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„Lass uns alles geben!“

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Marcus, bist du glücklich?
Wenn Robert De Niro so eine Frage kriegt, sagt er immer: Gute Frage, nächste Frage! Denn das geht ja schon ganz schön ans Eingemachte. Sagen wir mal so: Wenn du Glück mit einem guten, gelungenen Leben definierst, bin ich wohl glücklich. Ich bin seit 2005 verheiratet, habe zwei gesunde Kinder und einen kreativen Beruf, den ich haben wollte, seitdem ich 18 bin. Auch mein Umfeld ist perfekt. Aber ich habe auch einen Stachel im Fleisch, der es mir nicht ermöglicht, das, was ich mir selbst als gutes, gelungenes Leben geschaffen habe, dauerhaft zu genießen. Ich bin oft ein Getriebener, was dafür sorgt, dass ich auch ein bisschen unglücklich bin.  

Auf eurem neuen Album „Zwischen den Runden“ singst du einmal, das Glück sei eine einfältige Kuh, es laufe immer nur den dümmsten Ochsen zu. Wie kommst du denn auf so was?
Diese Zeile stammt von Reimer (Bustorff, Bassist; Anm.d.Verf.). Und sie ist genial!

Glaubst du nicht an das Glück des Tüchtigen?
Doch, aber wenn man sich mal anguckt, dass ganz viele Menschen sich abstrampeln, immer tüchtig, tüchtig und noch mal tüchtig sind und doch nichts auf die Reihe kriegen, dann bekommt man seine Zweifel. Und auf der anderen Seite gibt es diese Glückskinder, bei denen man denkt: Was passiert denn da? Warum kriegen DIE das alles? Warum bekommen DIE diesen Job? Wieso DIE? 

Wie könnte man die Glückskinder ablösen? Hilft da nur, weiter zu strampeln?
Schwierige Frage. Auch eine Typ-Frage. Es kommt auf dich selbst an: Willst du dich immer abstrampeln? Willst du immer mehr, damit du denkst, du hast ein glücklicheres Leben? Willst du noch mehr in deine Beziehung investieren, weil du denkst, dann kriegst du noch mehr Liebe aus der Sache raus? Du musst entscheiden, was sich für dich gut und richtig anfühlt.  


Und du? Strampelst du weiter?
Meine Situation ist anders als deine oder die von ihm (zeigt wahllos auf einen Mann an der Bar). Es ist mir auch ein bisschen unangenehm, über meine persönliche Situation zu reden. Das ist ja schon so ein bisschen couchmäßig.  



http://www.youtube.com/watch?v=OzQIm-MidEg


Zumindest scheinst du denen, die sich weiterhin abstrampeln, Mut machen zu wollen. Auf „Zwischen den Runden“ geht es nun um Rettung, Hoffnung und Gerechtigkeit. Sind das auch Hymnen für die Hilfsbedürftigen?
Tatsächlich kann ich in solchen Kategorien nicht denken. Ob ich das für die gemacht habe? Das weiß ich nicht. Natürlich sind mir diese Leute, die sensiblen und reflektierenden Menschen, sehr wohl gesonnen. Die habe ich gerne bei mir. Aber seit ich mit Kettcar Erfolg habe, stehe ich unter dem unmittelbaren Eindruck, dass ich Musik für alle mache. Ich weiß auch, dass sie von allen rezipiert wird, und das natürlich ganz unterschiedlich. „Landungsbrücken raus“ zum Beispiel ist für manche so ein ganz tiefer, bedeutsamer Text. Und für andere ist das die scheiß Mitgröl-Samstagnacht-Hymne. Aber wer bin ich, dass ich hingehe und denen sage: Ey, das habe ich viel tiefgründiger gemeint! Nee, das mache ich nicht. Das ist euer Song! Ich erhebe mich nicht über Leute, die meine Songs nehmen, wie sie es für richtig halten.  

Auffällig auf dem neuen Album ist, dass du erstaunlich offen über Liebe singst und davon, was alles dazu gehört. Zum Beispiel in „Rettung“, was davon handelt davon, dass man seiner Freundin auch mal die Kotze aus dem Haar pulen und das Nachdurstglas ans Bett bringen muss, wenn man es ernst meint …
Ich wollte, dass Liebe ein starkes Thema auf der Platte wird. Und mir ging es darum, einen Song zu schreiben, der nicht davon handelt, was man empfindet, sondern davon, was man tut. Diese Handlungen an sich, mit den würdelosen, harten Momenten, durch die man dann muss. Darum geht es wirklich, und damit kann man beschreiben, wie wichtig einem Liebe ist. Wenn man das wilde Leben hatte und dann älter wird, ist es schon auch wichtig, dass man jemanden hat. Das thematisiere ich auf diesem Album oft: Lass uns doch einfach alles geben!  

Ein anderes Mal singst du jetzt, du wärst lange Zeit nicht wie vermutet auf der Suche, sondern auf der Flucht gewesen. Wann kam dir diese Erkenntnis?
Die kam auf jeden Fall nicht plötzlich. Man ist ja die ganze Zeit auf der Reise zu seinen eigenen Sätzen, und irgendwann brechen sie sich Bahnen. Es ist ein langer Prozess, durch den man da geht.  

Aber diese Erkenntnis scheint dich zu entspannen. Im Gegensatz zum vorangegangenen Kettcar-Album „Sylt“ wird jetzt kaum gemeckert …
Das „Sylt“-Album war das ganz große Nicht-einverstanden-sein. Aber die Rahmenbedingungen für „Sylt“ und die für das neue Album waren genau dieselben. Da hat sich gar nichts getan. Für „Sylt“ wollten wir so eine düstere Bestandsaufnahme schreiben, die jetzt ganz genauso geworden wäre. Ich hätte locker drei Songs über die Finanzkrise schreiben können. Aber das interessiert mich jetzt nicht. Jetzt interessiert mich dieses Liebeslied, wie man älter wird und den Dingen auf den Grund geht. Der glücklichste Song auf dem neuen Album ist „Schwebend“, diese Miniatur von dem perfekten Sonntagmorgen, von diesem Licht und der Ruhe und dem geliebten Menschen neben einem. Es war mir einfach total wichtig, jetzt solche Songs zu schreiben, denn das ist auch mein Leben. Aber glaub’ mir: das nächste könnte unser derbstes, politischstes Album werden - wenn wir uns das denn vornehmen. Ich kann alles schreiben, und ich will auch alles schreiben. Ich bin Künstler und lasse mir von der Realität nicht ’ne gute Geschichte versauen.  

In einem Song wird dann aber doch noch etwas gemeckert. Nämlich in „Schrilles buntes Hamburg“. So schlimm zu Hause?
Was heißt schon schlimm? (lacht) Nein, schlimm ist es nicht, aber es ginge besser. Wenn es eine politische Forderung von diesem Song gibt, dann die, dass man Kunst jenseits von Verwertungslogiken behandelt. In dem Song geht es nicht um den Ausverkauf von Kunst, sondern um die Rolle von Kunst und Künstler innerhalb eines Kulturbetriebes. In Hamburg ist das natürlich gerade ein willkommenes Thema, weil es auf etwas ganz Realem fußt, aber auch in anderen Städten kriegt man es ja mit, dass Kultur nicht so strukturell gefördert wird, wie es sein sollte. Das geht auch anders.


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


„Zwischen den Runden“ von Kettcar erscheint an diesem Freitag auf Grand Hotel Van Cleef/Indigo.

Text: erik-brandt-hoege - Foto: Andreas Hornoff

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