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Master of Sexology
Jetzt.de: Sie bieten ab Oktober einen Master in Sexologie in Merseburg und der Schweiz an. Haben wir etwa so wenig Ahnung von Sex?
Harald Stumpe: Sexualität ist zwar etwas ganz Natürliches, eine Triebkraft des Menschen. Aber gucken Sie sich doch mal die aktuelle Situation an, zum Beispiel die Diskussion in Baden-Württemberg über sexuelle Vielfalt im Schulunterricht. Es gibt in der Bevölkerung großen Widerstand dagegen, dass Jugendliche über die unterschiedlichen Möglichkeiten aufgeklärt werden sollen. Mit einem schwulen oder lesbischen Coming Out haben sie es immer noch schwer.
Es gibt den Studiengang, weil die Allgemeinheit zu verklemmt ist?
Ja, wobei es da natürlich sehr starke Unterschiede gibt. Viele Menschen sehen in der Sexualität tatsächlich noch immer nur den Fortpflanzungszweck und verdrängen die Lust- oder Kommunikationsfunktion. Unser Ziel ist es, Fachleute auszubilden, die Menschen in allen Altersgruppen und Lebenssituationen begleiten und ihnen dabei helfen, eine selbstbestimmte Sexualität zu entwickeln.
Das klingt ein bisschen nach Dr. Sommer. Bilden Sie Sexualpädagogen aus?
Nein, nicht nur. Der neue Studiengang hat einen sehr körperorientierten Ansatz – da liegt auch der Unterschied zur angewandten Sexualwissenschaft. Der Master in Sexologie befähigt die Absolventen stärker für therapeutische Berufe. Entweder freiberuflich oder in Kooperation mit psychologischen und medizinischen Einrichtungen, wie zum Beispiel Spezialpraxen von Urologen oder Frauenärzten. Schließlich haben Ärzte oft keine Zeit selbst mit ihren Patienten lange Gespräche zu führen. Es wäre ideal, wenn zumindest in Teilzeit ein Sexologe oder eine Sexologin in größeren Praxen tätig wäre. Zum Beispiel bei Männern mit Prostatakrebs oder Frauen mit gynäkologischen Problemen bedarf es nach Operationen häufig einer entsprechenden Beratung. Von den Ärzten kann sie meistens nicht geleistet werden.
Das heißt, ein studierter Sexologe kann Menschen auch zu einem besseren Sexleben verhelfen?
Ja, wenn auch mit einer anderen Formulierung: Sexologen sollen helfen, eine selbstbestimmte Sexualität zu entwickeln. Denn wer kann schon beurteilen, was schlecht und was besser ist. Trotzdem wird sie heute noch durch eine moralische Brille gesehen. Sexologen heben nicht den pädagogischen Zeigefinger.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Professor Harald Stumpe findet, dass wir Sexologen brauchen, weil die Gesellschaft immer noch verklemmt ist
Wie wird man im Master Experte für Sex? Müssen die Studenten in den Seminaren Kondome über Gurken ziehen und Modellgeschlechter untersuchen?
Es gibt tatsächlich Körperübungen. Die Dinge, die Sie da ansprechen, die spielen als Methoden in der sexuellen Bildung natürlich auch eine Rolle. Da gibt es noch mehr Übungen, die man schwer erläutern kann. Es sind auch verschiedene Praxisphasen eingebaut. Die Studierenden werden selbst Menschen beraten, entsprechende Falldokumentationen bearbeiten und Menschen in Problemen begleiten.
Gibt es auch Einheiten zur gleichgeschlechtlicher Liebe und Fetischen?
Natürlich. Alle Spielarten der Sexualität werden im Studiengang berücksichtigt. Wir achten auch darauf, dass unter den Lehrenden Frauen und Männer unterschiedlicher sexueller Orientierung vertreten sind. Der Master baut auf einem speziellen sexualwissenschaftlichen Ansatz auf: Sexocorporel. Kurz zusammengefasst meint er, dass man seine Sexualität lebenslang erkunden und immer Neues dazulernen kann.
Im Oktober beginnt der Studiengang. Wie viele Bewerber gibt es bereits?
Aus der Schweiz sind es circa 15 Bewerber. Wir bieten den Master in Kooperation mit dem Institut für Sexualpädagogik und Sexualtherapie in Uster an. Wir gehen davon aus, dass der Studiengang mit Standort in der Schweiz beginnen wird. Ob ein Durchgang ab Oktober in Merseburg beginnen kann, ist noch unsicher. Das Problem sind dabei natürlich auch die relativ hohen Studiengebühren von insgesamt 19.500 Euro, wobei es auch Fördermöglichkeiten gibt. Wem das zu teuer ist, der kann sich in Merseburg ja auch für den bereits existierenden Master in Angewandter Sexualwissenschaft bewerben.
Wie sehen die Bewerber im Vergleich zum durchschnittlichen Masterstudenten Mitte 20 aus?
Es kommen erfahrungsgemäß Bewerber aus verschiedenen sozialen Arbeitsfeldern, aber auch aus den Beratungsberufen. Zum Beispiel Psychologen, Soziologen und Pädagogen. Wir hoffen aber auch, dass Mediziner teilnehmen, die sich weiterqualifizieren wollen. Sie werden alle älter sein als der durchschnittliche Master-Student. Voraussetzung ist ja auch die mindestens einjährige Berufserfahrung. Problematisch ist: Bei den Bewerbern kann man davon ausgehen, dass die Männer nach wie vor in der Minderzahl sein werden. Leider.
Würden sich sehr junge Menschen schwerer tun, in ihren Seminaren unverkrampft über Sexualität zu sprechen?
Nein, ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Fähigkeit über Sexualität offen und authentisch kommunizieren zu können nicht vom Alter abhängig ist.
Text: daniela-gassmann - Foto: dpa / o.H.