- • Startseite
- • Interview
-
•
Warum so viele Studenten Probleme mit der Abschlussarbeit haben
Frau Ruhmann, unter Studenten ist es ein beliebter Sport, über die Qualen der Magisterarbeit zu jammern. Hatten Sie selbst Probleme dabei? Ich hatte eine Schreibblockade und mehrere Jahre an der Magisterarbeit rumgedoktert. Ich habe völlig den Pragmatismus verloren, bin immer tiefer rein in die Arbeit … In welchem Fach? Philosophie. Ich hatte überhaupt kein Gefühl mehr dafür, was im Rahmen einer Magisterarbeit eigentlich verlangt ist. Bis dahin lief ihr Studium normal? Ganz normal. Bei Hausarbeiten kriegt man es irgendwie noch hin. Aber bei der Magisterarbeit ist es dann so richtig entglitten. Die Magisterarbeit ist für viele eine Bruchstelle im Studium. Die überlangen Studienzeiten rührten oft daher, dass Studierende Probleme mit der letzten großen Arbeit hatten. Kann es sein, dass das straffe Bachelorsystem das richtige Mittel ist, um Zug ins Studium zu bringen? Es zeigt sich jetzt schon, dass es besser geworden ist, weil die Studierenden unter sehr viel strikteren Rahmenbedingungen arbeiten. Was natürlich auf Kosten der Eigenständigkeit und des freien Forschens geht. Die haben viel klarere und begrenztere Aufträge. Aber wenn die Bachelor-Arbeit kommt, rennen die Studierenden uns hier trotzdem die Bude ein.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Gabriela Ruhmann. Mit welchen Fragen? Etwa: „Ich habe bisher nur Protokoll geschrieben, ich hab bisher nur Essays und kleinere Hausarbeiten geschrieben – was ist eine Bachelorarbeit?“ Aber Seminare dazu gibt es doch schon im ersten Semester. Zu einem Zeitpunkt, da die Leute diese Fragen überhaupt nicht haben. Da werden vor allem die Formalia vermittelt. An denen scheitern die Arbeiten aber nicht. Sie scheitern an der Frage: Was ist eigentlich Wissenschaft? Was heißt es, in den Geistes- und Sozialwissenschaften etwas Eigenständiges zu machen? Und nicht nur wiederzukäuen, was die anderen gesagt haben. Geben Sie mir ein Beispiel für einen typischen Fall, der in ihr Schreibzentrum kommt. Oft gibt es nur eine vage Vorstellung vom Thema. Das lautet dann etwa „Der Schlankheitswahn in der amerikanischen Werbung“ oder „Die Ehe im amerikanischen Roman“. Klingt doch beides interessant. Dann muss aber die Operationalisierung erfolgen. Wie kann ich mit den Methoden meines Fachs etwas herausfinden und im Rahmen der begrenzten Seitenzahl darlegen? Die Studierenden, besonders in den Geistes- und Sozialwissenschaften, unterschätzen völlig, wie wenig auf 40 Seiten passt. Und wie schwer es ist, da einen roten Faden reinzulegen. Und als Beurteilungskriterium bekommen sie häufig nur gesagt: „Es muss eigenständig, kritisch, analytisch, überzeugend sein“. Aber was das im Einzelnen heisst, machen sie sich häufig erst in unseren Schreibwerkstätten bewusst. Heisst das nicht, dass die Betreuer schlecht sind? Nein, die haben das wissenschaftliche Schreiben ja auch meist nur implizit gelernt. Deshalb beurteilen sie Arbeiten häufig aus dem Bauch heraus, ohne ganz konkret deutlich machen zu können, was an dem Text im Einzelnen handwerklich nicht in Ordnung ist. An amerikanischen Unis ist das anders: Dort bekommen die Studierenden vorab eine schriftliche Aufgabenstellung, aus der deutlicher hervorgeht, nach welchen einzelnen Kriterien die Arbeit beurteilt wird. Im