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Wählen mit 16 - ja oder nein?
1996 durften bei den Kommunalwahlen in Niedersachsen zum ersten Mal 16-Jährige ihre Stimme abgeben. Inzwischen dürfen sie das in sieben weiteren Bundesländern und Stadtstaaten: in Berlin, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Bei Landtagswahlen gilt das Wahlalter ab 16 in Bremen, Brandenburg und Hamburg.
Aber das Thema spaltet noch immer das Parlament: Grüne und SPD sind dafür - Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat das kürzlich bei einem Auftritt in Dresden wieder klar gemacht. Die FDP sympathisiert verhalten mit der Idee. Die CDU hingegen sträubt sich dagegen. Am Freitag diskutiert der Bundestag darüber, ob bei Bundestags- und Europawahlen das Wahlalter auf 16 Jahre heruntergesetzt werden soll.
Wir haben zwei Politikerinnen mit unterschiedlicher Meinung dieselben Fragen gestellt:
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Ingrid Hönlinger, 48, ist Bundestagsabgeordnete für Bündnis 90/Die Grünen und hat den Gesetzentwurf für ein Wahlrecht ab 16 auf Bundesebene erarbeitet.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Astrid Wallmann, 33, ist CDU-Landtagsabgeordnete in Hessen und gegen ein Wahlrecht ab 16.
jetzt.de: Was spricht für ein Wahlrecht ab 16?
Ingrid Hönlinger (Grüne): Uns geht es um zwei Dinge. Einmal um die jungen Leute selbst: 1970 wurde das Wahlalter von 21 auf 18 heruntergesetzt. Heute können wir uns das gar nicht mehr vorstellen. Junge Leute sind heute früher bereit, politische Verantwortung zu übernehmen und zu wählen. Sie machen mit 17 ihr Abitur oder starten nach der zehnten Klasse ins Berufsleben, da sollen sie auch wählen dürfen. Zum anderen geht es uns um die Inhalte. Wer wählt, entscheidet, welche Politik gemacht wird. Und die Wähler tragen auch die Konsequenzen der Entscheidung; die jüngeren Menschen sogar länger als die älteren. Themen wie "Was können wir gegen Jugendarbeitslosigkeit machen?" entscheiden über die Zukunft der Jugendlichen. Es ist nur richtig, wenn sie auch mitbestimmen können.
Und was spricht dagegen?
Astrid Wallmann (CDU): Eine Wahl setzt einen bestimmten Reifegrad voraus, den ein 16-Jähriger nicht unbedingt erfüllt. Mit 16 darf man in Deutschland noch nicht eigenständig Autofahren, man darf ohne Begleitung nur bis Mitternacht ausgehen, das Strafrecht behandelt 16-Jährige anders, bestimmte Verträge darf man erst abschließen, wenn man 18 Jahre alt ist. Die Altersgrenze von 18 Jahren hat sich in vielen Bereichen bewährt. Wenn das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt wird, müssen die Schulen und die Bildungspolitik gewährleisten, dass die Schüler genug Informationen haben, um wählen zu gehen.
Ingrid Hönlinger: Die Kritiker sagen gerne, dass 16-Jährige noch nicht richtig politisch informiert sind. Das empfinde ich anders. Ich war neulich in einer zehnten Klasse und hatte durchaus den Eindruck, dass sich die Schüler mit Politik beschäftigen. Schulen leisten eine gute politische Bildungsarbeit. Schüler sind deshalb auch bereit und in der Lage, eine Wahlentscheidung zu treffen. Man wird nicht 18 und ist automatisch politisch interessiert.
Oft wird das "Familienwahlrecht", das Eltern zusätzliche Stimmen für ihre Kinder geben würde, als Alternative zum Wahlrecht ab 16 vorgeschlagen. Ist das wirklich eine Alternative?
Ingrid Hönlinger: Ich bin für eine individuelle Ausübung des Wahlrechts. Ich finde es nicht sinnvoll, wenn Eltern an Stelle ihrer Kinder wählen. Eine Stimme pro Person ab 16 spiegelt die Vorstellungen der wahlberechtigten Bevölkerung gut wider.
Astrid Wallmann: Das Wahlrecht ist eine höchst persönliche Angelegenheit. Natürlich könnte man als Eltern für sein Kind abstimmen. Man weiß aber nicht, wie das Kind das eigentlich sieht. Aus diesem Grund lehne ich das Familienwahlrecht ab.
In der Shell-Jugendstudie waren nicht einmal 25 Prozent der befragten Jugendlichen zwischen zwölf und 25 für ein Wahlrecht ab 16. Wollen 16- und 17-Jährige überhaupt wählen?
Astrid Wallmann: Solche Umfragen zeigen, dass das Interesse zu wählen gar nicht so groß ist, ich habe auch selten Jugendliche sagen hören: "Ich würde gerne wählen!" Ich kenne eher das Problem, junge Leute für Politik zu interessieren. Wissenslücken über Politik ziehen sich aber durch alle Altersstufen, das merkt man zum Beispiel bei Straßenumfragen, wenn die Leute gefragt werden: Kennen Sie diesen Politiker?
