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"Keine andere Droge hat die Popkultur mehr beeinflusst"

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Warum hast Du ein Buch über die Droge Speed geschrieben? Warum nicht über Cannabis, LSD oder Heroin? Ein Bekannter aus Island, ein Musiker, hat immer sehr viel Speed genommen, bis er schließlich als Substitution vom Staat Ritalin zugeteilt bekam. Für eine Deutschlandtournee hatte er allerdings nicht genug. Also bat er mich darum, Speed zu besorgen. Ich hatte keine Ahnung, wie man das anstellt. Ich wohnte damals in einer Kleinstadt nahe Hamburg und war in dem dortigen Fitnessstudio. Also ich ganz naiv meinen Trainer fragte, wo man das kaufen könne, meinte der nur: Wieviel brauchst Du? Daraufhin bin ich ins Nachdenken gekommen: Kinder nehmen es, Fitnesstrainer, Musiker und es kostet fast nichts.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Judy Garland, Johnny Cash, Andy Warhol, Jack Kerouac, John F. Kennedy, Adolf Hitler – in „Speed“ schilderst Du sehr detailreich die Geschichten von Amphetaminabhängigen des 20. Jahrhunderts. Waren die Recherchen sehr aufwändig? Ich habe mir schon viel Zeit genommen. Allerdings sind das keine Enthüllungen – nur musste ich zeitweise lange nach verstreuten Detailinformationen suchen. Bei Warhol wusste jeder, dass er Schlankmacher in Form von Amphetaminen nahm. Aber dass der Wechsel der Präparate zu einschneidenden Veränderungen in seinem Werk führte – darum hat sich niemand gekümmert. Es ging also vor allem darum, aus verschiedenen Quellen etwas zusammenzutragen. Das Buch hat zwei Ebenen. Die eine führt durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts, die andere Ebene malt Einzelschicksale aus. Das stützt sich natürlich auf Dokumente, aber in den Details folgt das auch dem Interesse am Bild. Nach der Lektüre von „Speed“ hat man den Eindruck, dass Amphetamine, insbesonderre Speed, die Droge des 20. Jahrhunderts sind: Da monotone, sich ständig wiederholende Arbeitsprozesse seit Ford die Produktion bestimmen, ist die Droge perfekt zur Leistungssteigerung. Das ist die These des Buches. Es handelt sich hierbei um einen blinden Fleck nicht nur in Produktionsgeschichte des 20. Jahrhunderts, sondern auch in der Popkultur: Keine andere Droge hat die Popmusik mehr geprägt. Das liegt natürlich daran, dass man nur auf Amphetaminen lange und konstant arbeiten kann. Heroin macht träge und zerstört den Körper, LSD erschwert die Konzentration. Normalerweise verbindet man Amphetamine am ehesten noch mit Rave-Kultur der Neunziger, weniger aber mit Country, Punk oder Beatniks. Wann beginnt der „Siegeszug“ von Speed? In den 30ern. Mein Buch geht los mit Judy Garland, der Sängerin von „Somewhere Over The Rainbow“, die später zu einer Schwulenikone wurde. Von ihr wissen zwar viele, dass sie ein „Drogenwesen“ war, aber nicht, was genau sie nahm. Auch von der Verbreitung von Speed in der Country-Musik, also vor allem Johnny Cash, weiß man wenig. Von Elvis ist lediglich bekannt, dass er tablettenabhängig war. Auch Punk hat den Alkohol erst später für sich entdeckt. Die erste Welle war vor allem auf Speed und lehnte Alkohol für sich sogar dezidiert ab. Das liegt auch daran, dass Popbewegungen meist in ärmeren Schichten entstehen und Speed immer relativ billig war. Amphetamine haben eine Art Doppelkarriere hinter sich: als Droge und als Medikament. In den 30ern wurde amphetaminhaltige „Stifte“ als Mittel gegen Asthma eingesetzt. Innerhalb weniger Jahre gab es dann 40 verschiedene Indikationen, um die Droge an eine möglichst breite Käuferschaft zu bringen. Ende der 30er entdeckten dann deutsche Wissenschaftler die Droge für sich. Allein bis Juni 1940 wurden 29 Millionen Tabletten unter dem Namen Pervitin an Wehrmachtssoldaten ausgegeben. Adolf Hitler selbst war in den letzten Kriegsjahren amphetaminabhängig.


