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Was in der Duma stattfindet ist Theater

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Vor drei Wochen verabschiedete das russische Parlament ein Gesetz, das Nichtregierungsorganisationen (NGOs)unter die Aufsicht einer neu zu schaffenden Registrierungsstelle stellen soll. Experten glauben, dass sich die Möglichkeiten in Russland Druck auf missliebige Organisationen auszuüben, enorm vergrößern werden. Jens Siegert, 45, ist Politologe und leitet das Moskauer Büro der Heinrich-Böll-Stiftung, die in den Bereichen Ökologie, Frauenpolitik und Vergangenheitsbewältigung mit russischen NGOs kooperiert. Im Gespräch mit jetzt.de gibt er eine Einschätzung, wie sich das Gesetz auf die Arbeit von NGOs und die russische Zivilgesellschaft im Allgemeinen auswirken wird. Die Reaktionen auf die Verabschiedung des Gesetzes von Seiten westlicher Regierungen blieben eher moderat? Die schärfste Verurteilung kam wohl von Seiten der USA. Auch von der deutschen Seite kamen recht scharfe Anmerkungen. Insbesondere von den Grünen und der FDP, teilweise auch von der CDU. Sozialdemokratische Politiker haben sich sehr stark zurückgehalten, was ja auch gut in die langfristige Linie des früheren Bundeskanzlers passt: Sich still stellen bei öffentlicher Kritik und das lieber intern besprechen. Dem Kreml nahe Kreise halten die Kritik aus den USA für unhöflich, die Deutschen seien jedoch „wahre Freunde“. Wenn sie Kritik üben, dann in einem angemessenen Rahmen. Was mehr oder besser wirkt, ist eine andere Frage. Wie ist denn die Reaktion in Russland selbst? Die Gesetzesinitiative hat einen für mich unerwarteten starken Protest hervorgerufen, insbesondere in der Presse, die sonst nicht zu Kritik an Putin neigt. Auch Leute, die dem Kreml in den letzten Jahren näher gestanden haben, haben sich kritisch geäußert. Wenn man Meinungsumfragen glaubt, ist es aber so, dass das Thema den meisten Russen entweder egal ist oder sie gar nicht wissen, was NGO eigentlich bedeutet. Das Problem ist, dass die Diskussion immer abstrakt bleibt. NGOs werden eher als kleine Gruppen von Spinnern oder vom Westen bezahlte Einflussagenten angesehen. Da gibt es hier ein großes Informations- und Verständnisdefizit. Welche Auswirkungen des Gesetzes erwarten sie für ihre Arbeit? Es ist momentan schwer zu sagen, welche Auswirkungen das Gesetz konkret haben wird. Das ist auch ein großer Kritikpunkt, denn wie das Gesetz umgesetzt wird, hängt von der Regierung ab Die nächste Auseinandersetzung wird um die Art und Weise geführt werden, wie die Regierung das Gesetz ausarbeiten wird. Erfahrungen zeigen aber, was passieren könnte. Beispielsweise, dass sich die Administration mit Kompetenzen für den „Ernstfall“ ausstatten wird. Das bedeutet nicht, dass nun jede NGO auf Schritt und Tritt kontrolliert wird, aber man behält sich die Möglichkeit vor. Das Problem ist, dass diese Möglichkeiten in Russland gerne willkürlich und selektiv genutzt werden. Können Sie ein Beispiel nennen? Eine unserer Partnerorganisationen, „Die ökologische Baikalwelle“, hat Ende 2002 Besuch vom örtlichen Geheimdienst bekommen. Es gab eine Durchsuchung und die Organisation wurde beschuldigt, geheimes Material über eine Uranfabrik veröffentlicht zu haben. Das Verfahren ist zwar inzwischen eingestellt worden, aber später hat sich herausgestellt, dass der Initiator der Aktion nicht der Geheimdienst, sondern der inzwischen zerschlagene Energiekonzern Yukos war, weil sich die „Baikalwelle“ sehr intensiv gegen den Bau einer Ölpipeline engagiert hat. Eine solche Privatisierung von staatlichen Möglichkeiten ist in Russland Alltag. Ein weiteres