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Leben auf dem größten Friedhof der Welt

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Wo bewerbe ich mich, wenn ich ein freiwilliges soziales Jahr in der Jugendbegegnungsstätte in Auschwitz machen möchte? Also ich habe mich bei Aktion Sühnezeichen Friedensdienste beworben. Soweit ich weiß, ist das die einzige Organisation, die Freiwilligendienst in Gedenkstätten direkt anbietet. Es gibt eigentlich keine bestimmten Vorraussetzungen, außer dass du Interesse an dem Thema hast, engagiert bist und eben den Leuten zeigst, dass du das gerne machen möchtest.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Szene aus dem Film "Am Ende kommen die Touristen Was ist Aktion Sühnezeichen Friedensdienste genau? Das ist eine Organisation, die sich mit den Verbrechen der Nationalsozialisten auseinandersetzt und von der Synode der Evangelischen Kirche gegründet worden ist. Die Organisation hat sich dann aber losgelöst von der Kirche und ist heute ein selbständiger Verein. Warum hast du dich gerade für den Freiwilligendienst in der Jugendbegegnungsstätte in Auschwitz entschieden? Im Sommer 2003 war ich in Polen und habe dort in einem Workcamp in der Gedenkstätte Stutthof teilgenommen. Dort habe ich einen jungen Mann kennen gelernt, der in der Stadt Oświęcim, also Auschwitz, aufgewachsen ist und er hat mir viel über dieses Projekt und die Stadt erzählt. Ich fand das dann so spannend, dass ich gerne genau in diese Projekt wollte. Außerdem ist Polen ein so interessantes und schönes Land ist. Wie lange warst du dort und was waren deine Aufgaben? Ich war vom September 2004 bis Ende August 2005 als Freiwillige dort. Ich habe in der pädagogischen Abteilung mitgearbeitet. Meine Aufgabe war in erster Linie die Betreuung von Jugendgruppen. Dorthin kommen Jugendliche aus ganz Europa aber auch aus den USA und Israel. Wir haben die Gruppen begeleitet, Führungen organisiert und selbst Führungen gehalten in der Stadt. In der Gedenkstätte selbst durften wir keine Gruppen führen. Wie sind sie mit der Geschichte des Ortes umgegangen? Ganz unterschiedlich. Manche haben sich in sich zurückgezogen, still getrauert und wollten gar nicht darüber sprechen. Manche hatten das Bedürfnis viel zu reden, zu fragen, einfach zu verstehen. Manche haben sich einfach abgelenkt und haben Tischtennis gespielt, weil sie in dem Moment nicht mehr darüber nachdenken wollten. Aber mir sind keine Jugendlichen begegnet, die das Thema nicht berührt hätte. Jeder Besucher, der so ein Konzentrationslager betritt, spürt schon eine gewisse Beklemmung. Warum hast du dir ausgerechnet einen solchen Ort ausgesucht? Für mich ist Auschwitz nicht ein Ort, der eine stärkere Beklemmung auslöst als jeder andere Punkt in Deutschland auch. Denn die Geschichte hat überall stattgefunden, ob im KZ Neuengamme oder in Fühlsbüttel hier in Hamburg. Es gibt so viele Stellen an denen Menschen ermordet wurden, an denen noch nicht einmal jemand darüber nachdenkt, dass hier Menschen gestorben sind. Und in Auschwitz denken die Menschen wenigstens darüber nach und sind sich diesem Thema unheimlich bewusst. Für mich ist Auschwitz das Symbol für den ganzen Holocaust. Doch die Problematik ist vielschichtiger. Es steckt ja auch hier ein Ort dahinter, es ist nicht nur das Konzentrationslager sondern auch die Stadt Oświęcim. Das ist auch eine Stadt mit ihrer eigenen Geschichte. So gibt es nicht nur die Geschichte des Konzentrationslagers sondern auch eine Geschichte, die viel weiter zurück reicht als der Nationalsozialismus. Und genau deswegen fand ich diesen Ort auch so besonders spannend. Wie war das Leben an einem solchen Ort, an dem so viele Menschen gestorben sind? Ist man sich dessen ständig bewusst? Man denkt zu den unterschiedlichsten Zeitpunkten daran: An einem Abend zum Beispiel, als ich dort vor meinem Zimmer auf dem Balkon gesessen habe und einen Zug vorbeigerattert ist. Das Rattergeräusch dieser Züge ist für mich immer ganz stark mit den Transporten nach Auschwitz verbunden gewesen. Und in diesem Moment habe ich darüber nachgedacht, dass dieser Ort der größte Friedhof der Welt ist. Meistens besteht Geschichte nur aus Fakten und Zahlen, die man in der Schule lernt. Wurde für dich Geschichte so noch greifbarer? Ich bin sehr vielen Zeitzeugen begegnet und wenn man einem solchen Menschen gegenübersitzt, seine Lebensgeschichte von ihm persönlich hört, ist das etwas ganz anderes als ob man in einem Geschichtsbuch eine Zahl liest. Das waren unheimlich schöne Begegnungen. Das sind Menschen die relativ viele Gespräche mit Jugendlichen führen. Sie sind alle sehr aufgeschlossen und freundliche ältere Herrschaften.