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Wie löst man den Streit um Stuttgart 21? Ein Mediator erklärt, wie's gehen könnte
Felix Wendenburg, 28, ist Mediator und außerdem Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Konfliktmanagement an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg. jetzt.de: In Stuttgart ist nun Heiner Geißler in der Bahnhofssache als Schlichter unterwegs. Was ist der Unterschied zwischen einem Schlichter und einem Mediator? Felix: Als Mediator strukturiere ich ein Verfahren, an dessen Ende eine Entscheidung getroffen werden soll. Ich will dabei alle an einem Konflikt beteiligten Parteien zu Wort kommen lassen, indem ich sie mit bestimmten Gesprächs- und Moderationstechniken dazu bringe, das zu sagen, was ihnen wirklich wichtig ist. Und dann schlägst du eine Lösung vor? Ein Mediator hat keinerlei Entscheidungsbefugnis. Bei der Schlichtung ist es anders. An deren Ende steht ein Schlichtungsspruch, der an die Öffentlichkeit getragen werden kann. So kann man Druck auf die Verhandlungsparteien entfalten.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Wann hole ich mir einen Mediator ins Haus? Immer dann, wenn ich in einem Konflikt noch ein Mindestmaß an Einigungsbereitschaft habe. Ist das in Stuttgart so? Allein der Ruf nach Herrn Geißler spricht dafür. Fraglich ist, wie viel Einigungsspielraum noch besteht. Es gab schon 1997 ein Raumordnungsverfahren zum Stuttgarter Bahnhof und 2001 ein Planfeststellungsverfahren. Rechtlich ist die Planung insofern in vielen Aspekten abgeschlossen, allerdings nicht in allen. Bei diesen Verfahren haben meist nur jene ein Einspruchsrecht, die zum Beispiel direkt in der Nachbarschaft der Baustelle wohnen. Stimmt das so? Das stimmt nicht ganz. Diese Verfahren verleihen theoretisch einem recht weiten Personenkreis das Recht, Einwendungen zu erheben. Dieser Personenkreis wird aber häufig praktisch unzureichend in Kenntnis gesetzt. Der Formalisierungsgrad und die Abstraktheit dieser Verfahren verhindern zudem, dass Leute sich angesprochen fühlen, die zum Beispiel die Stadt Stuttgart einfach mögen oder gerne im Schlosspark spazieren gehen. Die fühlen sich mangels vorheriger aktiver Einbindung dann zum Widerstand motiviert, wenn der erste Baum fällt. Ist es ein Fehler der Planer, wenn sie nicht schon in der Vorbereitung alle denkbaren Gegner ansprechen? Man könnte solche Projekte ergänzend und vorbereitend mediativ begleiten und schon vorher einen großen Kreis an Interessierten einbeziehen. Meiner Meinung nach wurde es verpasst, rechtzeitig auf die Bürger zuzugehen. Wahrscheinlich, weil man dachte, dass es nur Chaos gibt. Das ist kein abwegiger Gedanke. Das ist ein Trugschluss. Will man Chaos bei der Projektdurchführung vermeiden, dann muss man bei der Projektplanung schon vor verbindlichen Festlegungen möglichst alle Interessengruppen strukturiert einbeziehen, nicht nur den engen Kreis der im Rechtssinne Betroffenen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Heiner Geißler Wie geht das? Erst muss ich als Mediator klären: Will ich eine konsensuale Entscheidung ermöglichen oder soll ich nur die Interessen klären? Dann suche ich alle beteiligten Gruppen und identifiziere aus jeder Gruppe einen Vertreter für die Gespräche. Ich muss Bedingungen schaffen, die ein Sprechen und Zuhören ermöglichen. Okay, sagen wir, du hast eine kompakte Runde mit allen Beteiligten organisiert. Wie geht es weiter? Dann würde ich vermitteln, dass es zunächst nicht darum geht, die Konzepte gegeneinander zu stellen und sofort eine Lösung zu suchen. Es geht erstmal nur um ein Gespräch, in dem jede Partei ihre Interessen äußert. Ich muss die Motivationen herausfinden und wieder entzerren. Das klingt fast zu einfach. Ich weiß. Aber wenn einer da ist, der keine Eigeninteressen hat, der Gesprächsbeiträge strukturiert, der zusammenfasst, was gesagt wurde, um Missverständnisse zu vermeiden – dann sind die Parteien der Sorge entbunden, sich um das Verfahren zu kümmern. Wir versuchen zum Beispiel, das Phänomen der "reaktiven Abwertung" zu vermeiden. In manchen Fällen glaubt die eine Partei der anderen Partei kein Wort mehr, egal, was sie sagt. Der Mediator wiederholt dann ein Argument einer Partei und die Gegenpartei hört es plötzlich aus einem anderen Mund, hört aufmerksam zu und sagt im besten Fall: „Ach so ist das.“ Anschließend loten wir systematisch aus, wo es Einigungsspielräume gibt und wo nicht – und spielen für beide Bereiche Möglichkeiten für ein weiteres Vorgehen durch. Nun hat Bahnchef Grube gesagt, dass es in Sachen Bahnhof nur ein Ja und ein Nein gibt. Was machst du mit einer solch klaren Ansage? Damit ist ein Mediator häufig konfrontiert. Ich schaue hinter die Ansage und frage nach den Interessen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Felix Wendenburg
Was heißt das?
