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Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung: "Ich gehe davon aus, dass uns Recht gegeben wird."
Am 31.12 wurde die Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung eingereicht. Wie ist der jetzige Stand der Dinge? Wir müssen noch ziemlich viele Formulare in Berlin eintippen, denn wir haben noch nicht alle 30.000 Beschwerdeführer erfasst. Außerdem läuft gerade eine Kampagne, die quer durch Deutschland tourt, eine Initiativ unserer Hamburger Kollegen, die unsere Privatsphäre symbolisch in einem Sarg zu Grabe tragen. Wir machen unabhängig von der Verfassungsbeschwerde weiter, denn es handelt sich um ein europäisches Problem, das auch nicht bei der Vorratsdatenspeicherung aufhört.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Welche Rolle hat der Arbeitskreis bei der Verfassungsbeschwerde? In Deutschland haben wir den Protest gegen die Vorratsdatenspeicherung koordiniert und voran gebracht. Viele sehen das aber auch immer direkt mit anderen Gesetzgebungen und einer allgemeinen Frage verknüpft: Wie viel Überwachung und vorgebliche Sicherheit verträgt unsere Gesellschaft eigentlich? Der AK hat die Verfassungsbeschwerde initiiert und den Aufruf gestartet. Wir hatten zunächst 70.000 online registrierte Beschwerdeführer, von denen dann tatsächlich 30.000 die Formulare ausgedruckt und abgeschickt haben. Haben Sie selbst eine Klage eingereicht? Selbstverständlich bin ich einer der Beschwerdeführer. Wie lief die Online-Registrierung ab? Auf unserer Homepage gab es ein Online-Formular, auf dem man sich mit seinen Daten eintragen und auch seine Betroffenheit darlegen musste, etwa durch Fragen nach einem eigenen Telefon- und Internetanschluss und der Zugehörigkeit zu einer besonders geschützten Berufsgruppe. Am Ende der Online-Registrierung musste man ein .pdf ausdrucken, unterschreiben und per Briefpost an den Anwalt Herrn Starostik senden. Dies stellt eine rechtsgültige Vollmacht dar. Herr Starostik und ich waren vorgestern in Karlsruhe, um die Klagen abzugeben. Was für Menschen haben sich registriert? Hauptsächlich junge Internetnutzer, oder? Gar nicht mal. Wir haben zum Beispiel auch viele Unterschriften bei der „Endspurt“ Kampagne gesammelt, bei denen in 43 Städten gleichzeitig Mahnwachen gehalten wurden. Ich glaube, der Protest geht quer durch alle Gesellschaftsschichten, jedes Geschlecht, jedes Alter, jede Berufsgruppe. Auch bei uns im Arbeitskreis sind bei weitem nicht nur junge Menschen aktiv. Was ist das genaue Ziel der Verfassungsbeschwerde? Das primäre Ziel ist, auf deutscher Ebene das Gesetz zu stoppen. Außerdem wollen wir die EU-Richtlinie als Grundlage für das deutsche Gesetz aufhalten. Deshalb sehen viele europäische Bürger- und Menschenrechtsorganisationen ganz gespannt nach Deutschland. Es geht tatsächlich auch darum, diese Bewegung nach Europa zu tragen. Bei unserem ersten internationalen Strategietreffen im August 2007 waren Organisationen aus 15 Ländern anwesend. Der Austausch von Informationen und die Vernetzung auf europäischer Ebene gestalten sich aber leider noch nicht reibungslos. Da fehlt es etwas an Dynamik. In anderen Ländern sind teilweise zu wenige Leute organisiert, obwohl man guten Willen zeigt und gute Ideen hat. In den anderen europäischen Ländern ist man offensichtlich nicht so gut über die europäische Sicherheitsgesetzgebung informiert, und wenige Leute stürzen sich in die freiwillige und meist