Vorfeld klar zu machen, was es bedeutet, "wissenschaftlich" zu schreiben oder wie Text entsteht - das fehlt hier noch. Die meisten erklären also nur ihre eigene Vorstellung davon, was eine gute wissenschaftliche Arbeit ist? Ja. Das ist was sehr deutsches, meiner Meinung nach. Warum? Das fände ich ein spannendes historisches Forschungsprojekt. Seit Kant und Hegel ist da irgendwas schief gelaufen. Ich glaube, das ist ein missverstandener Genialitätskult – entweder hat es der Herr einem gegeben oder nicht. Sie sagen? Es ist ein Handwerk. – Ich bin übrigens vom Erstberuf selbst Handwerkerin … Was haben sie gelernt? Gärtnerin. Das fließt auch sehr viel in meine Herangehensweise ein. Man kann solch einen Brocken Bachelor- oder Masterarbeit in Teiletappen zu zerlegen, die durchaus zu bewältigen sind. Ich finde es ein Unding, dass dieses Handwerk an deutschen Universitäten nicht erlernt wird. Es ist genauso als hätte ich als Gärtnerin am ersten Tag gesagt bekommen: Du musst mal irgendwann deine Gesellenprüfung machen – finde heraus, wie man`s macht. Okay, was bringen Sie und Ihre Mitarbeiter den Studenten bei? Eine der spannendsten Übungen ist zum Beispiel, wie sie mit den Dozenten reden. Sie bekommen zum Beispiel eine Vorschlagsliste mit Fragen, die sie stellen müssen, um zu verstehen, welche Leistung überhaupt von ihnen verlangt wird. Das sind Fragen, die werden normalerweise nicht gestellt … Welche in etwa? Darf ich das Wort "ich" verwenden in den Geisteswissenschaften? In den Natur- und Rechtswissenschaften ist klar, da darf man es nicht verwenden. In der Geisteswissenschaft spricht aber überhaupt nichts dagegen zu sagen: "Müller vertritt die Position, dass ... - ich hingegen bin der Auffassung, ..." Wichtig für die Wissenschaftlichkeit ist hier nicht das Vermeiden des Wörtchens "ich", sondern, dass die eigene Meinung begründet wird. Aber das mit dem Wörtchen "ich" hält jeder Dozent anders.
Noch eine Frage, die Sie stellen würden? Sagen wir, die dritte Hausarbeit steht an. Ich würde fragen: Was soll ich schon können und was muss ich noch nicht können? Die meisten Studierenden traben los, kriegen ein Stichwort – meinetwegen „Der psychologische Umgang mit dem gelben Sack“ - und dann gehen die an die Suchmaschine und geben das ein. Weil sie sich nicht trauen, ihre Unwissenheit zuzugestehen? Dabei ist es nur professionell, nachzufragen! Irgendwie hat sich in den Köpfen der Studenten festgesetzt: „Das ist mein persönlicher Fehler. Ich habe hier offenbar etwas nicht mitgekriegt.“ Dabei ist das eine Schlüsselkompetenz: Aushandeln, was verlangt ist. Und dann kommen die eigentlichen Kompetenzen, die man auch mit dem Schreiben verbindet. Etwa eine Fragestellung so zu präzisieren, dass sie sich auch im Rahmen eines gegebenen Textumfangs bearbeiten lässt. Darum geht es ganz viel im Workshop: Gemeinsam zu kucken, was die mysteriöse Eigenleistung ist, die da verlangt wird? Und? Die mysteriöse Eigenleistung ist, eine Frage stellen zu können, dann aus der Literatur heraus die Positionen dazu darzustellen und dann eine Haltung dazu zu entwickeln. Aber eine Arbeit ist damit auch noch nicht geschrieben. Wie schreibe ich? Erst so, wie ich es ausdrücken kann, und dann mit den Augen des Lesers. Immer wieder kucken: Ist das nachvollziehbar, was ich geschrieben habe? Ich kann den Text strukturieren vor dem