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"Keinem ist bewusst, was ACTA bedeutet."
Am 26. Januar haben nach Kanada, Australien, Japan, Marokko, Neuseeland, Südkorea, Singapur und den USA 22 der 27 EU-Mitgliedsstaaten das Anti-Fälschungs-Abkommen ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement) unterzeichnet. Als Reaktion haben im polnischen Parlament Abgeordnete Anonymous-Masken aufgesetzt und Hacker die Website des EU-Parlaments lahmgelegt. Aber welche Auswirkungen hätte das umstrittene Abkommen – und warum demonstriert in Deutschland eigentlich niemand? Wir haben bei Markus Beckedahl nachgefragt. Der Netzaktivist ist Vorstand der Digitalen Gesellschaft und Gründer des Blogs netzpolitik.org.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
jetzt.de: Das ACTA-Abkommen soll Produkt- und Markenpiraterie sowie den Missbrauch von bekannten Marken verhindern. Das klingt doch nicht so verkehrt, oder?
Markus Beckedahl: An sich stimmt das. Das ACTA-Abkommen sollte zu einem goldenen Standard für Produktpiraterie werden, im Grunde sollte es ein Update des TRIPS-Abkommens (Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights) aus den neunziger Jahren sein, das sich auch mit der Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums befasste. Ursprünglich sollten mafiöse Strukturen, wie wir es in China mit Produktfälschungen kennen, bekämpft werden. Inzwischen wurden die Bestimmungen des Abkommens allerdings erweitert und haben Auswirkungen auf die Freiheit des Internets.
Inwieweit ist die Freiheit des Internets in Gefahr?
Das Problem ist, dass wir nicht genau wissen, welche Gefahren uns drohen, weil uns nicht alle Informationen des Abkommens bekannt sind. Nur das Ergebnis, was unterschrieben wurde, präsentierte man uns aber keine weiteren Informationen, wie der Text zu interpretieren ist. Viele Juristen warnen daher vor negativen Auswirkungen, weil gut klingende Sätze und neue Definitionen von Rechtsbegriffen am Ende Meinungsfreiheit und Datenschutz gefährden könnten.
Inwiefern?
Das Urheberrecht müsste schon lange neu definiert und an das digitale Zeitalter angepasst werden, aber durch das ACTA-Abkommen wird das bestehende alte System zementiert. Und darüber hinaus die Provider-Haftung neu definiert und die Rechtsdurchsetzung privatisiert. Das bedeutet, dass Richter und Staatsanwälte, der Rechtsweg, wie wir ihn kennen, ausgeschaltet werden könnte. Staaten werden ermuntert, Provider und Rechteinhaber zur Zusammenarbeit zu verpflichten.
Was heißt das konkret?
Infrastrukturbetreiber wie Internet-Service-Provider werden verantwortlich dafür, was ihre Kunden machen. Das hat Auswirkungen: Provider werden dann eher den Internetverkehr von ihren Kunden überwachen und wüssten, was diese auf welcher Website gemacht haben oder was sie in E-Mails geschrieben haben – ohne dass es einen Grund gäbe, sie zu überwachen. Durch das ACTA-Abkommen können Nutzer automatisch und in größerem Stile nach Urheberrechtsverletzung überwacht werden. Das gefährdet insbesondere unsere Meinungsfreiheit und Privatsphäre. Ein Rechteinhaber könnte, wenn er Filesharing bei einer Person vermutet, zum Provider gehen und verlangen, diese Person zu sanktionieren. Ohne Rechtsweg dazwischen. In der analogen Welt sagt auch niemand, dass es eine gute Idee wäre, wenn die Deutsche Telekom überwacht, ob ich Ihnen am Telefon ein Lied von Lady Gaga vorsinge und das dann zu verhindern versucht.
Es gibt aber noch weitere Kritikpunkte.
Drei oder vier Jahre wurde hinter verschlossenen Türen über das ACTA-Abkommen verhandelt – an einem Tisch mit der Filmindustrie, was völlig absurd ist, weil wir, die Bevölkerung und auch die gewählten Volksvertreter nichts erfahren haben, obwohl uns die Auswirkungen betreffen. Die Abgeordneten im Europaparlament und den nationalen Parlamenten sollen dann einfach nur noch abnicken. Hier gibt es ein großes Demokratiedefizit.