Ich erzähl dir mal das Orangenbeispiel. Zwei Kinder streiten sich um eine Orange. Die Mutter sagt: Ich habe euch beide gleich lieb, jeder bekommt die Hälfte. Wäre sie nach den Interessen gegangen, hätte sie beide fragen müssen: Was willst du mit der Orange machen? Sie hätte herausgefunden, dass das eine das Fruchtfleisch für einen Saft will und das andere die Schale zum Kuchenbacken braucht. Sie hätte beide Interessen befriedigen können.
Verstehe.
Wenn Menschen in einen Konflikt kommen, haben sie oft das Gefühl, es stehe nur eine begrenzte Masse an Lösungsstoff zur Verfügung. Das ist häufig nicht der Fall.
Kommen wir noch mal zu Herrn Grube: Wie begegnest du seiner Ansage?
Die Ansage ist seine Position. Ich frage aber nach dem Interesse, das er eigentlich hat. Warum soll dieser Bahnhof gebaut werden? Dazu kann Herr Grube mehr als nur "ja" und "nein" sagen. Auch die Gegner können mehr sagen als nur "ja" und "nein". Sie können zum Beispiel erklären, was genau sie schützen wollen. Positionen lassen sich nur gegeneinander stellen, aber mit Interessen lässt sich dann arbeiten. Ich schätze, die Interessen der beiden Parteien sind zu einem gewissen Prozentsatz vereinbar. Da eröffnen sich Einigungsspielräume.
Viele fordern generell mehr Bürgerbeteiligung in der Politik. Wäre eine Mediation ein Ersatz dafür?
Ich würde es nicht Ersatz nennen, eher eine Ergänzung zu den rechtlichen Verfahren.
Diskutieren die Mediatoren in Deutschland gerade viel über Stuttgart 21?
Anfang der Woche habe ich Studenten in Berlin unterrichtet und es ging den ganzen Tag um Stuttgart 21. Wir haben die Mediation durchgespielt.
Mit welchem Ergebnis?
Das will ich nicht sagen, weil wir über die Motive der Parteien nur spekulieren können. Ein Mediator würde ja mit allen persönlich sprechen.
Woher kommt das Berufsbild eigentlich?
Er hat mehrere Wurzeln und ist unter anderem in der Grasrootsbewegung der 70er in den USA entstanden. Dort hatten viele Juristen an den Fakultäten das Gefühl, dass das Gerichtssystem an Leuten vorbei entscheide. Sie haben sich bei den Anthropologen umgesehen, die wiederum konsensuale Streitlösungsformen bei indigenen Bevölkerungsgruppen untersucht haben. Das wurde in Kalifornien anschließend zum Beispiel in Nachbarschaftsstreits ausprobiert. Anfang der 90er ist das zu uns geschwappt mit dem Ziel, nachhaltigere Lösungen in Konflikten zu finden.
Klingt nach einem wahnsinnig noblen Job.
Ich finde ihn ungeheuer befriedigend. Das höre ich sogar von Richtern, die wir zu Mediatoren ausbilden. Sie sind oft unzufrieden: Die eine Partei verklagt die andere und beide müssen den Konflikt auf das juristisch Subsumierbare herunterbrechen. Das Urteil ist dann zum Beispiel ein „Ja“ oder „Nein“ zu der Forderung nach Schadensersatz. Das finden viele Richter unbefriedigend. Sie möchten von der Position zu den Interessen kommen. Sie möchten lernen, wie man nach den Interessen fragt. Wenn das gelingt, gehen auch Richter glücklicher nach Hause.
Text: peter-wagner - Fotos: ddp, dpa, privat