Hintergrund dessen, was ich weiß und vor dem Hintergrund dessen, was der Leser weiß. Diese Kompetenz fehlt den meisten Studenten. Das wird an amerikanischen Unis bis zum Erbrechen gemacht. Textproben schreiben, Feedback kriegen. Und in der angelsächsischen Kultur hat niemand Furcht davor, einfach zu schreiben. Das gilt als Qualitätskriterium. In Deutschland ist das noch suspekt. Ich weiss nicht, wie oft ich von Studenten den Satz gehört habe: "Frau Ruhmann, das ist so einfach - das kann nicht stimmen!" Zurück zu den Ehen im amerikanischen Roman: Wie kann ich da das Thema zuspitzen? Ich kann vielleicht sagen: Ich mache es am Beispiel von zwei exemplarischen Romanen. Dann kann ich mir in den Romanen vier Protagonisten rausnehmen und an denen entlang die Arbeit schreiben. Haben Sie schon mal jemandem das Studium gerettet? Ja, vielen. Wie lange dauern ihre Kurse? Der Intensivkurs zum Fitmachen für die Bachelorarbeit dauert sechs Tage. Geben Sie mir drei Ideen, wie ich morgen meine Arbeit anpacken soll! Erstens: Nie anfangen, ohne genau nachzufragen, was verlangt ist. Erfragen Sie den Rechercheumfang – was müssen Sie leisten? Zweitens würde ich nie anfangen, ohne mir ein Feedback auf die Fragestellung und den Schreibplan zu holen. Wir haben im Schreibzentrum ausgebildete Schreibtutoren. Da gehen die Studierenden mit ihren Arbeitsentwürfen hin und holen sich ein kollegiales Feedback bezogen auf die Nachvollziehbarkeit und Realisierbarkeit des Projekts. Die gibt es aber noch nicht überall. Deshalb hilft es nix: Immer ab in die Sprechstunde! Und immer mit den Kommilitonen sprechen. Das finde ich ja das Schlimmste: Jeder glaubt, solch eine Arbeit sei sein persönliches Ding. Tja, da steckt wohl auch Eitelkeit mit drin. Das ist auch Verzagtheit und ich kann das auch verstehen - wenn man etwa in solch einen Moloch wie die Uni Bochum kommt. Mit 35.000 Studierenden. Da haben die Dozenten dann auch keine Zeit. Eben. Deswegen müssen Sie fragen: In welchem Umfang werde ich betreut? Mit welchen Fragen darf ich kommen? Ganz viele Probleme entstehen, weil man sich nicht traut zu fragen. Weil man Angst hat, sich eine Blöße zu geben. Und die Dozenten fragen nachher: Mein Gott, warum sind sie nicht gekommen! Viele vertun sich ja auch mit der Zeitplanung. Das habe ich nach 15 Jahren noch. Ich verschätze mich für meine Schreibprozesse nach wie vor. Eine Faustregel lautet: Spätestens nach dem zweiten Drittel der Zeit muss die Rohfassung stehen, weil die Überarbeitung des Textes ein drittel der Zeit schluckt. Die Güte des Textes entsteht beim Überarbeiten und nicht beim ersten Entwurf. Und die Einsamkeit beim Schreiben muss nicht sein! Wie meinen Sie das? Schreiben Sie mit anderen zusammen. Das klingt aber sehr theoretisch. Warum nicht? Wenn jemand einfach nicht schreiben will, kann das hilfreich sein, sich zu treffen und Arbeitsgemeinschaften zu bilden. Sie klingen sehr überzeugt von Ihren Schreibkursen. Ich musste viel Überzeugungsarbeit leisten. Gerade kommt das Angebot aus dem Bereich „Nachhilfe“ raus. Die Arbeit des Schreibzentrums wir noch immer häufig als Rechtschreibhilfe oder Zusatzangebot für die sogenannten "bildungsfernen Schichten" missverstanden. Das stimmt aber nicht. Weil jeder mit Problemen zu kämpfen hat, die in der Logik des komplexen Schreibprozesses liegen.
Text: peter-wagner - Foto: privat