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Lena Petzel Gibt es Erfahrungen, die dich ganz besonders beeindruckt haben? Ein Ereignis, das mich sehr beeindruckt hat, war die Feier des sechzigsten Jahrestages der Befreiung. Allerdings war es nicht die Feier oder die Reden der Politiker, sondern die große Anzahl von Überlebenden, die sich auch wirklich darüber gefreut haben, einander wieder zu sehen und die auf ihre ganz persönliche Art und Weise, jenseits des offiziellen Gedenkens, um ihre verstorbenen Kameraden getrauert haben. Du warst auf ganz besondere Weise mit der deutschen Geschichte konfrontiert. Hat dich dein Aufenthalt verändert? Ich bin inzwischen sehr empfindlich gegen jede Art von dummen Sprüchen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Ich saß neulich am Bahnhof, neben mir ein älterer Herr und ein jüngerer Mann und die beiden fingen an sich politisch zu unterhalten. Irgendwann fiel dann ein Satz, nach dem Motto: Ja, das was die Rechten sagen, das ist ja auch nicht alles falsch. Da bin ich aufgestanden und habe dem Mann direkt ins Gesicht gesehen und habe ihm gesagt, dass ich es absolut falsch finde, was er sagt und dass mich das sehr ärgert. Ich bin dann weggegangen. Früher hätte ich das wahrscheinlich ignoriert, heute teile ich solchen Leuten mit, was ich von ihnen halte. Man braucht nicht erwarten, dass daraus eine sinnvolle Diskussion entsteht. Aber zumindest das mitzuteilen ist mir sehr wichtig. Setzt du dich auch jetzt weiter mit dem Thema des Nationalsozialismus auseinander? Ich bin seit einem Jahr Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Neuengammen in Hamburg. Das ist ursprünglich ein Häftlingsverband gewesen, von politischen Häftlingen die hier inhaftiert waren. Der Verein hat sich aber dann gegenüber Kindern von Überlebenden und interessierten beziehungsweise engagierten Menschen geöffnet. Diese Arbeitsgemeinschaft setzt sich für die Belange ehemaliger Häftlinge und den Interessen dieser in der Gedenkstättenarbeit ein.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Szene aus dem Film "Am Ende kommen die Touristen" Seit dem 16. August läuft der Film „Am Ende kommen die Touristen“ von Robert Thalheim im Kino. Hast du schon davon gehört? Ich habe von dem Film zum ersten Mal während meiner Freiwilligenzeit gehört, Robert war zu dem Zeitpunkt zu Besuch in Oświęcim. Wir saßen dann zusammen mit ihm beim Mittagessen am Tisch und er hat uns von diesem Filmprojekt erzählt. Und ich konnte das damals noch gar nicht so richtig glauben. Ich dachte mir: einen Film über einen Freiwilligen in Oświęcim, das interessiert doch keinen. Ich war dann ganz fasziniert als ich auf der Homepage der Begegnungsstätte das Filmplakat gesehen habe. Ich dachte: Meine Güte, das ist ja richtig toll, das wird richtig professionell. Ich war total beeindruckt. Deshalb würde am Liebsten mit meinen ehemaligen Mitfreiwilligen von damals ins Kino gehen. Wir waren zu viert dort und es wäre schön mit den drei anderen den Film zu sehen. Aber leider wohnen wir alle quer verstreut über Europa. Denkst du, dass dieser Film kann andere dazu so etwas wie du zu machen? Bestimmt, aber was man dabei nicht vergessen darf, es ist ein Spielfilm und kein Dokumentarfilm. Sicherlich hat Robert auf diese ganze Thematik eine sehr realistische Perspektive, weil er selbst Freiwilliger war. Aber ich weiß nicht, ob der Film hundertprozentig mein reales Freiwilligen-Leben dort widerspiegeln kann.

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