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„Klebeband fühlt sich einfach gut an“

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jetzt.de: Wie bist du dazu gekommen, Kunst mit Klebeband zu machen? El Bocho: Ich experimentiere gerne mit verschiedenen Materialien. Im Vergleich zu Acryl, womit ich sonst arbeite, hat das Klebeband ziemlich viele Einschränkungen, aber genau das gefällt mir. Ich finde es immer gut, wenn man ein bisschen umdenken muss. Wenn man gezwungen ist, eine neue Herangehensweise zu entwickeln.

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Illustration: Julia Schubert

Was für Einschränkungen sind das denn? Allein die Farbauswahl ist schon sehr reduziert. Es gibt vielleicht fünf verschiedene Rot-Töne, die sich dann aber auch schon sehr ähneln. Zwei Blau, ein Türkis. Um das Ergebnis zu kriegen, das man will, muss man sich was einfallen lassen. Nämlich? Es gibt zum Beispiel Tapes, die halb transparent sind. Wenn man dann eine dunklere Farbe drunter klebt, erhält man Abstufungen. Bei dem Bild am Stadtbad habe ich das für die Gesichtspartien genutzt, was einen ziemlich interessanten Effekt hatte. In der ersten Woche nachdem es fertig war, hat es ziemlich viel geregnet. Dadurch hat sich das Gesicht total verändert. Die Tapes wurden durchlässiger und die Kontraste sind viel stärker hervorgetreten. Weicht das Klebeband nicht irgendwann ganz durch oder fällt ab? Das hoffe ich doch. Das hoffst du? Ich finde, das ist ein spannender Prozess. Wenn die Straße die Werke verändert, bekommen die Dinge ein Eigenleben. An einer Stelle sieht man schon, dass das Tape abgeht, aber ich würde es auf keinen Fall reparieren. Ich mag es auch, wenn die Leute etwas dazumalen oder was abreißen, diese Kommunikation zwischen dem Betrachter und dem Bild ist ein wichtiger Teil. Kann man mit Klebeband auch etwas machen, was mit Acryl oder mit einer Spraydose nicht ginge? Das Tape lässt sich ziemlich gut einschätzen. Wenn man sonst Farben zusammenmischt und auf die Wand haut, kann es sein, dass sie am Ende ganz anders aussehen. Beim Klebeband weiß man, was rauskommt. Das finde ich eine ehrliche Geschichte. Und es macht Spaß, damit zu arbeiten. Das Klebeband fühlt sich einfach gut an. Ich mag allein schon den Ton, wenn man es abreißt. Je nachdem wie lang die Bahn ist, verändert sich der Klang, ein bisschen wie die Seite einer Gitarre. Nach den zwei Wochen, in denen ich wirklich Tag und Nacht am Stadtbad gearbeitet habe, hat mir das Geräusch richtig gefehlt. Wir haben das sogar mal aufgenommen und mit dem Sound ganze Melodien kreiert. Aber wenn du es mit Graffiti vergleichst, ist Tape natürlich auch rechtlich ein sehr dankbares Material. Da es irgendwann abgeht, beschädigt es nichts. Also gilt es nur als Ordnungswidrigkeit. Wenn man illegal sprayt, ist es eine Straftat. Aber die Sache am Stadtbad war völlig legal, oder? Ja, das war offiziell. Für mich ist Tape Art auch keine reine Street Art Geschichte. Ich habe auch schon Klebebilder für Galerien oder Firmen gemacht. Was verdient man da so? Zwischen 2.000 und 20.000 Euro pro Bild. Aber das Klebeband ist auch ziemlich teuer. Deshalb ist Tape Art in Deutschland auch noch immer ganz am Anfang. In den USA, wo das ganze herkommt, sind die Tapes viel billiger. Aber hier muss man für eine Leinwand von 2 x 1 Meter schon mit rund 200 Euro Ausgaben rechnen. Und für das Bild am Stadtbad? Da hab ich 15.000 Meter Klebeband verklebt, das wird einige Tausend Euro gekostet haben. Aber ein Berliner Laden, „Klebeland“, hat mich gesponsert und die Materialkosten übernommen. Wie kam es zu dem Motiv von der Frau? Das liegt schon länger bei mir in der Schublade (seufzt, lacht, stöhnt). Was soll man da sagen? Das ist eine tragische Geschichte in meinem Leben. Mehr muss man dazu nicht wissen. Hattest du freie Wahl, was du machst? Ja, ich lass mir bei so was auch nicht reinreden. Der Wedding gilt jetzt nicht gerade als Zentrum der Kunst. Wie haben die Leute denn auf dich reagiert? Äußerst gut. Das Schwimmbad stand ja schon eine ganze Weile ungenutzt rum. So ein hässliches 70er-Jahre-Ding will niemand vor der Haustür haben. Bisher hat sich einfach keiner in das Viertel getraut. Klar sind die Leute, die da rumhängen, nicht die, die sich sonst für Kunst und Kultur interessieren. Aber in so einer Gegend reicht es oft, dass einer kommt, und plötzlich geht es los wie eine Lawine. Ich arbeite gerne außerhalb der Kunstszene, wo man auch Menschen erreicht, die nicht in Museen und Galerien gehen. Wenn man etwas macht, womit die Leute etwas anfangen können, wird das, gerade in Berlin, eigentlich immer gut aufgenommen – im Unterschied zum Beispiel zu Graffiti. Wieso das? Graffiti sind Buchstaben oder Zeichen, die die Leute, die damit nichts zu tun haben, nicht verstehen. Deshalb gehen sie erstmal auf Abstand und haben teilweise auch Angst. Ich habe früher selbst gesprayt, aber da haut man einfach was raus. Mir ist es wichtig, dass die Leute die Bilder begreifen und es eine Kommunikation gibt. El Bocho ist 31 und schon länger auf Berlins Straßen präsent, vor allem mit handgemalten Acrylplakaten, die er im öffentlichen Raum installiert. Tape Art macht er seit rund anderthalb Jahren. Im wahren Leben ist er Illustrator und Typograph.

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