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"Unsere Arbeit ist wie Spielen mit der Zukunft"
Auf der Internetseite Should I Be Afraid of the Future? hat Helge Fischer vom Studio "Bold Futures" mit seiner Partnerin Ann-Kristina Simon all unsere ängstlichen Fragen an die Zukunft zusammengefasst und beantwortet. Der Designer weiß offenbar, was uns erwartet und warum wir vielleicht irgendwann Roboter im Blut haben werden.
jetzt.de: Sollte ich nun Angst vor der Zukunft haben?
Helge Fischer: Nein, sollst du gerade nicht. Das ist der Sinn des Projekts.
Eine Internetseite voll von schlimmen Dingen, die mir und der Welt passieren können, von Maschinen, die meine Gedanken lesen bis hin zu Überbevölkerung und Versorgungsnöten – ausgerechnet das soll mir die Angst vor der Zukunft nehmen?
Wir wollten aufzeigen, dass es zahlreiche Gefahren, Risiken oder Probleme gibt, die wir aber in der Regel mit menschlichem Erfindergeist, Kreativität und Imagination durchaus bewältigen können. Man muss der Zukunft nicht mit Fatalismus oder Zynismus begegnen. Unser Ziel ist ein kritisch-optimistischer Blick auf die Herausforderungen von morgen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Helge Fischer gründete vor einem Jahr mit seiner Partnerin Ann-Kristina Simon (beide 31 Jahre alt) das Designstudio "Bold Futures" in Berlin.
Und davon gibt es nicht gerade wenige, wenn man sich eure Seite so anschaut.
Ja, wir haben versucht möglichst alle Fragen abzudecken, die es zum Thema Zukunftsangst und -bedrohung gibt. Dabei sind wir auf drei Bereiche gekommen: Technik, Natur und Menschheit. Ungefähr sechs Wochen Recherchearbeit steckt dahinter.
So ganz ernst nehmen darf man „Should I Be Afraid of the Future“ aber auch nicht, oder? Ich denke da an Fragen wie: „Was ist, wenn ein Virus ausbricht, der die Menschen in Zombies verwandelt?“
Wir haben schon versucht, zu jeder Frage ernsthafte Informationen zu geben, die das Gros der Wissenschaftscommunity auch unterschreiben würde - aber das Ganze natürlich mit einer gehörigen Portion Humor und Optimismus. Das Projekt ist, wie in die Geisterbahn zu gehen: Ein wenig gruselt es einen, aber es ist auch Unterhaltung. Das war eigentlich das Schwierigste: die Balance zu finden, zwischen dem, was man schnell humorvoll abhandeln kann, wie den Maya-Kalender oder die Zombieattacke und den Themen wie der Erderwärmung, die wirklich ein Problem sind.
Was ist von alledem nun dein Lieblingsszenario? Wie soll es mit uns zu Ende gehen?
Ich denke, am wahrscheinlichsten ist es, dass die Sonne irgendwann explodiert und dann – aber bis dahin ist es ja noch lange hin. Am interessantesten aber finde ich den Bereich „Mensch und Technik“. Mit dem Instrumentarium, das wir haben, können wir jetzt schon sehr viel. Und es gibt viele kulturelle und ethische Fragestellungen, die sich dabei ergeben. Ich will jetzt nicht nur fortschrittsoptimistisch sein und sagen, alles wird super toll, aber ich glaube, neben den Gefahren stecken da auch ganz viele Chancen.
Und diese Chancen wollt ihr mit eurem Designstudio aufzeigen?
Das, was wir machen, nennen wir Innovationskommunikation. Mögliche Zukunftsszenarios übersetzen wir in spekulative Designs. Wir entwerfen also Produkte und Dienstleistungen, die es geben könnte aber noch nicht gibt. Unsere Designs verweisen immer auf Lebenswelten, in denen sie existieren könnten und werfen damit auch die Frage auf, wie wünschenswert diese Lebenswelten sind. Es geht nicht immer nur um positive Entwicklungen.
