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„Wenn sie brüllen, sollten wir zuhören"
jetzt.de: Death Metal und Hardcore gibt es schon seit 2002 in Angola. Du hast die Szene dabei begleitet, wie sie eins der ersten nationalen Konzerte organisierte. Wie sind sie denn so, die afrikanischen Mosh Pits?
Jeremy Xido: Nicht so anders als die Pits bei Konzerten zum Beispiel in New York oder so. Die Szene fühlt sich aber natürlich jünger an, wie in den frühen Tagen des Rock'n'Roll. Bei uns springt einer in die Mitte und kickt ein wenig um sich. Er macht sich Platz und dann werfen sich die anderen auch hinein. In Angola ist es dagegen wie mit Popcorn. Sie lassen es zusammen knallen, wenn es heiß wird. Man spürt die Energie und merkt, da entsteht gerade etwas Neues.
Und das in einem Land, in dem man noch immer aufpassen muss, was man sagen darf und was nicht...
Klar, die Gesellschaft in Angola empfindet die Konzerte und die extrem harte Musik manchmal als bedrohlich. Die Menschen können das Potenzial der Musik nur schwer einschätzen. Die Songtexte behandeln dazu noch Tabuthemen wie den langen blutigen Krieg. Sie bringen auf den Punkt, was die extrem armen Menschen von den Verhältnissen im Land halten. Das mag nicht jeder.
Zum Glück versteht die Schreierei ja sowieso keiner.
Umso mehr Angst macht sie manchen Menschen. Sagen wir so: Es war schon ein schlauer Gedanke der Szene, die Machthaber vom ersten Konzert an miteinzubeziehen.
Haben Sie dem Präsidenten Angolas etwa ein Instrument in die Hand gedrückt?
Sie haben Politiker getroffen und ihnen erklärt, dass Death Metal tatsächlich auch afrikanische Wurzeln hat. Viele Rhythmen aus Metal und Rock'n'Roll wurden zuerst von Afroamerikanern erfunden. Erst danach haben sie sich in den USA und Europa weiterentwickelt. Sie kommen jetzt nur zurück nach Hause. Das hat die Regierung beruhigt.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Wilker Flores, eine der wichtisten Künstler der Death-Metal-Szene in Angola
Wir kennen Death Metal als böse Schrei-Musik mit Garagen-Sound und seltsam geformten Gitarren.
Das stimmt. In den Texten geht es meistens um den Tod und um das Böse im Generellen.
Passt das wirklich nach Angola?
Offensichtlich, es gibt heute zahlreiche dieser Bands im Land: Before Crush, Nothing 2 Lose oder Dor Fantasma, um nur einige zu nennen. Und jeden Tag kommen neue dazu. Sie lassen sich aus der angolanischen Musikkultur beeinflussen, genauso wie aus der europäischen und amerikanischen Death Metal- und Hardcore-Musik. Der harte Sound wirkt einfach nur positiv auf die Menschen.
...positiv?
In den letzten vierzig Jahren herrschte eigentlich ausnahmslos Krieg in Angola. Er hat die gesamte Infrastruktur zerstört. Schulen, Straßen, Strom. Über diese Zeit hinweg haben die Leute die Möglichkeit verloren, miteinander zu sprechen und von einander zu lernen. Meine Theorie lautet, dass dann auf einmal junge Angolaner, die während des Kriegs nach Portugal flüchteten, Rock und Metal mit zurück brachten. Wie sich dann eine ganze Death-Metal-Szene entwickeln konnte, bleibt auch mir ein Geheimnis.
"Before Crush", die erste Band von Cube Records, das erste Metallabel Angolas
Und die Leute lernten sich anzuschreien, anstatt miteinander zu reden?
Sie haben gelernt, miteinander zu schreien. Als Band musst du üben, mit deinen Bandmitgliedern um Songs streiten, du musst dein Instrument von anderen spielen lernen. Schlagzeuge, Bässe und Gitarren untereinander verleihen. Manchmal sogar selbst bauen. Es entsteht eine soziale Bewegung.
Aber das alles würde doch mit freundlicherer Musik auch gehen?
Durch die Bösartigkeit und die Power von Metal und Hardcore bekommen die jungen Leute die Möglichkeit, ihre dunklen Erinnerungen und Gefühle direkt zu konfrontieren. Sie lernen Dinge über sich, von denen sie bis dahin nichts wussten. Zusammen.
Du meinst, sie reagieren sich zusammen ab?
Ich meine, sie können das anfassen, was sie als bedrohlich empfinden. Was ihnen Angst macht. Klar, die Texte sind düster, und die Gitarren tief. Aber genau das ist es, was einen befreien kann. Das ist kein Widerspruch. Nicht in Angola, auch nicht in den USA oder Deutschland.
Der Trailer zu Jeremy Xidos Film über die DMA-Szene
Schauen sich deshalb so viele Leute auch außerhalb Afrikas deinen Film an, weil sie sich identifizieren?
Natürlich betrachten viele Leute den Film als exotisch. Junge Afrikaner spielen diese düstere, satanische Musik, die normalerweise mit weißen langhaarigen Männern verbunden wird...
...klingt nach einem Haufen Klischees.
Ja, und „Death Metal Angola" bricht diese Klischees. Die Szene beweist, dass Afrika wesentlich komplexer ist, als es die Leute im Westen mitbekommen. Eben nicht nur Krieg und Giraffen. Was oft im TV gezeigt wird, hat wenig mit dem echten Leben zu tun. Man denkt immer, man müsse dem Kontinent helfen. Dass er irgendwie schlechter sei. Dabei kann in diesem speziellen Fall eher der Westen von Angola lernen.
Und zwar was genau?
Was die Szene in Angola zusammen auf die Beine stellt, trotz der großen Armut in der einfachen Bevölkerung, trotz großer Korruption und Krieg, ist Wahnsinn. Es wird zu einem Modell.
Hast du ein Beispiel?
Ich komme aus Detroit. Das ist eine Stadt, die von der Krise wirklich schlimm gebeutelt wurde. Wenn Leute von hier den Film sehen, dann erkennen sie sich selbst wieder. Sie sehen eine junge Gruppe von Musikern, die die Überreste ihrer Gesellschaft einfach aufheben und etwas Positives daraus machen.
Lehrmeister African Death Metal?
Ja! Die haben hier einfach etwas, das sie uns beibringen können: Durchhaltevermögen, Willen und eine Antwort darauf, wie man seine Ängste konfrontiert. Wenn junge Leute in Afrika in ein Mikro brüllen, dann sollten wir wirklich zuhören.
"Death Metal Angola" wurde bisher nur auf Festivals gezeigt. Jeremy Xido verhandelt momentan mit internationalen Verleihern für weitere Kinovorführungen, auch in Deutschland.
Text: max-biederbeck - Fotos: DMA