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„Man spürt den Hohn in der Stadt“
Florian Kläger, 24, und Lisa Sperling, 23, haben bei der diesjährigen Berlinale ihren ersten Dokumentarfilm präsentiert – noch bevor sie ihr Filmstudium überhaupt begonnen haben. „Stuttgart 21 – Denk mal!“ begleitet die Proteste gegen das umstrittene Bahnhofsprojekt aus einer beeindruckenden Nähe. Die verwackelten Aufnahmen von der eskalierenden Räumung des Stuttgarter Schlossgartens durch die Polizei, aber auch die vielen Interviews mit verschiedensten Leuten und Gruppen aus der Protestbewegung machen den Film zu einem sehenswerten, wenn auch parteiischen Dokument des Widerstands gegen Stuttgart 21. Auch nach dem Start des Films blieben Florian und Lisa in Kontakt zur Protestbewegung. Wir haben sie gefragt, wie es dort nach der Volksabstimmung aussieht.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
jetzt.de: Euer Film zeigt nur die Gegenbewegung zu Stuttgart 21, die Befürworter kommen nicht zu Wort. Wie sehr seht ihr euch als Teil der Bewegung gegen Stuttgart 21?
Florian Kläger: Wir sind in die Bewegung quasi hineingewachsen. Wir haben vor gut zwei Jahren eine der ersten Demos miterlebt. Damals waren das vielleicht 200 Leute, die da an einem Montagabend am Nordflügel des Bahnhofs demonstriert haben. Wir haben dann über das erste halbe Jahr erlebt, wie diese Demos immer mehr angewachsen sind und haben versucht, möglichst oft eine Kamera dabeizuhaben und zu filmen. Wir haben auch den 30. September miterlebt, als es im Park zu den Polizeiübergriffen kam, dann die Schlichtung und jetzt den Volksentscheid. Ich sehe mich also schon als Teil der Bewegung.
Lisa Sperling: Wir sind nicht als außen stehende Filmemacher an das Projekt rangegangen. Zuerst waren wir Teil des Ganzen, dann kam der Film dazu.
Wart ihr auch noch auf den Demos, nachdem der Film fertig war?
Lisa: Ja, wir sind auch jetzt immer wieder dabei gewesen, obwohl ich gar nicht mehr in Stuttgart wohne. Aber wir haben versucht, das Ganze so gut es ging zu verfolgen und uns zu beteiligen.
Wo wart ihr, als am Sonntag die Ergebnisse der Volksabstimmung bekannt wurden?
Lisa: Wir waren am Bahnhof, hatten wieder unsere Kamera dabei und haben auf einer Veranstaltung der Parkschützer gefilmt. Vor Ort hat man die genauen Zahlen der einzelnen Bezirke aber gar nicht richtig mitbekommen, deshalb sind wir irgendwann nach Hause gegangen, um die genauen Zahlen zu recherchieren.
Florian: Da saßen manche am Computer, dann hatte einer hier eine Zahl, dann kam eine von da drüben. Da war es schwer, einen Überblick zu bekommen.
Lisa: Aber als wir gegangen sind, war schon klar, dass die Abstimmung verloren ist. Nur wie hoch, das wussten wir noch nicht.
Wart ihr überrascht von der Niederlage?
Lisa: Wir haben vorher gewusst, dass das Quorum nicht zu erreichen ist. Es wurde ja kritisiert, dass man eine Abstimmung macht, die nicht fair gestaltet ist. Aber natürlich war es eine Enttäuschung – vor allem die Tatsache, dass selbst in Stuttgart die Leute für das Projekt beziehungsweise gegen das Kündigungsgesetz gestimmt haben. Das hatten wir nicht erwartet.
Sind die Leute sehr desillusioniert? Viele haben sehr viel Zeit und Herzblut investiert in den letzten Jahren. Und jetzt war wohl doch alles umsonst.