Problem ist, dass solche Vorschriften von korrupten Beamten oft als Einnahmequelle missbraucht werden. All das wird aber wohl eher nicht in Moskau und auf großer politischer Ebene passieren, die Opfer werden meiner Einschätzung nach eher kleine und regionale NGOs sein. In der Begründung für das Gesetz hieß es, „vom westlichen Ausland finanzierte Revolutionen“ sollen „unterbunden werden“. Wie glaubhaft ist dieses Argument? Es gibt im Kreml schon die Furcht vor etwas Ähnlichem wie der Orangen Revolution in der Ukraine. Kontrolle ist sicherlich einer der Hauptgründe, warum dieses Gesetz erlassen wurde: Kontrolle über die Finanzströme und damit auch über sich entwickelnde oppositionelle Bewegungen. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass ein Umsturz wie in der Ukraine in ähnlicher Form in absehbarer Zeit auch in Russland passieren könnte. Trotzdem gibt es wohl eine ganze Reihe von Leuten, die das befürchten. Das hat wohl damit zu tun, dass durch die Knebelung der Presse, Politik in einer Art virtuellem Raum stattfindet. Meiner Einschätzung nach haben diejenigen, die kontrollieren, was die Presse sagt, ein etwas verzerrtes Bild von der tatsächlichen Situation. Außerdem hat das Ganze auch noch mit Machtkämpfen innerhalb der russischen Führungselite zu tun. Meinen Informationen nach kam das Gesetz nicht aus dem Kreml, sondern von Seiten des Geheimdienstes. Trotzdem ist der Gesetzesentwurf fraktionsübergreifend „durchgewunken“ worden? Die Staatsduma ist kein Parlament, wie wir es kennen. Die um die Macht konkurrierenden Gruppen können in anderen Punkten auch zusammenarbeiten. Das ist ein sehr schwer durchschaubares und feines Machtspiel im „Regierungsapparat“. Politische Diskussionen finden nicht im Parlament statt, sondern eben dort. Was in der Duma stattfindet, ist Theater. In Folge dieser ganzen Diskussion ist immer wieder von einer gelenkten Demokratie die Rede – kann man denn überhaupt noch von einem Rechtsstaat sprechen? In Deutschland glaubt man, Russland sei in den Neunzigern demokratisch gewesen und werde jetzt immer weniger demokratisch. Das glaube ich nicht. So wie jetzt auch, war Russland in den Neunzigern ein Staat mit formaldemokratischen Strukturen und einer relativ großen Freiheit für die Menschen. Meinungsfreiheit, Reisefreiheit, Religionsfreiheit. Ein im Wesentlichen freier Staat, in dem aber die demokratischen Institutionen nicht funktionieren. In Russland gab es eine sehr gute Verfassung, aber die Menschen, die in den demokratischen Organen tätig waren und sind, waren nicht bereit, diese Regeln anzuerkennen und auch zu verinnerlichen. Das Problem ist, dass fast alle Leute hier irgendwelche Gründe haben, diese Regeln nicht zu beachten. Putin wird dem Gesetz wohl bald zustimmen – gibt es dann noch Möglichkeiten zu einer Opposition im eigentlichen Sinne? Es gibt schon noch Möglichkeiten. Im Moment herrscht eine intensive Diskussionen über die Gründung einer demokratischen oppositionellen Partei. Um als Partei aber auch kandidieren zu können, Zugang zu Medien zu haben und zu Wahlen zu gelassen zu werden: Da gibt es eine große Menge von administrativen Hürden, die von den Machthabern auch relativ schamlos benutzt werden. Man muss allerdings hinzufügen, dass, aus welchen Gründen auch immer, die jetzige Staatsführung und vor allem Putin in der Bevölkerung immer noch einen sehr großen Rückhalt haben. Es ist eben nicht nur so, dass es hier Leute gibt, die manipulieren, sondern auch eine Tatsache, dass es die Opposition nicht geschafft hat, mit ihren Themen den Verstand und die Gefühle der Leute zu erreichen. (Bild: dpa)

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