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Literatur für die Hosentasche: Dorthe sucht Geschichten zum Mitnehmen

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Dorthe, du bist selber Autorin. Wieso gründest du jetzt einen Verlag? Ständig wurde ich nach neuen Geschichten gefragt und kam mit dem Schreiben nicht mehr hinterher. Gleichzeitig haben sich Autoren bei mir gemeldet und wollten ihre Geschichten bei mir veröffentlichen. Für Autoren von Kurzgeschichten ist es schwierig Texte zu veröffentlichen. Da dachte ich: „Hier fehlt was!“ Übrigens gründe ich den Verlag nicht, um endlich meine eigenen Geschichten loszuwerden. Du hast deine Geschichten bisher vor allem im Internet verkauft. Ja, bei DaWanda. Vor allem vor Weihnachten ging es ab wie die Luzie, ich kam mit Kopieren, Falten und Verschicken kaum hinterher. Die Leute lieben die Geschichten offenbar vor allem als Geschenke für Leute, denen man eigentlich gar nichts schenken will. Aber angefangen hat alles damit, dass ich sie vor meinem Fenster in einer Straße in Hannover-Oststadt ausgelegt habe. Zum Mitnehmen. Jeden Monat eine. 20 Monate lang.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Und wer kam da so vorbei? Die Texte waren in einem kleinen Kasten am Fenster direkt vor meinem Schreibtisch. Manchmal konnte ich die Leute also live beobachten, wie sie sich eine Geschichte aus dem Kasten genommen haben. Weil ich trotzdem ziemlich viele Leute verpasst habe, aber gerne wissen wollte, wer meine Texte liest, habe ich eines Tages eine Webcam installiert, die auf Bewegungen reagierte. Leider habe ich sie irgendwann versehentlich beim Blumengießen entsorgt. Ich habe immer noch wahnsinnig viele Filmchen von Leuten, die versuchen, sich möglichst unauffällig anzuschleichen. Wenn eine neue erschienen ist, waren das bis zu 80 bis 90 Leute an einem Tag. Im Durchschnitt 200 im Monat. Darunter waren auch viele Kinder, um die Ecke ist eine Grundschule. Deshalb musste ich jugendfreie Geschichten schreiben. Später habe ich eine Reihe für Erwachsene im Internet herausgegeben. Hast du deine Leser auch persönlich kennen gelernt? Ja, aber selten. Ein Paar, das mir eine Raffaelo-Packung durchs Fenster gereicht hat. Die sind später nach Schweden ausgewandert. Ab und zu schicke ich ihnen immer noch Geschichten. Und einmal habe ich eine alte Dame im Vorgarten getroffen, die mich am Arm gepackt hat und gesagt hat: „Oh, es gibt wieder eine neue Geschichte! Kennen sie die Autorin?“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wie kommst du an die Autoren für dein Verlagsprogramm? Im Moment gehe ich Autoren jagen. Am Wochenende habe ich eine Frau angesprochen, die mir im ICE gegenübersaß und ein Buch über Kreatives Schreiben gelesen hat. Gestern saß ich in einem Café, am Nebentisch hat ein Mann seiner Begleitung einen Text vorgelesen. Ich dachte: „Den Text hat er selbst geschrieben“, und habe ihn angesprochen. Tatsächlich war er Kinderbuchautor, hatte aber leider keine Zeit für Kurzgeschichten. Ich suche auch im Internet, zum Beispiel hier bei jetzt.de und bei Neon. Bei Xing gibt es Autoren- oder besser gesagt Hobbyautorengruppen unter denen ich mich umgucke. Als nächstes will ich mich an Literaturagenten wenden. Im Moment ist mein größtes Problem, dass ich nicht genug gute Texte finde. Warum ist das so schwierig? Ich habe einen hohen Anspruch. Die Texte sollen literarisch hochwertig sein. Merkst du schnell, ob ein Text was taugt? Ja, oft schon nach den ersten drei Sätzen. Aber im Moment lese ich alles, wirklich alles, was mir zugeschickt wird bis zum letzten Wort. Ich denke immer „Ach bitte, bitte, lass es ein guter Text sein, ich brauche doch Texte!“ Und manchmal gibt es auch positive Überraschungen. Zum Beispiel? In der letzten Woche habe ich einen Text bekommen, von einem 19-Jährigen, der sich im Anschreiben dafür entschuldigt hat, dass er „Legastemiker“ sei und sein Text sicher voller Fehler. So viele Fehler waren das dann aber gar nicht und vor allem war die Geschichte super. Wahnsinnig spannend und mysteriös, mit einer sehr klaren Sprache. Die Geschichte ist nicht perfekt, aber wir arbeiten jetzt mal dran. Wie viele Autoren hast du schon zusammen? Ich habe so vier bis fünf Geschichten, bei denen ich sage „ja, die nehme ich genau so“ und dann noch mal so viele, an denen noch was getan werden muss. Ich bin ja jetzt auch meine eigene Lektorin. Das war mir übrigens gar nicht so klar, wie spannend es ist, Einblicke in den Schreibprozess von anderen Leuten zu bekommen. Welche Geschichten kann man dir schicken? Ich nehme alles. Wirklich, im Moment möchte ich noch gar kein Genre ausschließen, weil ich viel zu gespannt bin, was es zu lesen gibt. Wichtig sind Handlungen, ich will keine Texte, in denen nur eine Stimmung oder ein Gefühl rüberkommt. Ich habe übrigens so meine Probleme mit dem, was mainstream-mäßig als „hohe Literatur“ betrachtet wird. Wieso? In angesagten Texten wimmelt es oft vor schlechten Gefühlen, Trennungen, traumatischen Kindheiten. Das ist auf Dauer anstrengend. Ich lese gerne auch mal was Erfreuliches. Genremäßig will ich auf jeden Fall Kurzkrimis. Ich will auch was Gruseliges. Und Kitsch bin ich auch nicht abgeneigt. Ob ich die Geschichte dann nehme, entscheide ich danach, ob ich unterhalten werde. Wichtig ist dass mich die Geschichte eine halbe bis dreiviertel Stunde aus meinem Alltag reißt. Also, jetzt.de Leser, wenn ihr eine Geschichte habt, schreibt sie auf. 10-12 Normseiten, das heißt 30 Zeilen á 60 Anschläge.

Text: anke-luebbert - Foto: privat

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