Keane-Mastermind Tim Rice-Oxley über das schöne Deutschland, das hängen gebliebene Amerika und die Macht der Musik
Es war eine kleine Kulturrevolution als die Band Keane zu Beginn des dritten Jahrtausends mit einer Musik aufwartete, die nicht von Schrammelgitarren beherrscht war. „Hopes and Fears“ hieß das Werk, das Tom Chaplin (Gesang), Tim Rice-Oxley (Keyboards) und Richard Hughes (Schlagzeug) nicht nur in der Indieszene berühmt machte: Fünf Millionen verkaufte Alben – für Newcomer in Zeiten des Downloads ein enormer Erfolg. Doch der Erfolg birgt auch eine große Gefahr in sich: Wer hoch fliegt, kann tief fallen. Das neue Album „Und The Iron Sea“, das am Freitag erscheint, schlägt in die gleiche Soft-Pop-Rock-Bombast-Kerbe wie der Vorgänger, klingt jedoch wesentlich düsterer. Jetzt.de sprach mit dem Hirn der Band, Tim Rice-Oxley.
matthias-wuerfl
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Kann man mit Musik die Geschicke der Welt verändern?
Ich bin immer mit dem Glauben daran aufgewachsen. Man kann das zwar nicht mit ganz konkreten Beispielen unterlegen. Aber in den 60ern gab es Leute wie Dylan, die Beatles oder Jefferson Airplane und die ganze Psychedelic-Szene aus San Fransisco. Die Protestlieder dieser Künstler waren ein Teil von etwas Größerem. Musik selbst hat die Welt nicht verändert. Aber die Kultur in den 60ern hat die Welt verändert. Und Musik war ein großer Teil davon.
Aber jetzt befinden wir uns nicht mehr in der 60ern und das einstige Protestorgan Kultur wird, wenn man so will, von Playstations und Soap-Operas beherrscht . . .
Dem kann ich nur zustimmen. Wobei zum Glück nicht jedes Kind oder jeder Jugendliche diesen Freizeitaktivitäten verfallen ist. Die Musik in den 60ern war ganz klar von den Geschehnissen auf der Welt inspiriert. Wenn man das in Vergleich zur Gegenwart setzt, dann hat man mit den USA ein extremes Beispiel für konservative Kultur. Ich möchte nicht sagen, dass die Lieder generell schlechter werden – doch sie werden die Welt nicht verändern. Aber wer von den amerikanischen Künstlern sagt denn überhaupt noch etwas Politisches? Es ist vielleicht Green Day und dann die Älteren wie Springsteen, Neil Young, Paul Simon und R.E.M..
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Illustration: Julia Schubert
Du selbst kommt aus Großbritannien – was ist deine Erfahrung mit der amerikanischen Gesellschaft?
Wir haben viel Zeit in New York und Boston verbracht. Die Leute dort halten ihre Augen offen, das sind keine Bush-Wähler. Dasselbe ist an der Westküste der Fall. In den ganzen großen Städten verhält es sich so.
Also warst du noch nicht in Iowa…
Wir sind schon durchgefahren. Aber die Leute dort hängen nicht vor dem Internet und versuchen herauszufinden, welche neuen großartigen Bands aus England gerade angesagt sind. Die hören sich nur die gleiche Musik an die sie schon immer gehört haben. Und eigentlich wollen die überhaupt nicht, dass sich irgendwas ändert. Die wollen nicht, dass sich die Musik ändert und wollen sich auch nicht durch Musik verändern lassen. Und darum wählen sie auch immer George Bush.
Nun, das wird sich zumindest ändern, denn Bush kann nicht noch einmal gewählt werden . . .
Das stimmt (lacht). Aber es warten schon genügend Republikaner-Freaks darauf, seinen Platz einzunehmen. Ich denke aber trotz allem, dass Musik etwas bewirken kann. Für mich als Songwriter ist es wichtig überhaupt irgendwas zu unternehmen.
Du bist ja immer noch als Keyboarder derjenige, der die Lieder schreibt . . .
Richtig.
Und ist das für Tom ein Problem, der deine ganzen Texte singen muss?
Wir sprechen oft über Texte und da wir uns sehr gut kennen, gibt es wenige Probleme. Mein Job in der Band ist es darüber zu schreiben, wie wir uns insgesamt fühlen. Es kommt öfter vor, dass ich Lieder schreibe, die zwar für mich viel bedeuten, aber nicht für die anderen. Und diese Lieder verschwinden dann einfach. Wir arbeiten nur ernsthaft an Material, wenn wir alle große Leidenschaft dafür empfinden.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Illustration: Julia Schubert
Fotos: Universal
Ein Lied auf eurem Album heißt „Hamburg Song“, was hat es damit auf sich?
Da müsste ich generell etwas über Deutschland sagen. Es sind sehr viele deutsche Einflüsse auf dem Album. Der Hamburg-Song war eigentlich nur ein Demo, das mir an einem freien Tag in Hamburg eingefallen ist. Mir hat besonders der Name gefallen. Und auch die Tatsache, dass es damals der erste Tag seit langem war, an dem wir an neuen Liedern geschrieben haben – also ist es schon wirklich lange her.
Was gab es noch für deutsche Einflüsse?
„Is It Any Wonder“ habe ich in Köln am Dom geschrieben. Auch das Demo wurde in Köln aufgenommen. Man sieht also, dass ich in Deutschland viele Lieder schreibe. Das Land ist für mich sehr inspirierend.
Warum?
Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ich mich sehr für das interessiere, was einmal war. Vielleicht ist es aufgrund von Sympathie oder Schuldgefühlen, ich weiß es nicht wirklich. Es ist einfach berührend, am Kölner Dom zu sitzen und sich vorzustellen, dass dies alles einmal zerbombt war . . .
Es ist seltsam, das von einem Engländer zu hören. Das mit den Schuldgefühlen ist normalerweise eine deutsche Domäne . . .
Stimmt. Aber ich denke, dass es sehr wichtig ist, dass diese Dinge nicht in Vergessenheit geraten. Viele Menschen unserer Generation beginnen zu vergessen. Ich sitze auch nicht jeden Tag herum und mache mir Gedanken darüber, was die Briten oder die Deutschen vor 50 Jahren falsch gemacht haben. Aber wenn man es komplett vergisst, besteht die Gefahr, dass dieselben Fehler wieder begangen werden. Vielleicht sollten sich die Amerikaner wieder mal ein bisschen mehr erinnern. Die waren im Ersten und Zweiten Weltkrieg dabei. Dann war da auch noch Vietnam. Und für mich hat es den Anschein, dass dies bei ihnen alles vergessen wird.