- • Startseite
- • Interview
-
•
„Recht und Gerechtigkeit sind zwei Paar Schuhe“
Sein Fall sorgte für Aufsehen: Im Dezember 2005 überfielen sechs Neonazis den afrodeutschen Rapper Tibor Sturm und schlugen auf ihn ein. Der geübte Kampfsportler griff aus Sorge um sein eigenes Leben zu einem Holzpfahl und verletzte einen der Angreifer schwer. Wegen „überzogener Notwehr“ wurde er zu sieben Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt (jetzt.de berichtete). Die rechten Angreifer hingegen wurden bis heute nicht belangt. Seit Ende Januar ist Tibor wieder auf freiem Fuß – und wurde seitdem erneut von Nazis bedroht.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
[b]jetzt.de: Tibor, du hast sieben Monate in Haft gesessen, weil du dein Leben verteidigt hast. Mit welchen Gefühlen schaust du heute auf die Tat und den Gerichtsprozess zurück? Tibor Sturm: [/b]Eigentlich hätte ich jetzt schon ein wenig Abstand dazu gewinnen sollen, aber die Umstände haben es mit sich gebracht, dass es immer noch nachhaltig böse auf mich wirkt. Es ist so unglaublich, weil ich im Nachhinein noch Drohungen bekommen habe. Ich bin nicht böse auf den Staatsanwalt und den Richter als juristische Personen, aber menschlich bin ich enttäuscht, noch immer. Und was den Angriff betrifft: das war eine feige Tat, die noch immer juristisch ungesühnt ist. Das ist etwas, was mir hängen bleibt im Kopf. [b]Gibt es denn Hoffnung, dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden?[/b] Das Ding ist, dass die sich alle verschanzt haben hinter ihren Anwälten und einfach eine sehr, sehr schlaue Taktik an den Tag legen. Die Behörden bleiben aber dran. Es ist nicht so, dass das irgendwann ad acta gelegt wird – so sieht es im Moment zumindest nicht aus. Da wird weiter ermittelt, bis irgendjemand einen Fehler macht. Noch ist es aber ziemlich vage, ob die in nächster Zeit vor Gericht müssen. [b]Inwiefern hat sich dein Verständnis der Begriffe Recht und Gerechtigkeit durch das Erlebte verändert?[/b] Ich hab das so oft gesagt: Recht und Gerechtigkeit sind zwei Paar Schuhe. Ich hatte in diesem Extremfall das Recht, mein Leben zu verteidigen. Aber gerecht wurde die Strafe, wurde mein Leben allgemein danach nicht behandelt. Recht und Gerechtigkeit – das ist ein Unterschied zwischen Himmel und Hölle. [b]Siehst du das Urteil gegen dich als exemplarisch für den Umgang der Justiz mit rechter Gewalt?[/b] Ja, dazu muss ich auch explizit erwähnen, dass ich als Afro-Deutscher statistisch gar nicht auftauche. Ich gelte statistisch als deutscher Bürger, werde aber durch mein Aussehen bedingt als Nicht-Deutscher gesehen. Grundlage für so ein Gerichtsverfahren sind erstmal Berge von Papier. Da wird vielleicht mal beiläufig erwähnt, dass der Angeklagte ein Schwarzer ist – wenn man Glück hat. Aber allgemein ist man nur der Angeklagte und gerät in Erklärungsnot, wegen dem, was man ist. Es ist allgemein so, habe ich gelernt in der Haft, dass du als Beschuldigter deine Unschuld beweisen musst. Was in der Anklage steht, das vorläufige oder endgültige Ermittlungsergebnis, hat in vielen Fällen nichts mit der eigentlichen Tat zu tun. Das stützt sich auf Aussagen von Menschen, die über dein Leben quasi mitentscheiden. Insofern ist eine faire und offene Meinungsbildung nicht angesagt – das ist immer subjektiv. [b]Du bist mit deinen Erlebnissen an die Öffentlichkeit getreten und hast sie auch unter dem Titel „Lebe deinen Alptraum“ verfilmen lassen. Was für Reaktionen hast du darauf erhalten?