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Bei anderen Drogen glaubt der Konsument im Rausch, Höchstleistungen zu erzielen. Nüchtern betrachtet sind die Resultate aber bescheiden. Ist Speed da anders? Es kommt darauf an. Bei monotonen Tätigkeiten wirkt Speed wirklich leistungssteigernd. Gerade deswegen wird es soviel von ärmeren Leuten konsumiert – die, die viel, lange und schwer arbeiten müssen. Manche schreiben auf Speed auch wunderbare Texte, bei anderen führt es nur zu einem fahrigen Durcheinander. In letzter Zeit ist Methamphetamin alias Crystal vor allem in den USA zu einem großen Problem geworden. Hat das noch etwas mit Leistungssteigerung zu tun? Im Fall von Crystal ist das Prinzip der Leistungssteigerung letztlich pervertiert. Die Droge wird in erster Linie von Menschen konsumiert, die aus der Leistungsgesellschaft heraus geflogen sind. Während man „normalen“ Speed-Usern ihren Konsum kaum anmerkt, produziert Crystal wieder richtige „Drogenopfer“ – und landet dadurch auch wieder in den Medien. Außerdem spielt es eine große Rolle in der Schwulenszene und hat so eine Diskussion darüber ausgelöst, ob es für einen Anstieg bzw. Wiederanstieg der HIV-Infektionen verantwortlich ist. Dein Buch ist wertfrei. Aber zwischen den Zeilen liest sich eine Kritik an der Moderne heraus, die dem Mensch immer mehr Leistung abverlangt. War das Deine Intention? Die typische Drogenliteratur ist immer entweder affirmativ, also verherrlichend, oder sie rechnet damit ab a la „Meine schrecklichen Jahre als Junkie“. Mir ging es darum, die Droge als Technologie zu betrachten und eine Technologie ist zunächst einmal wertfrei. Fakt ist aber, dass es eine Nachfrage nach immer weiterer Leistungssteigerung gibt. Insofern ist dieses Buch auch eine Kritik der kapitalistischen Gesellschaft. Die Leistungssteigerung hat eine Eigendynamik entwickelt, bei der kein sinnvolles Ziel mehr zu erkennen ist. Sehr treffend wird diese Kritik, wenn es um Kinder geht, denen Ritalin verschrieben wird. Du schreibst, dass mittlerweile 1,8 Millionen Kinder in Deutschland mit ADHS diagnostiziert sind und damit zu potenziellen Ritalin-Konsumenten geworden sind. Was hältst Du von Ritalin? Ich habe viel mit Eltern und Ärzten gesprochen und mittlerweile ein sehr ambivalentes Verhältnis zu Ritalin. Ich habe selbst ein Kind und würde das für mein Kind nicht in Erwägung ziehen. Aber das Problem ist eher gesellschaftlicher Natur: Anstatt die therapeutischen bzw. zwischenmenschlichen Möglichkeiten zu nutzen, werden Tabletten verschrieben. Trotzdem habe ich auch Leute getroffen, denen diese Medikamente sehr geholfen haben. Besteht nicht die Gefahr, dass da eine Generation von amphetaminabhängigen Menschen heranwächst? Das Problem besteht eher in der Annahme, es gebe für jedes Problem technologische Lösungen. Wenn man sich angewöhnt, bei jedem Problem eine Pille zu schlucken, vernachlässigt man Fähigkeiten, mit denen man vielleicht auch zu einer Lösung gekommen wäre. In diesem Kontext ist Ritalin nur ein Beispiel von vielen. Der Glaube an Technologie boomt in einem unglaublichen Maße, seitdem das konkurrierende System – der Ostblock – weggefallen ist. Eine Art Ersatzreligion? Pseudoreligiös ist in dem Sinne, dass andere Lösungen erst gar nicht mehr in Erwägung gezogen werden. Überall herrscht angeblich ein Sachzwang. Vor einigen Wochen hattest Du einen Auftritt in der ARD-Sendung Polylux. Dabei wurden anonym zwei Speed-Konsumenten vorgestellt, die von der Hedonistischen Internationale fingiert worden waren. Die Organisation wollte damit auf schlampige Recherchemethoden aufmerksam machen. Wie fandest Du die Aktion? Ich hatte schon bei dem Interview das Gefühl, dass es nur um das Bild ging und sich niemand wirklich für die Geschichte interessierte. Insofern war die Aktion der HI sehr präzise ausgeführt. Es brachte vieles auf den Punkt. Hans-Christian Dany: Speed. Edition Nautilus. 2008. 189 Seiten, 14,90 Euro.

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