Schon 2006 haben die USA und Japan während des G8-Gipfels in Sankt Petersburg über ACTA diskutiert. Warum fand das damals so wenig Aufmerksamkeit?
Weil es ein internationaler Vertrag ist und beim Stichwort "Produktpiraterie" sich die Meisten nicht angesprochen fühlen. Zwar sind Zwischenberichte geleaked worden, die aufgedeckt haben, dass z.B. bei Grenzkontrollen MP3-Player nach Raubkopien durchsucht werden könnten. Das hat aber nur zwei bis drei Tage für Aufmerksamkeit gesorgt und diese absurden Ideen sind dann wieder begraben worden und wieder andere Geschichten interessanter geworden. Außerdem waren die Verhandlungen ja abgeschirmt.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
In Polen und Österreich wird heftig gegen ACTA demonstriert. Warum gibt es in Deutschland keinen Protest?
Für den 11. Februar sind erste Aktionen angekündigt. Ich lasse mich überraschen, wie viel wirklich gemacht wird. Ich weiß, dass in Polen die organisierten Netzaktivisten auch überrascht sind, dass Tausende wegen ACTA auf die Straße gehen. Ich wäre auch in Deutschland überrascht, aber ein ähnlicher Protest wäre natürlich schön. Die Deutschen sind nicht so netzpolitisch aktiv, dass sie dafür auf die Straße gehen. Noch sehe ich bei uns nicht Tausende auf die Straße gehen, wie in Polen.
Woran liegt das?
Sicher auch daran, dass kaum jemand ahnt, dass uns dieses Abkommen alle betreffen könnte. Keinem ist bewusst, was ACTA bedeutet.
Liegt es vielleicht auch daran, dass Deutschland nicht unter Ländern stand, die schon unterzeichnet haben?
Nein, das hat keine Bedeutung. Die EU hat für alle Mitgliedsstaaten unterschrieben. Dass Deutschland noch nicht selbst unterschrieben hat, liegt an formalen Gründen, wahrscheinlich, weil der deutsche Botschafter gerade nicht vor Ort in Japan war. Eine Unterschrift ist aber bereits angekündigt.
Die Piratenpartei Deutschland organisierte bereits 2010 Demonstrationen in mehreren Ländern gegen das ACTA-Abkommen, auch in deutschen Städten.
Und hat sich seit 2010 nicht mehr um das Thema gekümmert. Es wäre schöner, wenn die Piraten an dem Thema dran geblieben wären. Der Druck wäre dann höher und notwendig in so einer Angelegenheit.
Gerade wurde die Abstimmung über die beiden US-Gesetzesvorlagen SOPA (Stop Online Piracy Act) und PIPA (Protect IP Act) wegen der vielen Proteste auf unbestimmte Zeit verschoben. Warum häufen sich zur Zeit solche Abkommensvorschläge?
SOPA und PIPA sind nichts anderes als eine Wunschliste von Hollywood und der Musikindustrie. Dieselben Forderungen stehen größtenteils im ACTA-Abkommen, bis auf ein paar, die gestrichen worden sind, weil der Protest doch zu groß geworden wäre. Dahinter stehen in allen Fällen Lobbys mit viel Geld, die veraltete Geschäftsmodelle schützen wollen und darum neue innovative Geschäftsmodelle und die Internetkultur angreifen. Hollywood geht schon immer gegen alles vor, was technologisch innovativ ist, wie zu seinen Anfangszeiten gegen den Videorekorder. Jetzt sind Computer und Internet dran, weil die Musik und Filmindustrie sie als Kopiermaschine sehen.
Was unterscheidet ACTA von SOPA und PIPA?
Das ACTA-Abkommen ist international und kein Gesetz, sondern ein Richtungsentscheid, der aber in der Zukunft national als Gesetze ankommt, die uns dann alle betreffen.
Kann man das Abkommen überhaupt noch aufhalten?
Es muss vom EU-Parlament und vom Bundestag bestätigt werden. Somit könnte es das EU-Parlament im Sommer verhindern, das wäre ein Zeichen gegen Intransparenz, undemokratische Verhandlungen und für Meinungsfreiheit. Beim Bundestag sehe ich eher schwarz, weil die Regierung schon gesagt, hat, dass sie unterschreibt und die Koalitionsfraktion immer abnickt, was Merkel sagt. Das wird wahrscheinlich auch hier so sein.