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Was muss ich über Romantik wissen, Sven Regener?

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Herr Regener, wenn Sie das Wort „Romantik“ hören, was ist dann das Erste, woran Sie denken? Sven Regener: Eigentlich geht der Romantikbegriff bei Element of Crime darauf zurück, dass wir mal einen Off-Tag hatten, nach einem Konzert in München und vor einem Konzert in Wien. Den haben wir im „Romantik Hotel Lindner“ in Bad Aibling bei Rosenheim verbracht. Und damals war das noch so, dass man Geld sparen wollte und Doppelzimmer genommen hat. Dann war die Frage: Wer macht mit wem Romantik? Romantik bezog sich bei Element of Crime immer auf das Belegen von Doppelzimmern. Mittlerweile haben wir nur noch Einzelzimmer, das ist ja auch eine Frage der finanziellen Umstände. Wann haben Sie denn das letzte Mal bewusst Romantik inszeniert? Das ist natürlich total privat. Es ist höchst unromantisch, seinen privaten Quark, seine persönlichen romantischen Erlebnisse, in die Öffentlichkeit zu tragen. Selbst, wenn es die Öffentlichkeit von jetzt.de ist, die ja die sympathischste aller Öffentlichkeiten ist. Ist es romantisch, wenn sich zwei Menschen abends in die Küche setzen, Bier trinken und Element of Crime-Lieder hören? Das kann sehr romantisch sein, muss es aber nicht. Das hängt davon ab, wie man drauf ist, das hängt von einem selber ab. Welche Momente man als romantisch empfindet, das hat ja viel mit Liebe und so zu tun. Das hängt davon ab, ob man das will, ob man das zulässt, und wann man das so empfindet. Es gibt ja auch den Vorwurf: Das ist mir jetzt zu unromantisch! Auch das ist individuell verschieden, wann man das so empfindet.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Versuchen Sie mit ihren Liedern und Büchern einen Gegenentwurf zur Standard-Romantik zu schaffen? So als Romantik-Kommissar? Nein, das würde ich nicht sagen. Ich glaube nicht, dass es darauf ankommt, den Leuten irgendwas auszureden oder dem etwas entgegenzusetzen. Wenn das mein Antrieb wäre für das, was ich tue, dann wäre mir das zu negativ. Das wäre dann auch so was Erzieherisches, das liegt mir nicht so, das Didaktische. Man könnte Ihr Werk aber doch als Angebot verstehen: Hier ist mal ein bisschen was anderes! Wir haben einfach Songs geschrieben, und das waren dann immer Liebeslieder. Das ist ja auch das Alpha und das Omega: Es gibt zwei wesentliche Themen in der Pop- und Rockmusik, entweder sind es religiöse Themen, oder es sind Liebesthemen. Den Rest gibt’s auch noch, aber der ist von der Bedeutung her relativ minimal. Wir haben das nie groß verschleiert. Wovon sollen denn Songs sonst groß handeln? Vom Einkaufen? Kann man auch machen, das macht sicher auch ab und zu mal Spaß, aber das kann schnell fad werden. Wo hört für sie als Künstler Romantik auf und fängt Kitsch an? Angst vor Kitsch sollte man nicht haben. Sicher gibt es den Moment, wo man sagt: Das ist jetzt ein bisschen over the top und kitschig. Ich bin nicht der kulturwissenschaftlich Interessierteste, so dass ich einen Unterschied zwischen dem einen und dem anderen definieren könnte. Das merkt man ja von selbst, wo’s klebrig wird, wo’s nervt, das muss man im Gefühl haben. Unsere Songs haben natürlich immer auch einen romantischen Aspekt, das ist überhaupt nicht zu vermeiden. Es gibt dieses schöne Kurzgedicht von Eichendorff: „Schläft ein Lied in allen Dingen, die da träumen fort und fort / Und die Welt fängt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort.