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"Weizen wurde schließlich nicht von einem Konzern erfunden"
Die Verwirrung um die Saatgutrichtlinien der EU wurde immer größer: Erst sollte sogar allen Kleingärtnern verboten werden, das anzupflanzen, was sie wollen, dann war es plötzlich eine Fehlinformation, jetzt hat die EU-Kommission laut Niedersachsens Agrarminister Christian Meyer ihre Pläne komplett verworfen. Und alle schimpfen munter auf die Saatgut-Lobby. Dabei war den meisten bis vor Kurzem gar nicht bewusst, dass es so etwas wie eine „Saatgut-Lobby“ überhaupt gibt und die auch noch irgendwo Einfluss hat. Herbie Schwiegler hingegen, gelernter Landschaftsgärtner aus Berlin, ist schon seit Jahren ein Feind der großen Saatgutkonzerne. Er unterstützt Kampagnen zur Erhaltung der Agrarvielfalt, organisiert Infostände und veranstaltet Saatguttauschbörsen. Im Interview mit jetzt.de erklärt er, warum die Vielfalt des Saatguts zu unserer Kultur gehört, die wir seiner Meinung nach nicht kampflos den Großkonzernen überlassen dürfen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
jetzt.de: Ehrlich gesagt dachte ich beim Thema „Saatgut“ erst einmal: Das kann mir doch relativ egal sein. Doch dann wurde es zum Streitpunkt in allen Medien. Warum ist das Thema so wichtig?
Herbie Schwiegler: Der Genpool in der Landwirtschaft verengt sich gerade immer mehr. Es gibt nur noch wenige große Firmen, bei denen alles zusammenläuft. Die setzen auf standardisierte Sorten und verdrängen damit die Kleinen immer mehr. Es kommt zu einer Uniformität in unseren Lebensmitteln. Früher gab es zum Beispiel ganz viele Weizensorten und heute nur noch eine Hand voll, die alle so gezüchtet sind, dass sie industriell möglichst gut verarbeitet werden können.
Das ist vielleicht schade um die kleinen Sorten, aber ist es wirklich so schlimm?
Die verschiedenen Sorten sind alle für verschiedene Standorte geeignet. Es werden aber keine regionalen Eigenarten mehr berücksichtig, sondern überall wird das gleiche angebaut, ob der Boden nun feuchter oder nährstoffarmer ist. Was nicht passt, wird mit Chemie ausgeglichen. Darin liegt eines der großen Probleme. Die Industrialisierung wird also immer krasser und eine Verordnung wie von der EU-Kommission geplant würde das noch unterstützen.
Was sind die anderen großen Probleme?
Wenn die alten Sorten nicht mehr genutzt werden, sterben sie aus. Wenn nun von der Hand voll Getreidesorten, die angebaut werden, durch klimatische Veränderungen drei oder vier wegfallen und keine Ernte mehr bringen, haben wir auch ein großes Problem.
Dann würde es doch aber genügen, ein paar von diesen Sorten für verschiedene Bedingungen aufzuheben in einer Art „Samenbank“, auf die man im Notfall zurückgreifen kann.
Nein, solche Notfallszenarien sind ja nicht das Einzige, was für Vielfalt spricht. Durch die Standardisierung gehen viele Besonderheiten verloren. Es gibt zum Beispiel so viele verschiedene Rote-Beete-Sorten, die alle unterschiedlich schmecken, aber man bekommt höchstens eine im Laden. Und auch das Wissen geht damit peu à peu hops. Wenn ich für andere Leute mit gelber Beete oder weißen Möhren koche, fragen die mich, ob da Lebensmittelfarbe dran ist. Und ich denke mir nur: Mensch Leute, die Möhre ist von Haus aus weiß bis violette. Die orangefarbene wurde erst vor 200 Jahren in Holland gezüchtet. Die Menschen wissen einfach immer weniger darüber, obwohl es zu unserem Kulturgut gehört.
Möhren zählen zum Kulturgut?
Ja, Saatgut ist ein Kulturgut, das es seit Tausenden von Jahren gibt – eben genauso lange wie die Landwirtschaft selbst. Und zu der Kultur gehört auch das Tauschen, Verschenken und sich Aushelfen mit Samen unter den Bauern. Das kann man nicht einfach verbieten. Etwas, was als Gemeingut entstanden ist, darf keiner so einfach privatisieren oder patentieren. Weizen wurde schließlich nicht von irgendeinem Konzern erfunden.
So genau weiß man ja gerade noch nicht, was nun aus der Reform der EU-Kommission wird. Zumindest die Kleingärtner müssen aber anscheinend doch nichts fürchten und dürfen weiterhin anbauen und tauschen, was sie wollen.
Das macht die Sache ja nicht besser. Dann wären zum Beispiel immer noch kleine Saatguthändler betroffen, die sich dafür einsetzen, dass alternative Sorten erhalten bleiben. Laut der neuen Regelung sollten solche Samen gar nicht in den Verkehr kommen. Aber selbst wenn von dieser Richtlinie jetzt schon wieder abgelassen wurde, die bestehende ist nicht viel besser. Es liegt auch jetzt schon alles zum Großteil in den Händen weniger Konzerne, es dürfen schon jetzt nicht alle Sorten in den Handel und es mangelt schon jetzt an Vielfalt. Die Kampagne für Saatgut-Souveränität verfolgt den Gesetzgebungsprozess schon seit Längerem. Für die, die es genauer wissen wollen.
Was glaubst du, wäre passiert, wenn Kleingärtnern bestimmtes Saatgut verboten worden wäre? Hätte es vielleicht bald einen illegalen Schwarzmarkt für Karottensamen geben?
Ich glaube, die meisten hätten einfach so weiter gemacht wie bisher. Sie hätten weiter getauscht und verschenkt und gesät, weil sie es als ihr Recht ansehen und sich das auch nicht nehmen lassen. Punkt.