unbezahlte Arbeit. Spielt Deutschland im europaweiten Protest gegen die Vorratsdatenspeicherung also eine besonders aktive Rolle? Auf jeden Fall. Wir sind sozusagen die letzten Mohikaner, die die Fahne hochhalten. Wir versuchen, Impulse zu geben. Wir kommen aus einer demokratischen Bewegung, deshalb sind natürlich alle Staaten gleichberechtigt. Wir können und wollen keine Federführung übernehmen. Ist es auch ein Problem, dass Institutionen wie das Bundesverfassungsgericht in anderen Staaten fehlen? Beim Europäischen Gerichtshof kann der Bürger ja nicht direkt klagen. Das ist in der Tat ein großes Problem, zum Beispiel in Schweden. Diese Verfassungsbeschwerde könnte ein Präzedenzfall werden, um das Verhältnis von nationaler und europäischer Gesetzgebung zu klären. Großartig wäre es, wenn Karlsruhe selbst beim EuGH vorlegt, dann würden wir möglicherweise die europäische Richtlinie mit diesem Verfahren vom Tisch fegen.. Wenn nicht, müssten wir selbst über den Menschenrechtsgerichthof oder dergleichen klagen. Das wäre ein sehr langwieriges und kompliziertes Verfahren. Wir bleiben aber so oder so dran. Hätte die Klage Erfolg, müsste man dann vermutlich mit einer unglaublichen Klageflut rechnen. Es gibt definitiv Gesetze, bei denen eine zivilgesellschaftliche Aufklärung Not tun würde, zum Beispiel die Speicherung von Flugpassagierdaten, die Urheberrechts-Refom, die Abkommen zum Thema biometrische Pässe – da tun sich Scheunentore auf. Machen Sie sich große Hoffnungen für einen erfolgreichen Ausgang der Klage? Ich gehe schon davon aus, dass das Verfahren angenommen wird und auch davon, dass uns Recht gegeben und das Gesetz für nichtig erklärt wird. Die Frage ist, wie grundlegend der Spruch zu diesem Gesetz wird. Wird die Frage – die im Laufe der Rechtsgeschichte schon einige Male grundlegend geklärt wurde - geklärt: Darf es eine verdachtsunabhängige Massenerhebung von Daten geben oder nicht? Denn eigentlich heißt es „Im Zweifelsfall für den Angeklagten“ und es gibt kein Beweiserhebungsverfahren ohne Anklage. Man könnte verkürzt und juristisch nicht ganz korrekt sagen: Es wird überwacht ohne konkreten Verdacht. Die meisten Medien sagen aber: Das ist zwar die größte Verfassungsbeschwerde aller Zeiten, aber die Erfolgsaussichten sind eher gering. Das werden wir sehen. In unseren Reihen gibt es eine ganze Menge sehr renommierter Juristen, die große Hoffnungen auf die Klage setzen. Wir möchten aber auf keinen Fall mangelnden Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht zeigen. Die Entscheidung liegt in Karlsruhe. Wie viel Spielraum hat Karlsruhe? Es geht ja um eine europäische Richtlinie. Das deutsche Gesetz geht weit über die EU-Richtlinien heraus. Es werden wesentlich mehr Daten und Datenkategorien gespeichert, als in der EU-Richtlinie vorgesehen. Das Einzige, wo man sich am unteren Level orientiert, ist die Speicherdauer. Aber: Anonymisierungsdiensten werden verpflichtet, zukünftig eine Identifikationspflicht einzuführen. Die Idee von anonymer Kommunikation wird unmöglich. Die Telekom müsste dann ihre Telefonzellen schließen. Die Daten müssen laut EU für „heavy crimes“ und Terrorismus verwandt werden, das deutsche Umsetzungsgesetz fügt noch alle mittels Telekommunikation begangenen Straftaten dazu. Dies hat Frau Zypries wohlweislich in der Bundestagsdebatte nicht genannt. Solche Straftaten könnten zum Beispiel eine Beleidigung am Telefon sein. Bild: oh Informationen über die Ziele des Arbeitskreis hier