[/b] Ich hab sehr, sehr viel Zuspruch aus der Antifa-Bewegung erhalten. Die haben sogar eine Postkarte mit meinem Bild gemacht, wo draufstand „Freiheit für Tibor“. Ich habe unwahrscheinlich viel Briefpost bekommen aus ganz Europa – aus Spanien, Frankreich, Österreich, der Schweiz und überwiegend aus Deutschland. Auf der anderen Seite hatte ich persönlich mit einem bekennenden Nazi während der Haft zeitweise extreme Probleme. Der hatte natürlich auch von dem Fall mitbekommen und hat dann zehn Mitläufer um sich herum versammelt, die mir ein paar Wochen lang das Leben schwer gemacht haben. Das war eine Freigänger-Anstalt, da waren Türen und Tore offen. Die haben lauthals antisemitische Sachen oder „Heil Hitler“ geschrien, gegenseitig von einem Ende des Flures zum anderen. Sie haben Schwarzen-Witze erzählt, sodass ich es mitgekriegt habe und waren halt extrem rassistisch unterwegs. Ich war der Gefängniskoch, der einzige in diesem kleinen Haus, und da haben sie mein Essen boykottiert. [b]Du bist nun seit rund zwei Monaten wieder in Freiheit. Wie hat dich die Haft verändert?[/b] Wenn sie mich verändert hat, dann hat sie mich noch stärker gemacht. Weil ich jetzt noch mehr nach außen gehe. Ich kämpfe noch intensiver gegen Rechts. Der Entlassungstag, der 30. Januar, war ja ein nationalsozialistisch-historischer Tag, also der Tag von Hitlers Machtergreifung. Das hat mir natürlich auch Genugtuung gegeben, so ein ganz klein bisschen ideologisch. Ich hab gleich in der Woche darauf wieder zwei Workshops gegeben an Schulen, gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Und dann hat sich das plötzlich alles überschlagen. Ich hab ernstzunehmende Morddrohungen bekommen, per Mail und per Telefon und habe dann Bayern verlassen. [b]Wo bist du denn jetzt?[/b] Ich bin jetzt an einem geheimen Ort in Berlin, habe da eine sichere Unterkunft bekommen. Ich arbeite jetzt hier, weil ich einfach einen Job gebraucht habe, aber wo, das darf niemand wissen. Ich war im Osten in der letzten Woche, in Dessau und Magdeburg. In Dessau am Grab von Alberto Adriano… [b]… dem Mosambikaner, der im Jahr 2000 in Dessau von Neonazis ermordet wurde und dessen Grab kürzlich geschändet wurde…[/b] Genau. Ich bin da hin zu seinem Grab, habe mich da umgesehen und wurde auch prompt von einem Nazi blöd angemacht, habe mich aber nicht provozieren lassen. Der hat mich definitiv nicht erkannt, sonst wäre das wohl anders ausgegangen. Aber es war dann doch wieder so ein Gefühl da: Ich habe noch nicht richtig damit abschließen können. Ich denke auch, dass ich in absehbarer Zeit einen Psychologen zu Rate ziehen muss, zur Nachbearbeitung der Erlebnisse. In Magdeburg habe ich nur ein paar Nazis an der Ecke stehen gesehen und war schon wieder so unruhig und so kampfbereit innerlich. Obwohl es sich blöd anhört, aber ich war einfach wieder verteidigungsbereit und das möchte ich nicht mehr sein, das ist ein ganz ungutes Gefühl, was auch noch lange ins Wochenende hinein nachgewirkt hat. [b]Fühlst du dich denn in deiner aktuellen Situation ausreichend geschützt? [/b] Ich hätte in Bayern in eine sichere Wohnung unter Personenschutz kommen können, bin aber stattdessen nach Berlin gegangen. Was mir jetzt sehr schwer fällt, ist, dass ich keinen Kontakt zu meiner Familie haben darf, zu meinem Vater und meiner Mutter. Weil niemand weiß, wie die Rechten an die ganzen Informationen über mich gelangt sind, dass die mich jetzt sogar angerufen und mir SMS geschickt haben. Meine Nummer gab es da gerade erst seit zwei Wochen und die war nirgendwo verzeichnet. Deshalb gehe ich lieber auf Nummer Sicher. Ich bin hier in Berlin, das LKA weiß Bescheid, ich fühle mich aber in der Gegend unglaublich sicher, weil es eine Künstlergegend ist und auch sehr multikulturell. Aber es gibt natürlich auch Orte, die ich bewusst meide. Ich fahre nicht in den östlichen Teil der Stadt oder begebe mich an Plätze, die als „national befreite Zonen“ oder „No-Go-Areas“ gelten. Also dieses sichere Gefühl jetzt und hier habe ich, aber es hat auch seine Grenzen. [b]Was weckt das für Gefühle in dir, dass du dich in deinem eigenen Land nicht frei bewegen kannst?