“ Das ist natürlich der romantische Ansatz. In allen Dingen schlummert noch etwas anders, alles kann zum Zeichen von allem werden, das ist sogar schon ein barocker Ansatz. Der zeigt eigentlich bloß auf, warum es möglich ist, über schmutzige Kaffeetassen zu singen, und es trotzdem romantisch sein kann. Finden Sie es kitschig, wenn sich zwei Menschen im Park treffen und auf den Sonnenuntergang warten? Das kann man auch machen, klar! Warum sollte man so was nicht tun? Das kann doch toll sein, sich einen Sonnenauf- oder untergang zusammen anzugucken. Das ist was Schönes, was sehr Schönes, und die Leute tun das ja auch dauernd. Das hängt natürlich auch davon ab, was davor gelaufen ist, und was danach vielleicht noch laufen sollte, ob man gerade einen Kater hat oder nicht, ob die Füße weh tun, alles Mögliche. Allerdings kann man natürlich nie sagen, wie es dann wird. Was ist denn das Romantischste, was Sie Ihren Romanhelden Frank Lehmann haben machen lassen? Ich glaube, die Verabredung, die er mit der Sibylle hat, wo sie dann zusammen jugoslawisch essen gehen, in „Neue Vahr Süd“. Das ist schon sehr romantisch und endet dann aber doch so furchtbar traurig. Das sind ja zwei Seiten derselben Medaille. Der romantische Ansatz liegt ja schon darin, mit ihr essen zu gehen. Und unter den Bedingungen entwickelt das seinen ganz eigenen Reiz. Er redet mit ihr über diesen ganzen Quatsch wie Leben verändern und so, und in Wirklichkeit denkt er über ganz andere Dinge nach. Es gibt auch einen ganz seltsamen romantischen Moment in „Der kleine Bruder“, wo er diese Galeristin trifft, und man merkt, irgendwie ist da was in der Luft, aber er will das nicht, weil er dafür den Kopf nicht frei hat, er hat andere Probleme und blockt das ab - auch ein interessanter Aspekt. Wenn man glaubt, Frank hat nun endlich mal das große Glück gefunden, auch mit Frauen, dann nehmen Sie ihm das gleich wieder weg. Das ist ja auch gar nicht ganz unrealistisch, das ist nun mal so im Leben, da klappt nicht immer alles. Manche sagen, das wäre boshaft, aber auch das gehört zur Natur der Sache. Frank Lehmann ist so gestrickt, dass er das alles nicht so gut plant, bei ihm ergibt sich das eher zufällig. Er ist nicht gut im Planen, und ich selbst glaube, mit Planen, mit Kerzen und allem, so funktioniert die Romantik meistens nicht. Das kommt oft ganz anders und von alleine, wie mit Sibylle in dieser Kneipe da in Bremen, wo plötzlich was geht, und er sich nicht mal mehr darüber wundert. Die Romantik kommt immer dann um die Ecke, wenn man gerade nicht damit rechnet. Kerzen anzünden geht meistens schief, das mit den Kerzen sollte man nicht überschätzen, das funktioniert meistens nicht, weil’s im Grunde genommen die Situation lähmt und steif macht und einschüchtert. Sie sagen also, Frank Lehmann würde immer wieder etwas Großes schaffen, ohne es dabei wirklich zu merken? Ja, wie im richtigen Leben. Da nehme ich mir ja auch nicht vor, mal eben was Großes zu schaffen, so klappt das meistens nicht. Und das hat natürlich alles seine Gründe, warum ihm bestimmte Dinge passieren. Das Leben ist nicht so einfach planbar. Und es gehört ja auch zu Frank Lehmann, dass wenn er etwas macht, er auch meistens mächtig daneben greift. Man muss ja ganz ehrlich sagen, dass wir oft sehr viel weniger Herr unseres Schicksals sind, als wir glauben. +++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das Buch "Der kleine Bruder" von Sven Regener ist diese Woche im Eichborn Verlag erschienen.

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