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Mein Opa, der höfliche Ganove

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Vier Jahre lang hat Sabine Kray die ungewöhnliche Lebensgeschichte ihres Großvaters recherchiert und sie in einem Roman wiedergegeben. Im März ist er erschienen. In "Diamanten-Eddie" erzählt sie von Edward Kray, der mit 15 in Polen von der Gestapo verhaftet und verschleppt und während des Zweiten Weltkriegs als Zwangsarbeiter in der Rüstungsinsustrie eingesetzt wurde. Nach dem Krieg machte er sich in Mönchengladbach und Umgebung als Juwelen- und Pelz-Dieb einen Namen: Sogar die Polizei nannte ihn "Diamanten-Eddie". In ihrem Buch schlägt Sabine Kray den Bogen von der Kindheit ihres Großvaters bis hin zum psychischen Zusammenbruch in den 80er Jahren. Im Interview erzählt sie von der aufwändigen Recherche, was die mit Kneipenabenden, Wodkanächten und Schlösserknacken zu tun hat und wieso sie einen Roman geschrieben hat und keine Biografie.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sabine Kray, 30,  arbeitet als Übersetzerin in Berlin. Jetzt hat sie ihren Debütroman veröffentlicht.

jetzt.de: Hast du während der Arbeit am Roman eine Erklärung gefunden, warum dein Großvater vom Zwangsarbeiter zum Verbrecher geworden ist?  
Sabine Kray: Definitiv ist es nicht die Robin-Hood-Variante, also „Ich hole mir wieder, was sie mir weggenommen haben“. Es war für ihn einfach ein Weg, schnell jemand zu werden, zu zeigen: „Ich kann etwas, ich habe etwas, ihr könnt mir nichts tun.“ So kam er aus seiner Opferrolle heraus. Ein interessanter Dreh an der Geschichte ist, dass er sogar seinen Namen abgelegt hat: Er wurde von Stanisław Edward Kray zu „Diamanten-Eddie“. Alle haben ihn so genannt. Er hat sich auf diese Weise komplett neu erfunden.  

Du hast einen 700-Seiten-Roman über ihn geschrieben – ohne ihn kennengelernt zu haben. Warum kanntest du ihn nicht?
Er ist 1994 gestorben, aber mein Vater hat den Kontakt zu ihm schon abgebrochen, als ich ein Jahr alt war.

Warum?  
Mein Großvater hatte Schwierigkeiten, sich auf Bindungen einzulassen, weil er seine eigene Familie und viele andere Menschen im Krieg verloren hat. Das Problem war, dass er mit niemandem darüber gesprochen hat, dadurch hatte mein Vater auch nicht die Möglichkeit, sich einzufühlen.  

Wann hast du erfahren, dass dein Großvater keine gewöhnliche Lebensgeschichte hatte?  
Schon im Grundschulalter. Mein Vater hat mir erzählt, wie sie beim Jugoslawen essen waren und mein Großvater mit angebrannten Geldscheinen bezahlt hat, oder wie meine Großmutter Juwelen vor der Polizei versteckt hat. Mein Vater erzählte das mit viel Freude,  aber auch mit Einschränkung: „In der Schule solltest du das besser nicht erzählen!“ Weiter nachfragen war auch nicht erwünscht. An den Kern der Sache sind wir dadurch also nicht gekommen.  

Warum hast du entschieden, mehr darüber zu erfahren?  
Anfangs war das eine Art Identitätssuche. Als ich bei der Recherche allerdings auf den Zwangsarbeiterhintergrund gestoßen bin, wurde daraus relativ schnell mehr. Das Schicksal meines Großvater betraf mehr als zwölf Millionen Menschen. Diesen Menschen wollte ich eine Stimme geben, weil es die im gesellschaftlichen Diskurs und in der Literatur bisher sehr selten gegeben hat.  

Dein Roman umfasst fast das ganze Leben deines Großvaters, von seiner Kindheit in Polen bis zur Reaktivierung seines Kriegstraumas, wegen der er in die Psychiatrie eingeliefert wurde. Wo fängt man eine so große Recherche an?  
Ich habe Archiv-Anfragen beim International Tracing Service und dem Bundesverband für Information und Beratung für NS-Verfolgte gestellt. Durch die ersten Ergebnisse von dort kam dann eine Welle ins Rollen. Über den Bundesverband tauchte zum Beispiel der Wiedergutmachungsantrag meines Großvaters auf. Das war auch der Moment, in dem ich beschlossen habe, das Buch zu schreiben.  

Warum?
Weil ich dadurch realisiert habe, was für ein Fass ohne Boden die Zwangsarbeit sowohl in seinem Lebens als auch im Leben so vieler anderer gewesen ist. Das Dokument ist mir sofort unter die Haut gegangen, weil er auch selbst schildern musste, wie es ihm ergangen ist.

Die Passagen aus dem Wiedergutmachungsantrag sind das einzige persönliche Zeugnis deines Großvaters aus der Zeit in den Arbeitslagern. Wie hast du dir alle anderen Ereignisse erschlossen?  
Ich habe ich mir angesehen, welche Orte und welche Umstände geschildert werden. Dann bin ich die einzelnen Standorte durchgegangen, zum Beispiel Junckers Flugzeug- und Motorenwerke und das Arbeitserziehungslager in Lahde, und habe alles, was dazu an Material zu bekommen war, gesichtet und einige Wissenschaftler kontaktiert. Über eine Datenbank hatte ich Zugriff auf mehrere hundert lebensgeschichtliche Interviews mit Zwangsarbeitern, die habe ich mir angesehen und versucht, einen Kontext zu treffen, der dem meines Großvaters am nächsten kam.  

