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Neue Hürde für junge Selbstständige

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Wenn es nach Arbeitsministerin Ursula von der Leyen geht, dann sollen ab nächstem Jahr Selbständige unter 30 dazu verpflichtet werden, für ihr Alter vorzusorgen. Wer keine private Vorsorge nachweisen kann, der soll dann einen einkommensunabhängigen Betrag von voraussichtlich 400 Euro in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Doch dagegen regt sich Widerstand.

Tim Wessels ist 27 Jahre alt und hat schon zwölf Jahre als Unternehmer auf dem Buckel. Mit 15 gründete er mit einem Schulfreund eine Firma für IT-Support, mittlerweile habe sie einen zweiten Standort und zehn Mitarbeiter.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Pflichtversicherung für Selbstständige, wie sie Ursula von der Leyen will, stößt auf Widerstand.

jetzt.de: Tim, warum wehrst du dich gegen die Pflichtversicherung für Selbständige? Eigentlich ist es doch sehr vernünftig, sich abzusichern und fürs Alter vorzusorgen?
Tim Wessels: Es macht auf jeden Fall Sinn, für das Alter vorzusorgen. Die Frage ist nur, wie man das tut. Das Problem ist: Bisher konnten Selbständige frei entscheiden, wie und ob sie für ihre Rente vorsorgen. Demnächst soll es einen festen Betrag geben, der unabhängig vom Verdienst ist. Jeder muss dann ca. 400 Euro im Monat zahlen und das ist besonders für jüngere Menschen problematisch, die jeden Cent brauchen, um ihr Unternehmen zum Laufen zu bringen. Die ganze Gründerszene ist massiv betroffen. Es gibt außerdem Selbständige, für die das existenzgefährdend ist, weil sie die 400 Euro nicht aufbringen können. Und es ist niemandem geholfen, wenn diese dann Hartz IV beantragen müssen und erst recht nicht mehr fürs Alter vorsorgen.   

Aber man kann ja auch sagen: Wer nicht für seine Rente vorsorgen kann, der kann eben auch nicht selbständig werden.
Ich glaube, es gibt viele Menschen, die selbständig sind und einer sinnvollen Beschäftigung nachgehen. Und ich denke, das ist auf jeden Fall eine bessere Alternative, wenn sie arbeiten, produktiv sind und etwas tun, das ihnen Spaß macht, als wenn sie arbeitslos werden. Natürlich sollte das Ziel einer Selbstständigkeit immer sein, dass man genug verdient, um vorsorgen zu können. Aber das ist eben nicht in jeder Lebensphase gleich gut möglich. Wenn man jung ist, macht es durchaus Sinn, erst einmal in seine Firma, in sich selbst, in seine eigene Bildung und Erfahrungen zu investieren. Und wenn ich von Anfang an 400 Euro abgeben muss, dann ist mir womöglich der Weg in die Selbständigkeit versperrt. Ich brauche auch bei der Vorsorge die Möglichkeit, flexibel zu sein. Wie ich das tue und wann, muss mir selbst überlassen sein, ob ich in Aktien investiere, in Fonds oder in mein eigenes Unternehmen. Schließlich habe ich selbst den besten Überblick über meine Finanzen, meine Möglichkeiten und meinen Lebensentwurf.  

Welche Auswirkungen des Gesetzes befürchtest du?
Ich denke, dass deutlich weniger Unternehmen gegründet werden und dass sehr viele Ideen einfach nicht mehr ausprobiert werden. Die Politik beklagt sich ja gerne, dass in Deutschland zu wenig ausprobiert wird und dass z.B. im Web-Bereich die allermeisten erfolgreichen Start-ups aus den USA kommen. Wenn hierzulande solche Gesetze gemacht werden, muss man sich darüber nicht wundern. Ich glaube auch, dass es eine Reihe von Selbständigen gibt, die mit dem Gesetz ihre Selbständigkeit aufgeben müssen, arbeitslos werden und damit auch die Sozialsysteme belasten. Eigentlich will man mit dem Gesetz ja die Sozialsysteme entlasten, indem man dafür sorgt, dass die Menschen im Alter nicht auf die staatliche Grundsicherung angewiesen sind. Aber das passiert dann eben jetzt schon für die Menschen, die sich die Pflichtversicherung nicht leisten können. Anstatt im Alter evtl. eine gewisse zusätzliche Unterstützung zu benötigen, müssen sie jetzt schon Hartz IV beantragen – und eine Altersvorsorge ist dann überhaupt nicht mehr möglich. Und letztendlich denke ich auch, dass durch dieses Gesetz Geld und Ressourcen weniger sinnvoll eingesetzt werden. Der Einzelne weiß einfach besser, wie seine individuelle Situation ist, welche Vorsorge er finanzieren kann und was für ihn die sinnvollste Anlageform ist. Klar ist: Niemand will im Alter von Sozialhilfe leben. Wer irgendwie kann, sorgt deshalb vor, und über 80 Prozent der Selbstständigen tun dies auch bereits.    

