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"Wenn du dich nicht verstanden fühlst, wirst du aggressiv"
Seine Chancen standen eigentlich schlecht: Geboren wurde Adrian Topol in Polen. Erst im Alter von acht Jahren kam er nach Deutschland, ohne die Sprache zu können. In eine deutsche Kleinstadt in NRW, nach Ahlen, eine typische Zechenstadt, in der man noch heute das Gefühl hat, die Kohle ist an den Gebäuden hängen geblieben. Doch Adrian Topol ist rausgekommen und heute ein etablierter Schauspieler, man kennt ihn zum Beispiel aus manchem Tatort, aus „Franz + Polina“ oder „Polnische Ostern“. In Ahlen, der Stadt die er inzwischen als seine Heimat bezeichnet, hat er mit dem gemeinnützigen Verein „Keiner geht verloren“ ein Schauspielprojekt aufgezogen. Der Verein unterstützt Jugendliche dabei, von der Straße runterzukommen und bereitet sie auf eine Berufsausbildung vor. Einmal im Monat fuhr Topol deshalb zum Schauspielunterricht nach Ahlen. Nach drei Jahren und zwölf Drehtagen ist daraus auch ein Film entstanden: „Augenblick“, eine Geschichte über zwei Freunde, die in Ahlen mit Gewalt und Drogen aufwachsen. Wir haben mit Adrian Topol über Gewalt in der Klein- und der Großstadt gesprochen, über Missverständnisse, Respekt und entscheidende Augenblicke.
Jetzt.de: Seit 2001 lebst du in Berlin, geboren wurdest du 1981 in Polen und dazwischen bist du aufgewachsen in Ahlen, einer Kleinstadt im Münsterland. Wo ist das Leben als Jugendlicher härter - Berlin oder Ahlen?
Adrian Topol: Schwer zu sagen, denn hier in Berlin habe ich nicht viel Kontakt mit Jugendlichen. Ich glaube aber, das nimmt sich nicht viel. Auf der Rütli-Schule in Berlin wird es schon ein bisschen härter zugehen als auf der Hauptschule Ahlen. Aber wenn man mit den Jugendlichen alleine spricht, sind sie gar nicht mehr so hart. Erst in der Gruppe entsteht bei den Kids das Gefühl, sich beweisen zu müssen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Adrian Topol.
Warum ist deine Familien damals nach Deutschland gekommen?
Weil meine Eltern uns ein besseres Leben ermöglichen wollten, mir und meinen Geschwistern. Damals, bevor wir ausgesiedelt sind, gab es in Polen zehn Jahre lang nur Ausnahmezustand. Egal, wie viel du verdient hast, du hast nur bestimmte Dinge über Wertmarken bekommen. Bessere Sachen gab es nur über Kontakte. 1989 in Polen habe ich noch nicht mal gewusst, was eine Kiwi ist und hatte noch nie eine Banane gesehen. Das war echt eine ziemlich harte Zeit. Und da meine Oma eine deutsche Spätaussiedlerin ist, haben meine Eltern irgendwann beschlossen nach Deutschland zu gehen.
Dann konntest du damals also schon Deutsch sprechen?
Nein, gar nicht. In der Grundschule gab es aber extra Deutschunterricht nach Schulschluss, für Migrationskinder. Das war wirklich gut.
Wenn du jetzt deine Jugend in Ahlen mit den Erfahrungen der Jugendlichen aus dem Projekt vergleichst: Hat die Gewalt zugenommen?
Die Gewalt gab es damals auch schon. Aber der Drogenkonsum ist heute deutlich mehr geworden und die Kids sind viel jünger, wenn sie das erste Mal leichte Drogen nehmen. Außerdem ist die Respektlosigkeit gegenüber Eltern und Lehrern größer geworden, denke ich. Es war damals schon nicht leicht, an der Hauptschule zu unterrichten, aber heute möchte ich wirklich nicht Lehrer sein.
Aber was hat denn damals bei dir funktioniert, was heute falsch läuft? Was fehlt den Jugendlichen?
Die Sprache, ganz klar. Als wir in Ahlen angekommen sind, hatten die Polen keine so große Kultur hier vor Ort. Du musstest dich integrieren, sonst warst du sehr einsam. Als türkisch- oder arabischstämmiges Kind hast du eine viel größere Infrastruktur. Du musst weder Zuhause noch in den Geschäften Deutsch reden, nur in der Schule. Bei der Arbeit mit meinen Kids in Ahlen habe ich gemerkt, dass die bestimme Worte nicht verstanden haben.
Woran liegt es deiner Meinung nach, dass so viele abrutschen?
Das wird mehrere Ursachen haben. Die Lehrer sprechen ja schon in der vierten Klasse eine Empfehlung aus, welche weiterführende Schule du besuchen sollst. Diese Empfehlung begleitet dich dein ganzes Leben. Das ist ein riesiger Fehler im deutschen Schulsystem, mit dem wird dein Lebensablauf beschlossen. Klar, es ist eigentlich nur eine Empfehlung, aber die wenigstens Eltern stellen sich dagegen. Gerade die Eltern von Migrationskindern tun das nicht. Ich war grade drei Jahre hier in Deutschland, in der Schule hatte ich nur Dreien und Vieren und hatte eine Empfehlung für die Hauptschule. Meine Eltern konnten mir dabei auch nicht helfen. Ich bin selbst erfolgreich dagegen angegangen, weil ich das damals nicht fair fand. Das war mein Glück. Aber wäre ich auf die Hauptschule gekommen...
