Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

"Schreiben hilft, das Leben zu ignorieren"

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Die höchste Eisenbahn: Moritz Krämer, Felix Weigt, Francesco Wilking und Max Schröder.

jetzt.de: Bei der Höchsten Eisenbahn treffen zwei klassische Songwriter aufeinander: du und Moritz Krämer. Ist das nicht schwierig, zwei kreative Köpfe an einem Schreibblock?
Francesco Wilking: Es gab ein paar Arbeitsschritte, die nicht schwierig, aber langwierig waren. Wenn man alleine ist, schreibt und schreibt und schreibt man und versucht herauszufinden, was das Geschriebene eigentlich bedeutet. Wenn man zu zweit ist, muss man das auch noch dem Anderen erklären. Und vielleicht möchte der in diesem Zusammenhang etwas ganz anderes sagen! Zum Beispiel der erste Song auf der Platte: In der ersten Hälfte bin ich derjenige, der gegen alles ist - in der zweiten ist Moritz der, der gegen alle ist, die gegen alles sind.  

Wie muss man sich das vorstellen: du, Sänger von Tele, Moritz Krämer, Max Schröder von Tomte und Felix Weigt von Kid Kopphausen bei der Arbeit? Ganz entspannt, mit Teetrinken und ruhigen Gesprächen?
Ja, es war tatsächlich sehr entspannt. Wir saßen zwar ein halbes Jahr dran, aber wir haben uns auch treiben lassen. Wir waren viel zusammen im Studio und haben dort Songs geschrieben, aber wenn uns zwischendurch mal ein Film eingefallen ist, an den uns ein Songtext erinnerte, kam es auch vor, dass wir uns den einfach mal angeguckt haben - und danach gar nichts mehr gemacht. Es war wirklich sehr schön.  

Gleich im ersten Song eures Albums wirst du aus dem Off gefragt: "Wie geht es dir?" Und du singst: "Nicht schlecht, nicht gut, wahrscheinlich genau wie dir, nur du gibst es nicht zu." Woher kommt dieser Gefühlsmix?
Es war in dem Fall so ein genereller Werbungsüberdruss. Ich bin durch die Straßen gelaufen, und mir knallte alles so positiv entgegen. Überall wurde ich zu guter Laune und "just do it" aufgefordert. Da hatte ich einfach mal Lust, mich dem extrem zu widersetzen.  

http://www.youtube.com/watch?v=1vhCySYSQQs Das Video zu "Was machst du dann".

Und warum geht es dir dann "nicht schlecht, nicht gut"?
Überall geht es immer um Eindeutigkeiten: Entweder geht es einem super oder total beschissen. Dieses Dazwischen, dass man eben alles auch gleichzeitig fühlen kann, wird selten bis nie gesagt. Vor allem nicht in der Werbung.  

Im Song nörgelst du vor allem über die Verspechen der Werbung: Traumreisen, Geld, Smartphones. Du klingst innerlich richtig wütend. Seit wann kennst du diese Wut?
Schon lange. Das ist etwas Manisches bei mir. Man kann Werbung ja auch ignorieren, was man auch oft tut, wenn man zum Beispiel den Rechner hochfährt, plötzlich ungefragt irgendwelche Internetfilmchen losgehen und man dem gar keine große Aufmerksamkeit schenkt. Aber manchmal habe ich trotzdem solche inneren Ausraster. Da denke ich: Ich möchte nicht dauernd von euch angesprochen und schon gar nicht von euch geduzt werden.  

Klingt ja fast aggressiv.
Werbung hat ja auch mit Aggressionen zu tun. Klar, Dallmayr Prodomo ist jetzt nicht wirklich aggressiv, aber so Slogans wie "ich bin doch nicht blöd" schon. Damit wollen die einen unbedingt mit reinholen in ihr Boot. Am schlimmsten ist es, wenn die Werbung versucht, den "normalen Menschen" darzustellen. Wenn da so Typen zu sehen sind, mit Bartstoppeln und allgemein ein bisschen verwuschelt, und die dann diese blöden, naiven Fragen stellen, was Versicherungen oder Stromanbieter angeht: "Du, Eon, wie is’n das eigentlich?" Und im Hintergrund läuft dazu Indie-Musik. Das ist Plastik. Das ist das Böse.   

In deinen Texten empfiehlst du, statt auf die Werte der Werbung zu setzen, einfach mal wieder ein paar Befindlichkeiten auszutauschen.
Wir versuchen ja, wenn wir Songs schreiben, mit den Texten irgendwohin zu kommen und nicht nur Blödsinn zu reden. Zu den wichtigen Dingen durchzudringen. Und das sind eben oft ganz einfache Sachen, zum Beispiel über Gefühle zu sprechen.    

http://www.youtube.com/watch?list=UU7S_H7vBZMaPNh7QpQp-FBA&v=vWBZuo7rQ4M Der Song im Hintergrund dieses Videos heißt "Raus aufs Land".

Wann hast du zuletzt eine Unsicherheit durch Konsum ausgeglichen?
Konsum heißt für mich, dass man sich mit irgendwas zuballert. Das kann man auch mit irgendwelchen Serien tun. Oder mit Lesen. Mit Konsum meine ich vor allem eine Flucht.  

Flucht ist auch ein großes Thema auf dem Album. Zum Beispiel die aufs Land - und dass die irgendwie auch keine Lösung ist.
Das ist eine Geschichte, bei der einiges schiefgegangen ist. Ich kann nicht so viel dazu sagen, weil es Moritz’ Geschichte ist, nur so viel, dass es ein klassischer Fall war: Man hat versucht, etwas zu lösen, nur leider mit dem falschen Werkzeug. Die Luftveränderung war am Ende jedenfalls keine Lösung. Die hat nur alles noch schlimmer gemacht. Das lyrische Ich konnte schließlich nur noch versuchen, durch den Rückzug in die Stadt, wo so viele Gerüste sind, wo Staub und Dreck ist, wieder alles gut zu machen. Was aber auch nicht klappen konnte. Und plötzlich standen da zwei Menschen, die sich hassten, und keiner wusste wirklich, warum.  

Wo fühlst du dich besonders gut aufgehoben, wenn du mal flüchten musst?
Da muss ich einen großen Schriftsteller zitieren, nämlich Fernando Pessoa. Der hat gesagt: Schreiben ist eine der besten Möglichkeiten, das Leben zu ignorieren. Und das trifft bei mir zu. Schreiben oder irgendwie Musik machen sind gute Möglichkeiten für mich, abzutauchen, ohne dass ich danach ein blödes Gefühl habe. Denn man entfernt sich in der Zeit zwar ein Stückweit von der Welt, nähert sich ihr aber durch einen Umweg auch wieder an.  

Das ist also die Erklärung, warum du auf diesem Album so anti klingst?
Genau, ich bin nämlich eigentlich gar nicht anti! Viele Buchautoren schreiben Krimis, damit sie niemanden umbringen müssen. Und ich schreibe eben Songs, um nicht so anti sein zu müssen.  

"Schau in den Lauf Hase" von Die höchste Eisenbahn erscheint am Freitag.

Text: erik-brandt-hoege - Foto: Patrick Jasim

  • teilen
  • schließen