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Talk-Republik Deutschland

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Thomas Dechant, 26, studiert an der Universität Koblenz-Landau Politik und Sozialwissenschaften und schreibt gerade seine Diplomarbeit. Er war maßgeblich an dem Forschungsprojekt "Die Talk-Republik" beteiligt und erklärt im Gespräch mit jetzt.de, was aus der Sicht unserer Generation an der aktuellen Polit-Talk-Landschaft zu kritisieren ist.

jetzt.de: Wie ist die Idee zum Projekt „Die Talk-Republik“ entstanden? Wolltet ihr damit schon von vornherein an die Öffentlichkeit gehen?
Thomas Dechant: Das Projekt ist aus einem Uniseminar mit dem Titel „Publizistische Praxis“ und dem Schwerpunkt „politische Talkshows“ entstanden. Wir haben zu Beginn eine Liste mit allen möglichen Talk-Formaten bekommen und diese in Referaten vorgestellt. Einmal sind wir nach Berlin gefahren und haben verschiedene Redaktionen besucht und sind mal im Publikum gesessen. Wir haben uns mit Leuten aus der Produktionsfirma von Günter Jauch unterhalten, das waren natürlich Einsichten, die man sonst nicht bekommt. Auf der Exkursion dachten wir, dass es schade wäre, wenn daraus nur eine Seminararbeit entsteht, die irgendwo in der Schublade eines Profs verschwindet.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Für eure Analyse habt ihr 22 unterschiedliche Formate analysiert und in vier Gruppen eingeteilt. Wie habt ihr sie kategorisiert?
Die erste Gruppe sind die Marktführer, die jeder kennt, die auf den öffentlich-rechtlichen Sendern laufen, zum Beispiel „Hart aber fair“, „Maybritt Illner“ und „Anne Will“. Bei der zweiten Gruppe ging es um die Frage „Imitation oder Innovation?“. Wenn man die entsprechenden Formate schaut, kommt es einem manchmal vor wie die Kopie einer größeren, bekannteren Sendung. Man fragt sich, was eigentlich neu daran ist. Ein Beispiel ist der "Presseclub". In der dritten Gruppe haben wir die One-On-One-Formate untersucht. Bringt das mehr Erkenntnisgewinn, wenn man einen einzelnen Gast richtig in die Mangel nimmt, wie bei Friedmann? Oder sollte man doch mehrere Personen miteinander diskutieren lassen? Die letzte Gruppe ist wohl die interessanteste: „Hybride“ wie Roche & Böhmermann, übrigens meine persönliche Lieblingssendung. Angesichts der Überzahl von älteren und Imitationsformaten war es sehr spannend, sich die genauer anzuschauen.

Allein in der ARD gab es 2012 fünf politische Talkrunden pro Woche. Leidet die Qualität bei diesem Überangebot oder wird dem Zuschauer vielmehr eine vielfältige Auswahl präsentiert?
Fünf Talkshows auf einem Programm und in einer Woche, das ist einfach zu viel. Das sind ja alles Formate, die sich nicht ergänzen, sondern jede hat für sich den Anspruch, mehr oder weniger die „Haupttalkshow“ zu sein. Es wird dem Zuschauer also keine besondere Vielfalt geboten. Die sind sich alle viel zu ähnlich.  

Woran liegt es, dass politische Talkformate so präsent sind und sogar Stefan Raab sich daran versucht?
Wenn man sich die Quote anschaut, müssten eigentlich die Hälfte oder drei Viertel der deutschen Polittalkshows eingestellt werden. Die Quote ist aber auch immer so eine Sache: Manche verbuchen ein Prozent Marktanteil als Erfolg, Roche & Böhmermann haben, glaube ich, Null-Komma-Null-Irgendwas, dafür werden die sehr viel im Netz angeschaut. Wenn man die Talkshowmacher und –moderatoren selbst fragt, sagen die natürlich, dass die Nachfrage da ist, und wenn nicht, müsse man das trotzdem anbieten, da es ja um Politikvermittlung gehe. Das ist ja auch der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Sender. In Berlin haben wir noch von einem anderen Argument erfahren: Talkshows sind unglaublich billig zu produzieren. Das machen nicht mehr ARD und ZDF selber, sondern verschiedene kleine Firmen. Die Politiker kommen kostenlos. Es ist einfach ein unglaublich geringer finanzieller, personeller und zeitlicher Aufwand, eine Talkshow zu produzieren.  

