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Sollen wir Gefangene aus Guantanamo aufnehmen?
Im Laufe dieses Jahres sollen die "Camps" in Guantanamo (Kuba) geräumt werden. Von den insgesamt 800 Menschen, die während der vergangenen sieben Jahre auf dem Militärstützpunkt festgehalten wurden, sind derzeit noch rund 240 in Gefangenschaft, von denen wiederum 100 als unschuldig gelten. Welche Zukunft erwartet diese Gefangenen? Viele der Festgehaltenen können nicht in ihre Heimatländer zurückkehren, da ihnen Verfolgung, Folter oder willkürliche Haft drohen. Menschenrechtsorganisationen und verschiedene Stimmen aus den USA appellieren nun an die EU, die Menschen aufzunehmen, da ihnen in den USA Repressionen drohen könnten. Während Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) erklärte, er wolle Obama dabei „nicht im Stich lassen“, lehnen Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Guido Westerwelle von der FDP in ersten Reaktionen die Aufnahme ab. Gibt es eine Pflicht, die unschuldigen Gefangenen aufzunehmen? Oder sollen die USA dieses Problem selbst lösen? jetzt.de hat bei Marianne Heuwagen von Human Rights Watch nachgefragt.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Eine Aufnahme aus Guantanamo. jetzt.de: Frau Heuwagen, soll Deutschland ehemalige Guantanamo-Häftlinge aufnehmen oder nicht? Marianne Heuwagen: Natürlich sollen die Häftlinge in Deutschland aufgenommen werden! Insbesondere da die Bundeskanzlerin als erstes europäisches Staatsoberhaupt 2006 ja die Schließung des Gefängnisses gefordert hat. Deutschland sollte auch deshalb die Flüchtlinge aufnehmen, weil die BRD in der Vergangenheit sehr von der Großzügigkeit der Amerikaner profitiert hat. Nehmen Sie den Marschall Plan nach 1945, oder die Luftbrücke 1948/49 und zuletzt die Zustimmung zur Deutschen Einheit – wir haben viele Gründe, jetzt den Amerikanern als einem Freund in Not zu helfen. Herr Schäuble und Herr Westerwelle sind da anderer Meinung. Wie stehen sie zu der Position, die Verantwortung liege allein bei den USA? Diese Äußerungen erscheinen mir sehr überheblich. Wenn die Amerikaner so eine Position nach 1945 eingenommen hätten, wären wir nicht da, wo wir heute sind. Wer Wert legt auf gute deutsch-amerikanische Beziehungen, der muss auch bereit sein, etwas dafür zu tun. Wir sprechen ja nur über die Aufnahme von fünf bis sieben Guantanamo-Häftlingen, die bereits seit Monaten von den USA als unschuldig eingestuft werden. Die Europäer haben sich, wenn sie so wollen, auch mitschuldig gemacht, indem sie jahrelang wussten, dass in Kuba unschuldige Menschen inhaftiert sind, und man hat es geschehen lassen. Wie hat ihre Organisation versucht, an dieser Situation etwas zu ändern? Wir haben schon vor zwei Jahren die Bundesregierung aufgefordert, einige dieser Unschuldigen aufzunehmen. Seit Mitte letzten Jahres sind wir in einer Koalition mit vier anderen Menschenrechtsorganisationen. Mit denen hatten wir am 11. November einen Termin im Auswärtigen Amt, bei dem wir erörtert haben, wie einige unschuldige Häftlinge in Deutschland aufgenommen werden können. Auch zwei Anwälte der Gefangenen waren dort. Mit dabei waren neben hochrangigen Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes auch zwei aus dem Innenministerium. Innenminister Wolfgang Schäuble wusste schon lange von unserem Anliegen. Seine momentanen Äußerungen haben wohl eher mit dem Wahlkampf zu tun. Letztlich ist das Ganze eine Frage des politischen Willens, denn machbar wären die Freilassungen schon lange gewesen. Das Schicksal der unschuldigen Häftlinge ist schlimm, unter den über 240 Häftlingen gibt es aber mit Sicherheit auch gefährliche Kriminelle. Was sollte mit ihnen passieren? Da muss differenziert werden. Von Anfang an war klar, dass Deutschland nur unschuldige Menschen aufnehmen soll. Bei den gefährlichen Terroristen müssen sich die USA selber Gedanken machen, wie die ihrem Richter zugeführt werden können. Von keinem Land der Welt kann die USA erwarten, dass es die von ihnen als schuldig empfundenen Gefangenen oder vermeintlich gefährliche Terroristen aufnimmt.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Marianne Heuwagen
Haben sich denn andere europäische Länder bereit erklärt, eventuell Gefangene aufzunehmen?
Zur Aufnahme bereit erklärt haben sich die Schweiz, Portugal, Irland, Schweden, Finnland und Frankreich. Holland hat verlauten lassen, sie würden das auf keinen Fall tun. Genau wie Deutschland erwarten andere europäische Länder jetzt auch eine offizielle Anfrage von der Obama-Administration.
Ist es nicht ein schwieriges Unterfangen, die ehemaligen Häftlinge wieder in die Gesellschaft einzugliedern?
Natürlich sollen die Betroffenen nicht allein gelassen werden. In der Bundesrepublik gibt es eine gute Infrastruktur mit Folterzentren für Traumatisierte oder Flüchtlingsgruppen. Wie gesagt, es handelt sich ja nur um eine kleine Gruppe etwa fünf bis sieben Menschen, mit denen zu rechnen ist - nicht um Hunderte, wie in der Berichterstattung manchmal der Eindruck vermittelt wird.
Text: natalie-berner - Fotos: ap, privat