Was dann?
Man darf das nicht verkennen, das sind häufig ziemlich intelligente Kids. Aber die langweilen sich dort, denn wenn du lernst, bist du gleich der Streber auf dem Schulhof. Auf einer Hauptschule, ganz ehrlich, ist das Umfeld alles andere als lernfördernd. Mein damaliger bester Kumpel ist auf die Hauptschule gekommen und hat mir dann immer davon erzählt. Dort zählt es nicht, wenn du gute Noten bekommst. Da zählen andere Sachen. Wie du auf dem Schulhof bist, wie du ankommst. Manche raffen sich danach auf, manche nicht. Das ist das große Problem mit dem Schulsystem.
Musstest Du dich sehr durchsetzen, um von den Jugendlichen als „Lehrer“ anerkannt zu werden?
Die waren schon von vorneherein neugierig auf das Projekt. Ich habe auch nicht direkt vom Stoff für den Film oder dem Schauspielunterricht geredet. Erstmal haben wir uns kennengelernt, Blödsinn gemacht und Fußball gespielt – bis mir die Lunge gebrannt hat! Ich habe auch viel von mir erzählt, von meinem Leben und Erfahrungen, dass ganz viel aus eigener Kraft heraus geht. Ich bin ja auch ein Migrationskind und hatte nicht die besten Chancen. Darum habe ich immer ganz klar gesagt: Das ist eure Chance, nutzt sie oder lasst es bleiben, aber gebt die Schuld hinterher nicht jemand anderem. Das ist euer Leben.
Hat das funktioniert?
Ja, ich habe schon gemerkt, dass die genau solche klaren Ansagen gebraucht haben. Ich war dabei nicht böse, aber es musste einfach klare Regeln und Grenzen geben. Die Kids durften aber nie das Gefühl haben, ich versuche sie klein zu kriegen. Ich habe Respekt vor ihnen gehabt, und sie dann auch vor mir.
Hast du mit den Jugendlichen auch darüber geredet, warum es so viel Gewalt bei ihnen gibt?
Klar, wir haben da wie Freunde drüber geredet, auf Augenhöhe. Sie wussten auch sehr genau, warum welche Dinge passieren. Das größte Problem bei Migrationskindern ist aber wirklich, dass ihnen das Vokabular fehlt. Wenn dir die Worte fehlen, deine Gefühle auszudrücken, entstehen Missverständnisse. Und wenn du dich nicht verstanden fühlst, wirst du aggressiv. Das habe ich sehr viel während der Projektarbeit gemerkt. Mit einem sehr kleinen Wortschatz auszudrücken, was dich beschäftigt oder belastet ist einfach sehr schwer.
Du möchtest ja ein solches Filmprojekt noch größer aufziehen, das ist zumindest der Plan. Dann kannst du noch mehr Jugendliche erreichen, auch außerhalb von Ahlen. Aber wie soll das genau aussehen?
Wir zeigen zunächst in den Schulen in ganz NRW den Film „Augenblick“ aus dem Ahlener Projekt. Der soll dann auch im Unterricht besprochen werden und die Kids zum Nachdenken bringen. Es ist uns hoffentlich geglückt, dass der Film die Sprache der Jugendlichen spricht, sodass sie den Film ernst nehmen und sich dann ihre Gedanken machen.
Und weiter?
Es wird dann eine Website geben. Auf der gibt es Infos zu dem alten Projekt aus Ahlen, aber auch zu dem Neuen. Wir wollen die Jugendlichen dazu ermutigen, uns Geschichten aus ihrem Leben zu schicken, oder sich welche auszudenken. Und aus ein paar besonders geeigneten Geschichten wird dann ein Drehbuch für einen 90-minütigen Film entstehen. Danach würde man dann casten, auch an den Schulen, und Profis und Laienschauspieler mischen. Die Kids bekommen dann Schauspielunterricht, vielleicht in den Sommerferien, und können etwas von den Profis lernen.
Und die Profis können dann ja einen Bezug zu der Lebensrealität der Jugendlichen kriegen?
Ja, denn aus diesen verschiedenen Gesellschaften in denen man dann lebt, kommt man nicht so einfach raus. Das ist auch meiner Meinung nach das Problem des Theaters. Die Stücke, die gesellschaftliche Probleme besprechen, sollen ja auch von einer bestimmten Schicht gesehen werden, aber diese Leute gehen nicht ins Theater. Es schauen sich also die gleichen Leute immer wieder dieselben Sachen an und klopfen sich danach auf die Schulter. Aber es kommt nirgendwo an. Das soll bei unserem Film anders sein.
Text: lara-wiedeking - Foto: Oliver Rath