Welche Rolle spielen Talkshows bei der politischen Meinungsbildung?
Da haben die schon einen sehr hohen Stellenwert. Man muss sich immer fragen: Wie geschieht heutzutage Politikvermittlung? Es gibt das Fernsehen, die Zeitung, das Internet. Aber wer schaut sich Parlamentsdebatten auf Phoenix an oder geht in die Sprechstunden von Bundestagsabgeordneten? Das macht keiner. Wenn man tatsächlich „reale“ Politiker sehen möchte, dann sind Talkshows eigentlich die einzige Quelle. Das ist auch unglaublich bequem. Es gibt zwar noch keine richtigen Studien darüber, was diese Formate tatsächlich an Politikvermittlung leisten, aber alle Akteure schätzen den Wert immer noch unvermittelt hoch ein. Auf qualitativer Ebene ist das mit der politischen Meinungsbildung natürlich oft etwas anderes. Viele Formate kratzen eben nur an der Oberfläche.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Thomas Dechant (Foto: privat)

Besteht bei politischen Talkshows die Gefahr, dass man ein Podium für Populismus schafft anstatt für präzise Analysen, weil die Gäste immer nur kurz zu Wort kommen und sich profilieren müssen? Kommen Inhalte überhaupt beim Zuschauer an?
Die Gefahr besteht nicht nur, das ist schon längst eingetreten. Alle haben den Anspruch, Politikvermittlung auf hohem Niveau zu leisten. Stattdessen werden Rollenbilder bedient, es gibt nicht nur Gäste- und Themendopplungen, sondern auch Rollendopplungen. Durch bestimmte Rollen versucht man, das gesamte politische Spektrum abzudecken. Wenn man sich den reinen Erkenntnisgewinn für den Zuschauer anschaut, dann ist das auf jeden Fall unbefriedigend. Eine lebhafte Diskussion entsteht sehr selten, die Runde gleicht meistens einem Austausch von Argumenten auf einer sehr populistischen, flachen Ebene. Die Beiträge werden zu Worthülsen ohne Inhalt, dadurch verliert das Ganze an Glaubwürdigkeit. Unpopuläre oder gewagte Thesen werden kaum hervorgebracht. Für echte Konfrontation und kontroverse Äußerungen bieten Talkshows einfach zu wenig Fläche und Zeit. Das Risiko ist groß, dass man etwas wagt und dann abgewürgt wird. Dann steht etwas Halbes im Raum und man fühlt sich unverstanden.  

2012 war Wolfgang Kubicki mit neun Auftritten der häufigste Gast in deutschen Polittalkshows. Gibt es auch unter den Gästen zu wenig Vielfalt, weil immer wiederkehrende Gäste irgendwann mit ganz bestimmten Positionen in Verbindung gebracht werden?
Ja, es gibt viel zu wenig unterschiedliche Akteure. Man sieht immer dieselben Gesichter. Viele Politiker scheuen die Konfrontation, weil man auch ganz schnell ganz schlecht aussehen kann in einer Talkshow. Bei Friedmann kommt man meistens ziemlich zerrupft raus. Es gibt viel zu beachten: Wie gut kann man im Fernsehen sprechen, wie gut passt man in ein Format? Man muss die Fähigkeit haben, frei zu sprechen, in wenigen Sätzen viel zu sagen. Oder eben nichts zu sagen. Aber auch für die Redaktionen ist es schwierig, Politiker zu finden. Man braucht oft kurzfristig Leute und greift dann auf die bewährten Kandidaten zurück und weiß auch, wen man gar nicht erst anzurufen braucht. Wenn dieselben Gesichter wenigstens immer Unterschiedliches sagen würden, wäre es etwas anderes. Es gibt auch viele aus der zweiten oder dritten Bank im Bundestag, die gern mal gehen würden, aber nicht eingeladen werden. Warum macht man nicht mal eine Show nur mit unbekannten Gesichtern? Da gibt es viele, die auch medial gut ankommen würden.  

Was kann eine politische Talkshow im besten Fall leisten?
Die Frage ist immer: Was ist Politikvermittlung? Das kann auch Unterhaltung sein. Ob zum Beispiel Roche & Böhmermann Politikvermittlung ist, das wurde in unserem Seminar besonders engagiert diskutiert. Für uns ist einfach viel zu wenig Vielfalt vorhanden. Wir sehen immer wieder dieselben Konzepte, dieselben Ansätze. Das hat sich eingespielt, man muss nichts mehr riskieren. Man weiß, man hat die Quote, man wird nicht verrissen. Sowas wie „HARDtalk“ oder „Talk im Turm“, wo man wusste, da passiert was, da weiß ich hinterher mehr als vorher, gibt es so nicht mehr. Wir als junge Generation fordern, dass Talkshows sich den Anspruch geben und den Mut haben, uns wieder vor die Bildschirme zu locken. Stuckrad-Barre und Roche & Böhmermann gehen schon in eine richtige Richtung.


Text: helena-kaschel - Foto: www.talk-republik.de

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