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"Werbung ist nicht einfach nur Andrehe"
Gib mir ein Beispiel für eine gelungene Werbung. Christian: Diese Ron Hammer-Geschichte von Hornbach war ziemlich gut. Das ist der Motorradfahrer, der hoch springt und dann vom Dach fällt. Ja. Und dann der Spot (zu finden unter dem Titel: "Ungeheuerlich: Die Kraft des Windes") von Nordpol, einer Werbeagentur in Hamburg. Eine genial einfache Werbung, in der ein Typ, der personifizierte Wind, über seine Einsamkeit spricht. Das ist Werbung für ein Energieunternehmen – muss man sich ansehen. Die haben auch die Werbung für Renault gemacht, mit dem Baguette und der Weißwurst im Crashtest. Wie gefällt dir die „Obi“-Werbung? Wie wo was … Ja. Nicht der letzte Brüller. Muss Werbung spannend sein? Sie muss funktionieren, das heißt, mich ansprechen, und zwar im Wortsinne. Werbung muss nicht, aber darf spannend sein. Warum sind eigentlich gerade die Baumärkte gerade so aktiv in Sachen leidlich kreativer Werbung? Mike Krüger singt für Hagebau, bei Hornbach werden Watsch’n ausgeteilt, weil ein Mann sagt „Und morgen ist wieder alles teuer“ … Keine Ahnung. Die haben alle kein Alleinstellungsmerkmal und positionieren sich deshalb über so markige Imagegeschichten, würde ich sagen. Sehr ordentlich finde ich an der Stelle auch „Praktiker“ mit der „20 Prozent auf alles außer Tiernahrung“-Aktion. Naja. Geht so. Als es irgendwann den Sommerschlussverkauf nicht mehr gab, brauchte es einen Aufhänger - man musste sich ins Gedächtnis rufen. Die Praktiker-Werbung wirft eine Frage auf und deshalb finde ich die gut. Welche Frage? Warum gibt es auf Tiernahrung keinen Rabatt? Das würde mich interessieren, wenn ich mich nicht schon informiert hätte. Der fadeste Slogan, der dir gerade in den Sinn kommt? Ganz schlimm ist “Storck – Part of Your World”. Das taucht in allen Spots rechts oben auf. Warum Englisch? Und „Part of Your World“ - bei Süßigkeiten? Meine Oma ist Part of my World. Das kann man besser machen. Du studierst noch - hast du schon mal in der Werbung gearbeitet? Nach dem Grundstudium bin ich nach Berlin gezogen und habe bei Töchter + Söhne angefangen, einer studentischen Kommunikationsagentur an der Universität der Künste Berlin. Ich habe dort zwei Jahre Text und Konzeption gemacht, für Kunden wie Bertelsmann, amnesty international und ProSieben. Und daraus hat sich der Werbekongress entwickelt? Nein, Töchter + Söhne ist eine „Tochter“ des Berliner Kommunikationsforums. Das ist ein Verein, den Kommunikationsstudenten 1991 in Berlin gegründet haben und der neben dem Werbkongress noch weitere Nachwuchsveranstaltungen ausrichtet, zum Beispiel den "BruttoSozialPreis" und "So Klingt Berlin".
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Im Workshop. Ihr seid gerade an 100 Hochschulen in Deutschland unterwegs, um Teilnehmer für den Werbekongress zu werben. Das ist üblicherweise doch eine Branchenschau für Grafiker und Kommunikationswissenschaftler, oder? Auf keinen Fall. Ich stamme ja selbst nicht aus diesem verengten Kommunikationssektor. Wir wollen auch die Leute, die mit Werbung nichts am Hut haben, auf die Veranstaltung holen. Wir wollen den Werbeagenturen auch die Leute vorstellen, an die sie sonst nicht rankommen, die sich nicht von sich aus bewerben würden. Auf der nächsten Seite: Wie der Werbe-Kongress zu einer Brücke ins Berufsleben werden kann.
