet. Dazu gibt es durchdachte Theorien, denen zufolge schon Smartphones uns zu Cyborgs machen. In Berlin hat sich jüngst der "Cyborgs e.V." gegründet, Deutschlands erster Verein für Menschen, die sich Technik in ihre Körper implantieren lassen wollen. Ein Gespräch mit Gründungsmitglied und Vorstand Enno Park über rechtliche Hürden, ethische Bedenken und den Wunsch, zu hören wie eine Fledermaus.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


jetzt.de: Was ist im echten Leben denn ein Cyborg?
Enno Park: Cyborgs sind Menschen, die mit Technologien verbunden werden oder Technologien in oder an ihrem Körper tragen. Und das ist überhaupt nichts Neues. Schon die alten Ägypter kannten Holzbeine.  

Es geht aber nicht ausschließlich drum, aus medizinischen Gründen etwas auszugleichen.
Nein, es geht auch drum, bei gesunden Menschen bestimmte Fähigkeiten zu steigern. Ich selbst bewege mich da an einer Grenze, weil ich eine Hörprothese trage, ein Cochleaimplantat, das fest in meiner Hörschnecke sitzt. Das steht dem echten Hören in einigen Dingen nach, hat aber auch ein paar Gimmicks, die dem normalen Gehör fehlen.  

Nämlich?
Ich kann beispielsweise die Umgebungsgeräusche dimmen, was mir hilft, mich mehr auf meinen Gesprächspartner zu konzentrieren. Gerade in lauten Umgebungen verschafft mir das durchaus einen Hörvorteil.  

Zweck eures Vereins ist laut Satzung „Förderung, Erforschung, Anwendung und kritische Bewertung von Technologien wie Prothetik, Robotik und Bionik“. Was heißt das?
Wir wollen beispielsweise Geräte wie mein Cochleaimplantat analysieren: Wo sind Fehler und Schwachstellen, wo Sicherheitslücken. Ein gutes Beispiel ist die Beinprothese eines Bekannten von mir. Die ist von einem Motor unterstützt, hat dafür allerdings eine Bluetooth-Schnittstelle und ist ständig auf Empfang. Und das stört ihn. Er fragt sich also: „Warum muss das sein?“ Und fühlt sich zwischen Krankenkasse und Hersteller alleingelassen. Wir schauen uns das Gerät an, ob es sich hacken lässt. Das würde ihm ein Leben ermöglichen, bei dem er nicht für jede Modifikation zum Arzt rennen muss. Wir müssen aber nicht unbedingt in diese Spezialgebiete gehen, um die Bedeutung des Vereins zu erkennen.  

Sondern?
Es reicht doch völlig, sich Smartphones anzusehen und zu fragen: Was erlaubt mir der Hersteller, kann ich damit machen, was ich will? Darf Amazon Bücher von meinem Kindle löschen? Wer hat die Kontrolle über die Geräte, denen wir uns so sehr ausliefern?

Moment, ein Smartphone macht uns schon zu Cyborgs?
Eine für mich sehr schlüssige Theorie besagt: Wir sind im Grunde alle längst Cyborgs, ohne es gemerkt zu haben. Das Smartphone ist bei vielen das Erste, das sie morgens in die Hand nehmen, und das Letzte, das sie vorm Schlafen weglegen. Vielen fehlt etwas, wenn das Gerät nicht da ist. Der Begriff „Sucht“ beschreibt dieses Phänomen aber nur sehr mangelhaft. Schon jetzt stellt derartige Technik eine Art von Sinneserweiterung dar, indem sie etwa das unsichtbare Internet, das wir über die Welt gelegt haben, sichtbar macht. Dazu wächst die Technik immer näher an uns heran.  

Wie?
Der Trend geht vorerst in Richtung Wearables: Kleidung, die intelligenter wird, Google-Glasses und Ähnliches. Das sind alles Beispiele, bei denen wir mit der Technik heute schon verschmelzen, ohne uns etwas einzupflanzen.  

Woher nehmt ihr die Kompetenz, um an der Diskussion teilzunehmen?
Die kommt von sehr unterschiedlichen Seiten. Ich bin zum Beispiel einfach ein Betroffener, der sich mit dem Thema aus gegebenem Anlass sehr intensiv beschäftigt hat. Darüber bin ich wohl zum Experten geworden. Andere Mitglieder sind einfach Hacker und haben sich durch eine grundlegende Neugier großes Wissen erarbeitet. Eines wohl, über das Akademiker die Nase rümpfen, aber einige von uns sind auch Wissenschaftler, die an verschiedenen Instituten forschen.  

Wir reden von Hacker im ursprünglichen Wortsinn – also nicht nur Menschen, die in Computersysteme eindringen, sondern die Alltägliches auseinandernehmen, analysieren und verstehen wollen?
Genau. Und dabei am besten auch noch herausbekommen, was für Schabernack man mit dem Gerät sonst noch treiben kann. Für mich ganz konkret ist ein Langzeitprojekt, mein Implantat so umprogrammieren zu können, dass ich Ultraschall damit hören kann.  