Hast du viele Menschen aus der Vergangenheit deines Großvaters getroffen?  
Ja, nach der Archivrecherche habe ich die Zeitzeugen besucht. In Mönchengladbach bin ich einfach durch die Kneipen gezogen, dazu hatte mein Vater mir geraten. Ich hab mir da mein Bier bestellt und irgendwann angefangen zu fragen. Und dann brach eine Lawine los: Der kannte noch den und den und wusste, wo der und der immer sitzt, und so weiter. Alle waren hilfsbereit und haben sich für mich eingesetzt. Das hat einen riesigen Unterschied gemacht für das Verständnis meines Großvaters.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Edward Kray Ende der 40er Jahre (l.) und 1957 während einer Reise nach Griechenland

Du bist auch nach Polen gereist und hast dort Verwandte gefunden, von denen du nichts wusstest.
Genau, ich bin da nur durch Zufälle gelandet. Ich war in Zamość, weil ich mir die Heimatstadt meines Großvaters ansehen wollte. Durch eine Suchmeldung im katholischen Radio und über Infos von zwei Einheimischen habe ich erfahren, dass noch eine Familie Kray dort wohnt. Und dann stand ich auf einmal vor der Cousine meines Vaters. Sie hat sofort angefangen zu weinen. Weil ich am nächsten Tag schon wieder wegmusste, haben wir die ganze Nacht Wodka getrunken und Fotos angeschaut. Das Buch konnten sie bisher leider nicht lesen. Ich bin aber auf der Suche nach einem polnischen Verlag und würde mich sehr freuen, wenn es übersetzt wird. 

In „Diamanten-Eddie“ geht es oft um Einbrüche und das Knacken von Schlössern, du beschreibst das im Detail. Kannst du selbst Schlösser ohne Schlüssel öffnen?  
Ja. Es war mir wichtig, auch das beschreiben zu können, also habe ich recherchiert und bin auf einen Verein gestoßen, der „Lock Picking“ betreibt. Das hat wenig mit krimineller Energie und viel mit Sport zu tun, für die ist das eine reine Frage der Ehre, ein Schloss möglichst schnell öffnen zu können. Da habe ich mir das beibringen lassen.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Edward Kray und Sabines Großmutter Gisela bei ihrer Verlobung Ende der 50er Jahre (l.); Edward Kray auf einem Fest in Mönchengladbach

Wieso hast du die Geschichte als Roman aufgeschrieben und nicht als Biografie?  
Weil sich das eher nach meinem Medium angefühlt hat. Ich bin mit Literatur aufgewachsen, habe in meiner Jugend schon viel geschrieben und gleichzeitig habe ich gemerkt, dass es ein toller Weg ist, Menschen in die Geschichte meines Großvaters mitzunehmen.  

Wie viel der Geschichte ist denn wahr und wie viel literarische Freiheit?  
Es sind nicht alle Personen real, aber viele Kernpersonen: Picco aus dem „Lover’s Lane“, der ist heute in Mönchengladbach eine Lokalgröße. Meine Großmutter. Uli, der Lehrling meines Großvaters, mit dem ich sehr viel gesprochen habe. Oder Bolesław, mit dem mein Großvater aus dem Arbeitslager in Köthen geflohen ist.  

Welches Bild deines Großvaters hat sich durch die Recherche ergeben?  
Ich hatte damit gerechnet, dass man mir vielleicht erzählt, dass er ein Betrüger und ein Arschloch war. Aber was ich von den Menschen in Mönchengladbach und von meiner Familie über ihn gehört habe, nämlich was für ein höflicher und zauberhafter Mensch er war, das hat mich sehr glücklich gemacht.  

Wenn du die Möglichkeit hättest, ihn noch mal zu treffen, was würdest du ihn fragen?  
Warum er es nicht gewagt hat, mit seiner Familie über seine Geschichte zu sprechen. Ich würde ihm auch gerne sagen, dass er in meinen Eltern gute Zuhörer gefunden hätte. Und ich würde mir von ihm ein paar wilde Geschichten aus der Nachkriegszeit erzählen lassen.  

Du hattest vor kurzem eine Lesung in Mönchengladbach. Waren die Freunde und Bekannten deines Großvaters dabei?  
Ja, und es war absolut entzückend, sie im Publikum zu haben. Denen ist die Brust geplatzt vor Stolz, wenn sie im Text vorkamen. Es war auch eine ältere Dame da, die als konkrete Person nicht im Buch auftaucht, aber mir unglaublich geholfen hat, meinen Großvater und die Art, wie er mit Menschen und vor allem mit Frauen umgegangen ist, zu verstehen. Mein Großvater hat ihr in den 60ern den Hof gemacht und ein kleines, in Seidenpapier eingewickeltes Päckchen mit Brillanten geschenkt. Die hat sie mir mitgebracht und gesagt, ich solle mir ein Schmuckstück daraus machen lassen.  

Weißt du, woher die Brillianten stammen?  
Nein. Aber sie sind alle unterschiedlich intensiv geschliffen, ich gehe davon aus, dass es Beute aus einer Antwerpener Diamantenschleiferei ist.   

Sabine Kray: Diamanten Eddie. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt 2014, 698 Seiten, 24,90 €.


Text: nadja-schlueter - Fotos: Rebecca Sampson (Porträt Sabine Kray); Sabine Kray (Fotos Edward Kray)

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