Wie sehen solche Produkte der Zukunft denn aus?
Vor Kurzem gab es zum Beispiel ein Projekt mit Berliner Schülern. Das nannte sich „Funktional Food Fictions“. Es ging um funktionale Lebensmittel der Zukunft, also Lebensmittel, deren Funktionen über die reine Nährstoffversorgung hinausgehen. Mit den Schülern und einem Doktoranden vom Deutschen Institut für Lebensmitteltechnik haben wir dabei Produkte entworfen, die mit Hilfe von Bio- und Nanotechnik irgendwann realisierbar sein könnten.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Auch die Menschheit selbst wird als Gefahr für die Zukunft diskutiert.
Ich denke da sofort an Essen aus Tuben für Astronauten. Welche Funktionen hatten diese futuristischen Lebensmittel denn?
Die Schüler haben zum Beispiel Drops entworfen, die den Blutalkohol abbauen, also jemanden, der betrunken ist, schnell wieder nüchtern werden lassen. Oder einen Joghurt der sich „Wunderkind“ nannte. Schwangere Frauen sollten damit wünschenswerte Eigenschaften ihres ungeborenen Kindes fördern können. Da gab es zum Beispiel das „Charisma-Wunderkind“ oder das „Logisches Denken-Wunderkind“.
Und eins war noch ziemlich abgefahren. Das waren die Nano-Cubes. Die basierten auf dem Szenario, dass wir in Zukunft kleine Nanobots oder Nanomachines in unserem Blutkreislauf haben werden.
Nano-was?
Damit sind molekulargroße Roboter gemeint, die wir im Körper hätten und die zum Beispiel Bakterien bekämpfen, Cholesterin abbauen oder Zellschäden reparieren könnten. Diese Nano-Cubes wären kleine Petit Fours, also kleine Kuchen, die funktionieren würden wie essbare Apps und den Nanobots Informationen geben könnten. Mit Lebensmittelfarbe wären auf die Kuchen Icons gemalt, die zeigen, um welche App es sich handelt. Der O2-Cube würde sukzessiv Sauerstoff abgeben lassen, so dass man länger unter Wasser bleiben könnte. Und es gab Wecker-Cubes mit verschiedenen Uhrzeiten. Man würde am Abend den richtigen essen und morgens von selbst zur gewünschten Uhrzeit aufwachen. Das war schon clever.
Die Vision, Kinder schon zu verbessern, bevor sie überhaupt geboren sind und kleine Roboter im Körper zu haben, erscheint mir eher fragwürdig als wünschenswert.
Wir haben bewusst versucht zu vermeiden, dass nur negative oder nur positive Szenarios und Produkte herauskommen. Wenn eine Sache auf 50 Prozent Zustimmung und 50 Prozent Ablehnung stößt, wissen wir: Jetzt haben wir eine interessante Fragestellung, die es wert ist, diskutiert zu werden.
Für wie wahrscheinlich hältst du es, dass es diese Produkte wirklich geben wird?
Unsere Arbeit ist wie Spielen mit der Zukunft. Das wichtige ist aber, dass wir Designer sind. Das heißt uns interessieren nur Zukünfte, die auch eintreten könnten. Es sind keine komplett imaginativen Lebenswelten, die niemals möglich wären.
Deiner Meinung nach könnten essbare Apps also wirklich irgendwann realisierbar sein. Hast du gar keine Angst, dass ich dir die Idee klaue und Millionen damit mache?
Bisher liegen unsere Projekte zu weit in der Zukunft, als dass man sie sofort umsetzen und damit Geld verdienen könnte. Und natürlich ist es auch ein weiter Weg von einem vorstellbaren Konzept hin zu einem funktionierenden Produkt. Der Schutz unserer Ideen war bislang kein Thema.
Text: teresa-fries - Cover: Bold Futures, Fotos: Marco Floris(1) Bold Futures(2)