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"Mickie Krause vermittelt keinerlei Erotik."

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Bei erotischer Musik denken viele Menschen sofort an „Je t’aime“ von Jane Birkin und Serge Gainsbourg. Sie auch?
Dietrich Helms: „Je t’aime“ ist sicherlich der berühmteste Stöhnsong in der Geschichte der populären Musik, aber bei weitem nicht der erste und einzige.  

Wie sind Sie denn überhaupt auf die Idee gekommen, sich mit dem Thema „Sex und populäre Musik“ auseinanderzusetzen?
Ausgangspunkt war eine Konferenz von Populärmusikforschern des Arbeitskreises Studium Populärer Musik, in der es um das Thema ging. Die Beiträge dieser Konferenz werden in dem Buch veröffentlicht, dass ich zusammen mit dem Kollegen Thomas Phleps herausgegeben habe. Sex ist in der Musik zwar Thema Nr. 1, in der Musikforschung aber überhaupt nicht. Der Zusammenhang von Erotik und Musik ist bisher kaum untersucht worden.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Ihr Buch heißt „Thema Nr. 1 – Sex und populäre Musik“. Aber das Thema Nr. 1 in der Popmusik dürfte doch wohl die Liebe sein, die etwas anderes ist als Sex. Natürlich. Und im Buch geht es tatsächlich weniger um Sex, mehr um Erotik. Nicht um den tatsächlichen Geschlechtsverkehr, sondern um die gespielten oder realen Wege dorthin. Die Liebe kann bei all dem selbstverständlich mitschwingen, muss es aber nicht. 

Der Naturforscher Charles Darwin war der Meinung, der Ursprung der Musik läge im Balzverhalten der Tiere, sodass die Verknüpfung von Sex und Musik logisch erscheint. Wie stehen Sie selbst zu dieser These?
Ich halte sie für falsch. Denn wenn dem so wäre, müssten unsere Alpha-Männchen, z.B. unsere führenden Politiker, allesamt gute Sänger sein. Doch wer die auf einer Parteiversammmlung schon einmal die Nationalhymne hat singen hören, der weiß, dass das nicht der Fall ist. Man muss unterscheiden: Die Kommunikation der Tiere ist etwas anderes als die Musik der Menschen. Ein Zebrafink, der sein Liedchen trällert, will damit natürlich ernsthaft werben. Beim Menschen ist musikalische Kommunikation aber in der Regel eher spielerisch gemeint. Musik produziert Sonderräume, in denen für eine genau festgelegte Zeitspanne andere, besondere Regeln der Kommunikation gelten – wie im Spiel. Musik setzt Kommunikation quasi in Anführungsstriche.

Sonderräume welcher Art?
Nehmen wir mal ein Fest: Wenn dort Musik läuft, entsteht plötzlich eine Art Spielwelt, in der kommunikative Sonderregeln gelten. Ich darf mein Gegenüber anfassen, ihm oder ihr tief in die Augen sehen oder zusammen mit dem Interpreten der Musik „Ich liebe dich“ singen – all das muss nicht unbedingt Konsequenzen haben. Es wäre aber etwas anderes, wenn ich das ohne musikalische Untermalung tun würde. Wem würden Sie glauben: Einem Gegenüber, das „Ich liebe Dich“ singt oder einem, das denselben Satz spricht? 

War es das, was Sie meinten, als Sie im Buch Tanzen mit einem Vorspiel gleichgesetzt haben?
Ich habe Tanz nicht als Vorspiel bezeichnet, sondern Tanzen als Vorspielen von Erotik dargestellt. Das Tanzen auf einem Fest oder in der Disco ist häufig nichts anderes als eine Spielwiese zur unverbindlichen Erprobung von Erotik. Man kann seinen Körper testweise zur Schau stellen und erotische Bewegungen üben, ohne dass es irgendwelche realen Konsequenzen haben muss. Solange die Musik spielt, verpflichtet man sich zu nichts. Man kann flirten, jemanden anfassen bzw. umfassen. Doch wenn die Musik zu Ende ist, wird alles wieder zurück auf „normal“ gestellt. Wer den Flirt in die Zeit nach der Musik hinüberretten will, muss Hemmschwellen erneut überwinden. Man lässt die Partnerin oder den Partner nach dem Tanz sofort los – es sei denn man will tatsächlich konkrete Absichten signalisieren. 

War das denn immer schon so?
Ja – zumindest in allen weiterentwickelten Gesellschaften, in denen das öffentliche Zurschaustellen von Erotik tabuisiert gewesen ist. Denn wenn man erotisches Verhalten nicht sieht, kann man es auch nicht lernen. Für eine gleichberechtigte Sexualität ist dieses Erlernen jedoch enorm wichtig, denn ansonsten ließe sich Sexualität nur durch den Einsatz von Gewalt herbeizuführen.

Tanzen ist für Jugendliche demnach eine Heranführung an den Umgang mit dem anderen Geschlecht.
Ja. Aber auch eine Heranführung an den Umgang mit dem eigenen Körper.  