Und wie kam es dazu, dass du dich entschieden hast, eine Petition einzureichen?
Ich hatte von den Plänen schon vor einigen Monaten erfahren, ehrlich gesagt über Facebook. Als die Pläne dann Gestalt annahmen, war der Punkt gekommen, wo ich dachte, da muss man wirklich etwas tun, weil ich das in vielerlei Hinsicht falsch finde. Man macht sich doch gerade auch selbständig, weil man selbst entscheiden möchte, wie man sein Geld investiert, weil man Eigenverantwortung für sein Leben, für seinen Betrieb, für seine Mitarbeiter übernehmen will. Ich wollte ja gerade nicht, dass der Staat alles für mich regelt – deshalb habe ich mich für die Selbständigkeit entschieden und nicht für ein Angestelltenverhältnis. Eigenverantwortung wird von Politikern gern gepredigt, aber in der Praxis immer mehr beschränkt. Und da dachte ich, das probiere ich jetzt aus mit der Petition.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Tim Wessels hat eine Petition gegen den Gesetzentwurf einer Pflichtversicherung für Selbstständige gestartet.

Wie hätte das Gesetz, das ab 2013 Selbständige unter 30 Jahren pflichtversichert, denn deine eigene Situation beeinflusst?
Für mich wäre so ein Gesetz sehr problematisch gewesen. Ich wäre den Schritt in die Selbständigkeit möglicherweise nicht gegangen, wenn es eine große Hürde gegeben hätte. Und davon gibt es ohnehin schon viele, die Krankenversicherung, die Kindergeldgrenze, die man überschreitet, immer muss erst eine gewisse Menge Geld verdient werden, damit das Überschreiten gewisser Freibetragsgrenzen überhaupt lohnt. Im Gespräch sind momentan 350 bis 450 Euro Pflichtversicherung, die Menschen zahlen sollen, die im Monat mindestens 300 Euro verdienen. Das heißt, man macht mit seiner Selbständigkeit womöglich auch noch Verluste. Ich glaube, in der Politik stellt man sich vor, dass alle Unternehmen immer mit einem ausgefeilten Businessplan und viel Kapital gegründet werden, doch in der Praxis ist es oft anders. Man will vielleicht einfach mal schauen, ob eine Idee funktioniert. Aus solchen „Experimenten“ sind schon viele große Unternehmen entstanden. Viele Menschen werden auch selbständig, um sich selbst zu verwirklichen. Sie verzichten auf großes Geld, dafür machen sie genau das, was sie wollen. Sie haben ein direktes Glücksgefühl bei dem, was sie tun – ein Glückgefühl, das sie sich von einem höheren Verdienst in einem anderen Job nicht „erkaufen“ könnten. Das ist auch ein Wert für das Individuum und für die Gesellschaft, z.B. wenn viele kleine Cafés eine Stadt einfach bereichern.  

Wie viele Unterzeichner habt ihr mittlerweile?
Aktuell haben wir über 20.000 Unterzeichner, wobei das erst in den letzten Tagen richtig an Fahrt gewonnen hat. Noch vor einer Woche hatte die Petition nur ein paar hundert Unterschriften. Aber irgendwie hat es sich dann über Facebook verbreitet. Mich hat das wahnsinnig fasziniert, wie auf einmal so viele Menschen, die sich noch gar nicht kennen, zusammen an einer Sache arbeiten. Da haben viele weit mehr getan, als einfach nur die Petition zu unterzeichnen. Innerhalb von Stunden wurde in der Facebook-Gruppe eine richtige Kampagne aufgesetzt. Allein heute haben wir 10.000 neue „virtuelle Unterschriften“ bei der Online-Petition bekommen – und vor einer Woche dachte ich noch, dass das Thema einfach niemanden interessiert.

Text: christina-waechter - Fotos: dpa, privat

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