Fledermäuse?
Vögel können wir doch jetzt auch schon hören.  

In eurer Satzung heißt es außerdem, dass ihr die ethischen, rechtlichen, kulturellen und politischen Dimensionen des Themas diskutieren wollt. Was heißt das?
Eine zentrale Aussage ist: Die Technologie wird kommen, ob wir wollen oder nicht. Sobald es die Möglichkeiten gibt, wird der Mensch jeden erdenklichen Quatsch damit anstellen. Also ist es dringend an der Zeit, klare Positionen bei wichtigen Fragen zu finden.  

Welche Fragen sind das?
Was bedeutet es, wenn dein Mobilfunkanbieter Bewegungsprofile von dir hat? Was bedeutet es, wenn die NSA und andere Geheimdienste unsere komplette Kommunikation abhören? Was bedeutet es, dass wir uns im täglichen Leben längst von Computern abhängig gemacht haben? Ist es da wirklich noch eine geltende Grenze, uns Dinge in den Körper einpflanzen zu lassen? In was für einer Gesellschaft landen wir, wenn wir unsere Körper selbst modifizieren? Was bedeutet es für die Gesellschaft, wenn einige Menschen aus ökonomischen Gründen keinen Zugang zu diesen Technologien haben oder sie ideell ablehnen? Das ließe sich unendlich fortsetzen.  

Und woher nehmt ihr eure Positionen in diesen Fragen?
Das Cyborg-Manifest, das die Feministin Donna Haraway 1985 veröffentlicht hat, ist eine unserer Grundlagen. Darin wurde das Thema erstmals philosophisch beleuchtet. Schon Haraway ging davon aus, dass wir im Grunde längst Cyborgs sind, weil wir uns und unsere Umwelt nach unseren Bedürfnissen gestalten. Sie postulierte, dass wir darin auch absolut frei sind. Viele Positionen resultieren aber auch aus dem Gedankenaustausch unter den Mitgliedern. Eigentlich sollte zur Gründung ein eigenes Manifest fertig sein. Wir haben aber gemerkt, dass der Diskussionsbedarf derart hoch ist, dass das noch etwas warten muss.  

Mit welchem Ziel nehmt ihr an der Diskussion teil?
Wir sagen: Wir haben fantastische neue Möglichkeiten, Technik erlaubt eine Weiterentwicklung unserer Zivilisation, aber wir müssen auch zusehen, dass wir ein paar Probleme gelöst bekommen: Wir dürfen keine Menschen von der Nutzung von Technik ausschließen und andererseits natürlich auch niemanden zur Nutzung zwingen. Wir wollen also eine ethische Linie finden, die einerseits nicht zu einem Totalverbot führt, den eigenen Körper zu modifizieren, und andererseits nicht irgendwann zum Ausschluss derjenigen, die das nicht möchten. Und wir wollen die Regularien ändern: Wenn man sich auch nur kleine Sachen implantieren lassen will, muss man heute zum Piercer. Das ist problematisch, weil die Standards in der Szene sehr unterschiedlich sind. Es gibt da auch Pfuscher. Mir wäre es lieber, wenn das Ärzte täten. Die wiederum lehnen aber viele Eingriffe ab, weil es nicht ihrem Berufsethos entspricht. Das führt zu niedrigeren Standards.  

Ist das Berufsethos nicht eine sehr sinnvolle Sache?
Nun ja, Brustvergrößerungen sind ja auch kein Problem, obwohl der Körper massiv verändert wird. Wenn ich mir hingegen einen Magneten in die Fingerkuppe einsetzen lassen will, ist die Aufregung groß. Obwohl wir über einen winzigen Eingriff reden, bei dem etwas von der Größe eines Reiskorns eingesetzt wird. Das sind Lebenslügen, bei denen ich gerne ein paar Dinge vom Kopf auf die Füße stellen würde.  

Wo ziehst du selbst die Grenze?
Für mich sind alle Eingriffe in Ordnung, bei denen die Körperfunktionen sich nicht verschlechtern.  

Alles, was den Körper besser macht, ist in Ordnung?
Ja, natürlich.  

Muss man Atheist sein, um das so klar sagen zu können?
(überlegt lange) Schwer zu sagen. Ich würde mich nicht als Atheist bezeichnen. Ich habe für mich durchaus eine Gottesvorstellung. Aber beispielsweise mit der christlichen Sicht ist es natürlich vordergründig schwer zu vereinbaren. Andererseits: Als der Mensch in der Steinzeit anfing, Werkzeuge zu benutzen, als er Bildung weitergab, als sich Kultur und Gesellschaft entwickelte, war das auch schon eine Form der Selbstmodifikation. Bildung ist auch jetzt noch ein Sich-selbst-verbessern. Dass wir das noch nicht technologisch gemacht haben, liegt für mich an dem Umstand, dass die Technik bislang noch zu rudimentär war.  

Klingt nach einer Position, für die du viel Gegenwind bekommst.
Bislang tatsächlich weniger, als man erwarten würde.

Text: jakob-biazza - Foto: Ben de Biel

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