Wie entsteht denn Erotik mit musikalischen Mitteln?
Die Ansichten dessen, was als erotisch empfunden wird, sind von Mensch zu Mensch unterschiedlich, sodass es dafür leider kein Patentrezept gibt. Aber oft entsteht Erotik durch eine Tonstudiotechnik, die Nähe suggeriert – am besten mit einer leisen, rauchigen Stimme und starken Atemgeräuschen. In der Popmusik kommt es vor allem auf einen hohen Wiedererkennungswert in der Stimme an, und eine Stimme verweist immer auf einen Körper. Man muss sich nur einmal klar machen, dass man sich ja auch bei einem Telefongespräch bewusst oder unbewusst immer das Gegenüber vorstellt. Deshalb versucht man in der populären Musik, durch die Stimme möglichst viele Informationen über den Körper zu vermitteln.  

Demnach ist der Text oder die Instrumentierung eher zweitrangig, wenn es um erotische Musik geht.
Genau. Ein Mickie Krause singt hat zwar explizite Inhalte, vermittelt mit seiner Stimme aber keinerlei Erotik.  

„Sex sells“ – das gilt sicherlich auch für Popmusik. Müsste sich das im Zuge der ständig propagierten Übersexualisierung denn nicht irgendwann abnutzen?
Das passiert doch auch. Stöhnsongs wie „Je t’aime“ funktionieren bloß alle zehn Jahre, provozieren kurzzeitig einen kleinen Skandal und verschwinden dann wieder in der Versenkung. Was bei Elvis damals für Furore sorgte, gehört heute zum Standard-Repertoire. Auch ein Stück wie Falcos „Jeannie“ würde im Vergleich zu den sogenannten Porno-Rappern von heute keine große Bestürzung mehr hervorrufen. Wobei man sagen muss, dass es in den Texten der Porno-Rapper nicht um Sex und Erotik geht, sondern um Macht und Gewalt.  

Inwiefern?
Die sogenannten Porno-Rapper haben zwar eine sexualisierte Sprache, aber das hat nichts mit Erotik zu tun. Das sind Symbole der Macht. Auch Macht ist ja Kommunikation mit dem Körper. Dahinter steht in letzter Konsequenz immer die Androhung körperlicher Gewalt. Während ich Erotik als Kommunikation zwischen Gleichberechtigten verstehe, bedeutet Gewalt immer die Unterordnung des einen unter die Wünsche des anderen. Sehen Sie sich doch mal ein typisches Rap-Video an: Die Protagonisten sind häufig aus einer Untersicht gefilmt, sodass die Rapper auf ihre Betrachter herunterblicken. Gleichzeitig texten die Rapper auf ihr Publikum ein, „dissen“ ihre Kollegen. All das sind Unterdrückungsgesten.

Der Stern hat die Musik der sogenannten Porno-Rapper mal als „Soundtrack zur sexuellen Verwahrlosung“ bezeichnet. Wie sehen Sie das?
Nein, das ist Quatsch. Denn auch hier gilt meine These, dass Musik ein fiktives Umfeld entstehen lässt. Was dem Hörer oder der Hörerin mit der Musik vorgespielt wird, übernimmt man genauso wenig automatisch in die Realität, wie die Handlungen aus einem Fernsehfilm – es sei denn, man bezieht seine gesamten Informationen über die Realität aus den Medien. Wenn das der Fall ist, kann das durchaus einen negativen Einfluss haben. Infolgedessen bräuchten wir weniger eine Zensur von Musik, als vielmehr eine öffentliche Auseinandersetzung damit. Die Erfahrung von Realität muss gestärkt werden, um den Unterschied zwischen Wirklichkeit und Fiktion aufzuzeigen. 

Sie schreiben in Ihrem Buch auch über Musik, die für die Begleitung von Geschlechtsverkehr genutzt wird und verweisen darauf, dass diese möglichst unerotisch sein sollte. Wieso denn das?
Möglichst unerotisch nicht, aber eher unauffällig. Das wird von einer Umfrage gestützt, die die Kollegen Michael Ahlers und Christoph Jacke durchgeführt haben, die ebenfalls in unserem Buch veröffentlicht ist: Eine Musik, die z.B. durch provokatives Stöhnen oder durch explizite Texte immer wieder die Aufmerksamkeit auf sich lenkt, wirkt störend wie ein „unsichtbarer Dritter“ im Raum. Musik kann helfen, die Umwelt auszublenden, eine Klangtapete zu bilden, eine Traumkulisse aufzubauen, Stimmung zu machen. Aber sie sollte nicht von der Partnerin oder dem Partner ablenken.  

Es muss also Platz für die eigene Erotik bleiben.
Ganz genau.  


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Dietrich Helms, Thomas Phleps: Thema Nr. 1: Sex und populäre Musik. Transkript Verlag, Bielefeld, 2011. 234 Seiten, 21,80 Euro. http://www.transcript-verlag.de/ts1571/ts1571.php

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