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Mit Einwegkameras, Eddings und einer Idee nach Sarajevo
Du bist vor genau einem Jahr nach Sarajevo gereist, um ein neu eröffnetes Jugendzentrum zu fotografieren. Warum? Ich hatte an einem Montag den Artikel auf der jetzt.de-Zeitungsseite über fünf Studentinnen aus Kopenhagen gesehen, die ein Jugendzentrum in Sarajevo wieder aufgebaut haben und bin Donnerstag gleich runtergefahren und eine Woche geblieben. Dort habe ich die Festivalveranstalterinnen und auch den Autor des Artikels getroffen und war dann in dieser Woche mit ihnen unterwegs, habe Flyer verteilt und am letzten Abend die Besucher des Festivals fotografiert, mit denen ein Reporter der BBC Kurzinterviews machte. Und ich habe natürlich das Festival genossen, Bier getrunken und Bands angeschaut.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Aus diesem Spontan-Ausflug ist jetzt ein großes Projekt mit Webseite, Film und einer Wanderausstellung geworden. Wie ist es denn dazu gekommen? Als ich dort war, haben drei Leute aus Kopenhagen, Kirsten, Benjamin und Danika, eine Dokumentation über die Arbeit und das Festival gedreht – die Organisatorinnen hatten sie damit beauftragt. Dieser Film war ihre Bachelor-Arbeit, meine Fotografien der Festivalbesucher waren eine freie Arbeit, ich wollte einfach gerne das Thema zeigen. Ich habe sie auf dem Festival kennen gelernt und bin dann später mit ihnen in Kontakt getreten und habe gefragt, ob sie nicht Lust hätten, aus der Arbeit etwas Gemeinsames zu machen. So ist das Projekt entstanden. Und wie sieht das aus? Die Aktion in Sarajevo, die am Freitag beginnt, ist stadtübergreifend. Wir zeigen in einem Buchladen, einer Bar und einem Club kleine Clips des Film in den Fenstern der Läden. Vielleicht auch noch woanders, je nachdem, wie viele Beamer wir bekommen. Den eigentlichen Film zeigen wir dann im „Club Bosna“ und danach gibt es eine Party. Außerdem werden sechs meiner Portraits großformatig an verschiedene Wände in der Stadt gehängt. Außerdem haben wir noch 15.000 Aufkleber dabei, die wir verteilen, Blanko-Aufkleber, die von den Jungs und Mädchen selbst bemalt werden können und 100 Einweg-Kameras, die wir an Kinder verteilen und danach zum Entwickeln nach Berlin mitnehmen. Wir geben ein paar Work-Shops, unter anderem einen Sound-Workshop mit einem Toningenieur, der mit den HipHop-Kids dort Aufnahmen macht. Die Fotos aus den Einwegkameras kommen später auf unsere Webseite this-is.org und sollen auch Teil der Ausstellungen in Berlin und Kopenhagen werden.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Ihr seid alle Ausländer, die nach Sarajevo kommen und eine Ausstellung über die Stadt und die Jugendkultur machen. Kommt ihr euch da nicht ein bisschen komisch vor? Nein, eigentlich nicht. Wir haben nicht den Ansatz, zu helfen oder etwas ins Rollen bringen zu wollen – diesen Idealismus haben wir nicht. Wichtig ist uns, die Sachen, die wir dort gemacht haben, wieder zu den Leuten zurück zu bringen. Wenn sich daraus etwas entwickeln könnte, eine Art Netzwerk entstehen könnte, wäre das schön. Wir wollen an die beiden anderen Ausstellungsorte Berlin und Kopenhagen auch Bands aus Bosnien einladen und wenn daraus Kontakte ins restliche Europa entstehen, wäre das toll. Ich liebe zum Beispiel unsere Aufkleber. Wir haben im Mai schon mal 3000 Stück mit der Aufschrift „this is the best place in Sarajevo“ verteilt. Daraus haben sich Diskussionen entwickelt – dass es doch nur einen besten Platz geben könne und nicht dreitausend und welcher das sei. Manche haben den Sticker auf den Hintern ihrer Freundin geklebt, andere auf Club-Eingänge. Die Leute haben ein sehr unterschiedliches Bild von ihrer Stadt und wissen, dass einige Dinge im Argen liegen. Aber es ist schön, wenn man sagt: das ist trotzdem super. Was fasziniert dich an Sarajevo so? Mich interessiert diese Stadt. Bosnien ist ein bemerkenswertes Land mit netten Menschen und ich fände es gut, wenn Leute in Deutschland sich dafür interessieren würden. Man kann dort auch Urlaub machen, aber irgendwie kommt niemand auf die Idee. Und niemand kennt die Geschichte genau oder weiß, was da jetzt los ist. Ich persönlich finde es interessant, wie eine Kultur, ein soziales Leben sich nach einem Krieg wieder sortiert. Ich bin da kein Profi, sondern habe mich nur aufgrund meiner Fotografien damit befasst. Wie sieht das aus zehn Jahre nach dem Krieg? Als wir das erste Mal da waren, sind wir lange Strecken an den gelben Minen-Warn-Bändern entlang gefahren, das ist jetzt nicht mehr so. Entweder weil die Minen tatsächlich geräumt wurden oder die Bänder sind nicht mehr da. In Sarajevo sieht man die Veränderung auch, aber eben auch, dass der Krieg ganz große Schäden hinterlassen hat, nicht nur materielle, sonder auch bei den Menschen. Mir ist es am Anfang zum Beispiel furchtbar auf den Geist gegangen, dass man überall in der Stadt noch Einschusslöcher in den Häusern sieht und ich habe mich gefragt, warum die nicht weggemacht werden. Aber das ist auch eine Frage des Geldes.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Jeder, den du triffst, hat etwas mit dem Krieg zu tun gehabt. Bei fast jedem Gespräch kommt man auf den Krieg zu sprechen und auf die Frage, wie junge Leute sich motivieren können. Ich habe von meinen Eltern gelernt, dass Sachen dann passieren, wenn ich sie mache. Aber dort gibt es oft einfach keine oder nur beschränkte Möglichkeiten. Als ich das letzte Mal da war, habe ich mit ein paar Skater-Jungs Interviews gemacht, die waren sehr jung, circa zwölf Jahre alt. Die habe ich gefragt, ob es nicht auch ältere Skater gibt, aber während des Krieges konnte natürlich niemand daran denken, Skateboard zu fahren. Und jetzt ist da niemand, der diesen zwölfjährigen Jungs Tricks beibringen könnte. Die bringen sich alles selbst bei. Und mit beschränkten Möglichkeiten kann man auch nur beschränkte Sachen machen. Aber man darf sich das nicht zu dramatisch vorstellen. Die Leute sitzen nicht rum und heulen. Im Gegenteil: Vor allem die Jugend hat Lust, etwas zu machen, Kunst, Sport, Musik, zu tanzen und zu feiern. Wie finanziert ihr eure Projekte? Durch eine Mischung aus Sponsoring und Spenden. Bisher haben wir alles selbst finanziert. Jetzt übernimmt die „European Cultural Foundation“ unsere Reisekosten. Die Kameras und die Entwicklung der Filme wird von einem Berliner Labor finanziert und die Stifte, Aufkleber, etc. werden auch von Sponsoren bezahlt. Ihr wollt eure Ausstellung auch noch in Berlin und Kopenhagen zeigen. Gibt es da schon Termine? Wir wissen noch überhaupt nichts. Diese Projekt machen wir fünf alle nebenher, auch wenn die Organisation extrem viel Arbeit ist. Bilder: Gerrit Hahn