Florian: Die Leute waren darauf schon vorbereitet. In den Gesprächen, die wir auch im Vorfeld der Abstimmung geführt haben, war herauszuhören, dass die Wenigsten damit gerechnet haben, dass die Abstimmung für uns positiv ausgeht - geschweige denn, dass das Quorum erreicht wird. Es hat die Leute also schon getroffen, aber nicht wie in einem Fußballspiel, wenn es bis zur 80. Minute unentschieden steht und dann eine Mannschaft das Führungstor schießt. Keiner war am Sonntagabend am Rand des Nervenzusammenbruchs, es war alles ein bisschen gesetzt. Natürlich haben sich die Leute geärgert, weil jetzt klar ist, dass jede Zeitung schreibt, dass das Projekt abgesegnet ist und sich die Regierung hinter den Bau stellen muss.
Lisa: Es ist eben nicht wie bei einem Sportturnier, wo einer gewinnt und der andere verliert und damit umgehen muss. Hier geht es ja um Meinungen. Das Ergebnis war knapp, die Gegner sind zwar in der Minderheit, aber es ist eine große Minderheit, und deren Meinung wird sich wegen der Abstimmung nicht von heute auf morgen ändern. Deshalb kann man auch jetzt nicht einfach einen Schlussstrich ziehen. Die Stuttgart 21- Befürworter können jetzt nicht einfach sagen: ‚Wir haben gewonnen, setzen uns die Krone auf und ihr haltet die Klappe.’ Man muss die Existenz der Meinung der Gegner akzeptieren und damit umgehen. Das ist es, was sich die Gegner jetzt wünschen. Und deshalb macht es sie jetzt wütend, dass sie die Ignoranz und Arroganz der Politiker und Befürworter jetzt wieder erleben müssen.
Habt ihr den Eindruck, dass die Leute weiter demonstrieren werden?
Lisa: Wir haben Leute getroffen, die das jetzt akzeptieren und nicht glauben, dass noch was zu ändern ist. Die hören jetzt auf, auf die Straße zu gehen, werden den Fortschritt des Projekts aber weiter sehr genau und kritisch beäugen. Die Frage, die sich gerade viele stellen, ist, ob die Formen des Protestes, die bisher angewandt wurden, noch weiter Sinn machen. Die Parkschützer werden auf jeden Fall weiter machen. Und ich glaube, wenn im Januar die Bäume gefällt werden und der Südflügel fällt, werden dort ganz viele Leute stehen.
Florian: Ich glaube, dass sehr viel davon abhängt, wie die Befürworter von Stuttgart 21 jetzt mit dem Ergebnis der Abstimmung umgehen. Wenn sie fordern, dass sich die Gegner zurücknehmen und ihnen gleichzeitig entgegen kommen, zum Beispiel mit mehr Transparenz bei den Planungen, dann könnte sich in der Protestbewegung auch eine größere Akzeptanz einstellen. Aber wenn weiterhin so herumposaunt wird und so ein Hohn in der Stadt zu spüren ist, dann werden sich die Demonstranten wieder zusammenfinden.
Wie sieht dieser Hohn denn aus?
Lisa: Man konnte den Oberbürgermeister sehen, der auf einer Bierbank steht und „We are the Champions“ grölt. Da fragt man sich schon, in welcher Zeit man gerade lebt.
Florian: Wir haben uns auch im Park in den letzten Tagen einiges anhören müssen. Wenn man da einen "Oben Bleiben"-Button an der Tasche trägt, kriegt man das ein oder andere „Verpiss dich“ ab. Wir durften gestern auch einen älteren Herrn beobachten, der mit einer Stecknadel die „Ja zum Volksentscheid“-Luftballons alle zerstochen und danach ein Foto gemacht hat. Das sind viele Kleinigkeiten, aber die spürt man schon sehr deutlich.
Lisa: Man merkt einfach, dass die Stadt immer noch gespalten ist.
Text: christian-helten - Fotos: dapd, stuttgart21-derfilm.de