[/b] Ich bin in erster Linie sehr froh, dass ich noch am Leben bin und dass ich hier gerade nicht angegangen werde. Ich lebe eigentlich von einem Tag auf den anderen. Deswegen ist es eigentlich gerade ein Egal-Gefühl. Wenn ich drüber nachdenke, dann ärgert es mich aber natürlich sehr, dass ich mich in meinem Heimatland nicht frei bewegen kann. Aber momentan komme ich mit meiner Wohn- und Lebenssituation gut zurecht. [b]In letzter Zeit wurden verschiedene Studien und Statistiken veröffentlicht, die von einem Anstieg rechter und rassistischer Gewalt sprechen. Spürst du persönlich eine Veränderung des gesellschaftlichen Klimas?[/b] Ja, ich spüre es schon. Weil eingetreten ist, was so lange für unmöglich gehalten wurde: dass die Rechten die Mitte der Gesellschaft erreicht haben. Du erkennst den klassischen Nazi nicht mehr, sie können auch nicht mehr zugeordnet werden. Es werden so viele Leute angegriffen aufgrund rassistischer Merkmale, dass ich schon ein sehr, sehr starkes unruhiges Gefühl habe. Ich habe auch streckenweise darüber nachgedacht, Deutschland zu verlassen, weil ich mich in meinem eigenen Heimatland nicht mehr auskenne. Ich finde es sehr alarmierend und es wird wenig bis nichts getan aus staatlicher Sicht. Wenn man sich den Aktionsplan der Bundesregierung ansieht, dann tut es mir leid, aber da kann ich nur drüber lachen. Von wegen, dass der Immigrant besser Deutsch lernen soll und dann passiert nichts mehr. Die haben es noch immer nicht auf dem Schirm. [b]Was muss von politischer und gesellschaftlicher Seite geschehen, um diese Entwicklung einzudämmen?[/b] Es müsste einfach mehr investiert werden. Finanziell wie institutionell. Es muss ein Gegengewicht geben, damit alle, die gegen das rechte Ruder ansteuern, richtig arbeiten können. Momentan ist es ja gerade im Osten, in den neuen Bundesländern, extrem erschreckend, weil diese Diskriminierung dort schon richtig Fuß fasst. Da herrscht eine Stimmung, das kann so nicht weitergehen. Es gibt zwar schon sehr viele gute Aktionen, aber gerade die Jugendarbeit muss stärker subventioniert werden. [b]Wie geht es für dich jetzt persönlich weiter?[/b] Ich werde Fuß fassen in Berlin, irgendwo in Berlin. Und ich gehe mit meinen Workshops jetzt bald an Schulen in die neuen Bundesländer. Ich gehe jetzt nicht plakativ auf Konfrontationskurs mit den Rechten, aber ich wandere da ein, wo sie sich heimisch fühlen – weil sie es im Gegensatz bei mir auch gemacht haben. Wo ich mich heimisch gefühlt habe, da sind sie eingewandert und haben mich bedroht, haben mein Leben grundlegend verändert. Deswegen mache ich das und auch wenn ich nur ein Kind aus den neuen Bundesländern erreichen und seine Meinung ändern kann, dann habe ich für mich selbst viel erreicht. So prognostizieren kann ich sonst nichts, aber ich hoffe wirklich inständig, dass die zuständigen staatlichen Organe endlich die Augen öffnen und sehen, dass es den Menschen, die mit einer anderen Hautfarbe geboren wurden oder die aufgrund ihrer Einstellung rassistisch angemacht werden, immer schlechter gehen wird, solange offensichtlich nichts unternommen wird.