Wir reden also von einer Art Job-Messe. Im Prinzip handelt es sich um eine Recruiting-Veranstaltung für Agenturen. Wir sind eine Brücke ins Berufsleben. Wieviele Leute können bei den Workshops mitmachen? Gut 200. Was machen die? Die Agenturen wollen neue Leute ausprobieren. Wir liefern das Arbeitsumfeld und einen echten Kunden, der etwas erarbeitet haben möchte. Was? Eine Kommunikationskampagne, eine Strategie und die passende Kreation dazu. Bis zur Veranstaltung bleibt der Auftraggeber geheim. Man erfährt kurz vorher nur die Branche und am ersten Workshoptag wird dann das Briefing verlesen. Wer waren in den letzten Jahren die Kunden? Renault, Frontshop … letztes Jahr hatten wir Axel Springer Digital TV.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Christian studiert an der FU und an der HU in Berlin Germanistik und Politik. Für die Organisation des "Werbekongreß 2008" hat er sich zwei Freisemester genommen.
Und was geschieht in den Workshops?
Je zehn Leute werden von je einer Agentur betreut, die gemeinsam mit den Studenten eine Strategie entwickeln. Am zweiten Tag erarbeitet das Team eine Kreation auf die Strategie, zusammen mit einer anderen Agentur. Im besten Fall entstehen wegen der 18 Agenturen, die mitmachen, auch 18 Kampagnenansätze. Die kann der Auftraggeber mitnehmen.
Werden die auch umgesetzt?
Bisweilen schon. Manchmal dienen sie den Unternehmen auch nur zur Inspiration oder als Testballon.
Haben die Werbeagenturen denn nicht schon genug Bewerbungen? Wozu noch mehr Recruiting-Bohei?
Die wollen Nachwuchs sehen, den sie normalerweise nicht zu Gesicht bekommen. Und sie wollen was für ihr Standing tun.
Sind da schon Leute in Jobs gekommen?
Der Projektleiter des vergangenen Jahres ist bei Axel Springer gelandet, ein anderer bei Scholz & Friends. Zwei Freunde von mir hatten nach dem Kongress 2006 gleich einen Job.
Was kostet eigentlich solch ein Kongress?
Gut 250 000 Euro.
Puh.
Naja, die Agenturen zahlen für's Mitmachen, der Kunde für die Bearbeitung seiner Aufgabe und die Studenten zahlen für die Teilnahme auch - 68 Euro. Den Rest versuchen wir über Sponsoring reinzubekommen. Man glaubt nicht, was alles Geld kostet, bis man es nicht in der Kalkulation gesehen hat.
Wie ist denn die Resonanz auf eure Werbetour an den Hochschulen?
Hm, Werbung ist grundsätzlich für viele „Bäh“. Keiner mag sie so richtig, sie wird von vielen als Andrehe empfunden. Wir wollen aber zeigen, dass gute Werbung nicht Andrehe, sondern Dialogpartner sein muss, will sie jemanden erreichen. Konsumenten sind zu medienerfahren und zu klug für Andrehe. Auch die Dummen.
Wie kommt ihr damit an?
Schon gut, aber wir sehen gerade, dass die Bachelorisierung der Tod für solche Veranstaltungen wie unsere ist.
Was meinst du damit?
Den Bildungsweg junger Menschen. Das ist im Prinzip ein Bildungsthema – wenn für Eigeninitiative während der Studienzeit keine Chance mehr bleibt, bleibt auch keine Chance mehr, kreativ zu sein, etwas auszuprobieren und zu verstehen, statt etwas beigebracht zu bekommen. Studenten haben einfach keine Zeit mehr, werden gezwungen, Dinge so dahinzuschludern. Uns geht es da nicht anders, und das gefällt uns nicht. Natürlich ist das jetzt sehr verkürzt, aber wer genau wissen will, wo es in Sachen Nachwuchs brennt, ist herzlich eingeladen, sich den
Themenaufriss unseres Kongresses anzusehen. Uns geht es bei den drei Tagen auch um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Situation, die sich durch die Studienreform für die Werbung und den Nachwuchs ergeben hat.
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Hinweis: jetzt.de ist neben der "taz" oder "brand eins" einer der Medienpartner des Werbekongreß.
Text: peter-wagner - Fotos: privat