Ingrid Hönlinger: Wenn ich mit Jüngeren über das Wählen mit 16 spreche, nehme ich auch Unsicherheit wahr. Viele fragen sich: Können wir schon Verantwortung übernehmen? Ich finde, wir müssen sie in der Schule und in der Familie dazu ermutigen: für mehr Zukunft, mehr Einmischen, das fördert die Demokratie.
Kann ein Herabsetzen des Wahlalters 16- und 17-Jährige wirklich für Politik begeistern?
Astrid Wallmann: Ich glaube nicht, dass das funktioniert. Wir wissen ja nicht, wie viele wirklich von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen.
Ingrid Hönlinger: Es wird viel über Politikverdrossenheit gesprochen. Ein starkes Mittel dagegen ist eine frühe demokratische Bildung: schon in der Kindertagesstätte und im Kindergarten, in der Schule und an der Uni. Ich war vor kurzem in meiner Heimatstadt Ludwigsburg an einer Grund- und Hauptschule zu Besuch, um über meine Arbeit zu sprechen. Montagmorgens ist da immer Schulparlament. Alle Schüler diskutieren und stimmen über schulinterne Angelegenheiten ab. Dazu gehört zum Beispiel, wie der Schulhof gestaltet wird. Man könnte meinen, dass sich nur die älteren Schüler ins Gespräch mit einer Politikerin einbringen, aber auch die Grundschüler haben sich gemeldet und Fragen gestellt. Kinder und Jugendliche sind bereit, sich zu beteiligen. Dann sind auch demokratische Plattformen, wie zum Beispiel die Juniorwahl, erfolgreich.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Gute Frage: Ab wann ist man alt genug um zu wählen?
Frau Wallmann, was antworten Sie, wenn jemand sagt, die CDU ist gegen das Wahlrecht ab 16, weil junge Leute eher nicht die Union wählen?
Das stimmt nicht. Die Junge Union ist die größte parteipolitische Jugendorganisation Europas und Deutschlands, so unbeliebt können wir nicht sein.
Und Frau Hönlinger, wenn jemand sagt, die Grünen wollen das Wahlrecht herabsetzen, weil sie wissen, dass junge Leute tendenziell Grün wählen?
Bei uns Grünen sind viele junge Leute engagiert. Sie gestalten unsere politische Meinungsbildung mit und damit auch unsere politischen Inhalte. Dazu gehört zum Beispiel die Forderung nach einem aktiven Wahlrecht ab 16 Jahren. Wenn unsere grüne Politik junge Leute überzeugt, dann freuen wir uns natürlich darüber, wenn sie uns auch wählen.
Was lernt man von den Bundesländern, in denen das Wahlrecht ab 16 auf Kommunal- oder Landesebene eingeführt ist?
Ingrid Hönlinger: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass junge Leute nicht, wie befürchtet, extreme Positionen befürworten. Sie wählen im Durchschnitt wie die Wähler ab 18. Wenn sich das Wählen ab 16 erst einmal durchgesetzt hat, könnte das auch die Wahlbeteiligung stärken.
Astrid Wallmann: Ich bin der Meinung, dass das Wohl dieser Gesellschaft nicht davon abhängt, ob man zwei Jahre früher wählen geht. Es gibt sicher Jugendliche, die das mit 16 können - aber nicht alle.
Wie stehen Sie zum Wahlrecht ab 16 speziell auf Bundesebene?
Astrid Wallmann: Ich finde, man kann nicht argumentieren: Auf Kommunal- und Landesebene dürfen 16- und 17-Jährige wählen, auf Bundesebene nicht. Diese Unterschiede ergeben sich, weil die Länder von unterschiedlichen Parteien regiert werden. Meiner Meinung nach müssten einheitliche Altersgrenzen gelten. Wahlentscheidung ist Wahlentscheidung. Die maßgebende Frage ist: Kann ich eine fundierte Wahlentscheidung treffen? Die Grenze von 18 Jahren hat sich in vielen Bereichen bewährt, sie ist ein Konsens. Sonst könnte man auch ein Wahlrecht ab 17 oder 15 Jahren diskutieren.
Ingrid Hönlinger: Die Gesetze unterscheiden sich in ihren Auswirkungen. Auf kommunaler Ebene erleben die Jugendlichen Politik direkt vor Ort, zum Beispiel in der Entscheidung, ob ein Radweg gebaut wird. Landesgesetze wirken innerhalb eines Bundeslandes, aber auch sie greifen direkt in die Lebenssituation von Jugendlichen ein. Kultur- und Bildungspolitik ist Ländersache. Auch Regelungen auf Bundesebene haben Auswirkungen auf Jugendliche. Dazu würde zum Beispiel das Wahlalter ab 16 gehören. In Österreich darf man schon ab 16 an allen Wahlen teilnehmen und es gibt keine Probleme damit. Das ist auch nur logisch. Jedes Gesetz gestaltet Zukunft und bestimmt dadurch die Lebenswelt junger Menschen mit.
Text: kathrin-hollmer - Fotos: cydonna / photocase.com, oh