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Junge Männer im "Zeugungsstreik": Warum wir keine Väter mehr werden wollen

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Die „Expertenkommission Familie“ der Bertelsmann-Stiftung schlägt mal wieder Alarm: Deutschlands Männer befänden sich weiterhin hartnäckig im „Zeugungsstreik“, vermeldet die Presseagentur dpa. Erschreckend viele Männer könnten sich demnach ein glückliches Leben auch ohne Kinder vorstellen. Gleichzeitig würden Frauen als Hauptgrund für ihre Kinderlosigkeit angeben, sie fänden nicht den passenden Partner. Bleibt also nur der Boris Becker’sche „Samenraub“ als letztes Mittel zur Rettung des bundesdeutschen Nachwuchses? Die Expertenkommission hat sich zum Ziel gesetzt, den männlichen Kinderwunsch in Deutschland – und damit auch die freudige Fortpflanzung – zu stärken. Dafür will die Kommission nun bis zum Herbst eine repräsentative Studie mit dem Titel „Wege in die Vaterschaft“ vorlegen. Am Dienstag wurden dafür die ersten Arbeitshypothesen vorgestellt. [i]jetzt.de[/i] hat mit Prof. Thomas Rauschenbach, Vorstandsvorsitzender und Direktor des Deutschen Jugendinstitutes, gesprochen. Er ist Mitglied der „Expertenkommission Familie“ der Bertelsmann Stiftung. [b]Herr Rauschenbach, der viel zitierte „Zeugungsstreik“ klingt irgendwie so nach männlicher Leistungsverweigerung in einem offiziellen Arbeitsverhältnis. Habe ich als junger Mann die von allen erwartete Pflicht, die Gesellschaft mit Nachwuchs zu beglücken?[/b] Ich habe das Wort „Zeugungsstreik“ nie persönlich in den Mund genommen. Die Pflicht hat niemand, weder Frauen noch Männer. Dafür gibt es natürlich kein Gesetz. Es geht uns vielmehr darum, den Blick auch auf die andere Hälfte einer Partnerschaft zu lenken, nämlich auf die Männer und Väter. Wir fragen nach den strukturellen Barrieren, die den jungen Männern auf dem Weg zu einer Vaterschaft im Weg stehen. [b]Die Gründe für den Kindermangel sollen unter anderem an der weiblichen Dominanz im Erziehungsbereich liegen. Wieso verursachen Erzieherinnen bei mir als Junge denn späteren Fortpflanzungsfrust?[/b] Das ist zunächst erstmal eine Arbeitshypothese für unsere Studie. Wir gehen davon aus, dass Jungen keine Männer im Erziehungsgeschehen erleben. Es fehlen in diesem Bereich also männliche Vorbilder. In der eigenen Familie, in Kindergarten, Grundschule bis hin zur Unterstufe von Realschulen und Gymnasien haben wir eine Dominanz der Frauen. Jungs nehmen also überall wahr: Erziehung ist weiblich. Sie erhalten den Eindruck, man würde von ihnen gar nicht erwarten, dass sie auch etwas mit Erziehung zu tun haben. Männer sind von Kindern „entwöhnt“, sie gehören nicht mehr zu ihrem Lebensalltag.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

[i]Thomas Rauschenbach[/i] [b]Heißt das, Frauen können im Erziehungsbereich kein Vorbild für heranwachsende Männer sein?[/b] Das ist hier nicht der Punkt: Aber Vieles wird von Kindern unbewusst aufgenommen, nicht über eigene Entscheidungen. Und wenn sie Männer in der Erziehung nicht aktiv erleben, erleben sie hier kein entsprechendes männliches Rollenvorbild. Die Gesellschaft muss darüber nachdenken, ob sie diese rein weibliche Erziehung so beibehalten will. Seit über 20 Jahren diskutieren wir über Frauen in Männerberufen. Wir müssen uns fragen, ob wir nicht auch das Thema „Männer in Frauenberufen“ stärker in den Vordergrund rücken sollten. [b]Sie sagen, wir jungen Männer hätten die „traditionelle Rolle des Ernährers hinter uns gebracht“, nur ein neues Rollenkonzept würde fehlen. Liegt das Problem nicht viel eher darin, dass sich junge Männer und Frauen trotzdem an diese alten Rollenbilder klammern?[/b] Zum Teil ist das sicher richtig. Auf der anderen Seite haben Frauen 30 Jahre lang dafür gekämpft, dass sie nicht nur Mutter und Hausfrau sein wollen, sondern auch Erwerbsarbeit leisten wollen. Frauen haben dann die Wahl gehabt, ob sie Mutterschaft oder Job vorziehen, sie konnten auch beides gleichzeitig haben. Für Männer gab es eigentlich immer nur die Option, Beschützer und Ernährer zu sein. Das hat sich in den vergangenen Jahren massiv geändert, allerdings ist das alte Männerbild nicht durch ein neues und positives Männerbild ersetzt worden. [b]Wenn man sich aber die letzten Shell-Jugendstudien anguckt, dann sieht man doch einen Trend zum Neo-Konservatismus. Alte Familienwerte und auch traditionelle Modelle und Konstellationen stehen bei jungen Menschen wieder hoch im Kurs.[/b] Auf der einen Seite ist das ist sicher eine Sehnsucht nach Klarheit, die da deutlich wird. Auf der anderen Seite erleben wir auch ein Anwachsen der Zahl von jungen Männern, die lange im elterlichen Haushalt verbleiben. Seit den späten 60er/70er Jahren ging der Trend dahin, früh auszuziehen, allein zu leben und WGs zu gründen. Diese Zahlen gehen in der Tendenz aber wieder zurück. Junge Männer merken, dass sie auch ohne eigene Familiengründung ganz gut leben können. Ich kann mich in den Beruf reinhängen, meinen Hobbies nachgehen, mich selbst verwirklichen. Dabei sind Kinder und Familie möglicherweise nicht mehr karrierefördernd. Früher hat man gesagt, der eigentliche Gewinner der Familie ist der Mann, weil er in seiner männlichen Rolle als Ernährer stabilisiert wird. Für die heutigen jungen Männer verliert das aber stark an Bedeutung.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

[b]Was ist denn eigentlich mit Frauen, die sich im „Zeugungsstreik“ üben? Akademikerinnen setzen kaum Kinder in die Welt. Dabei stimmt dort oft der finanzielle Hintergrund. Dann kann das ja unmöglich nur an den verbohrten Männern liegen?[/b] Die Attraktivität alternativer Lebensmuster jenseits der traditionellen Familie gilt natürlich für beide Geschlechter. Früher haben Frauen sozial nach oben geheiratet und sich mit der Rolle der Hausfrau und Mutter zufriedengegeben. Heute sind Frauen selbst hoch qualifiziert und streben alternative Modelle jenseits der traditionellen Normal-Familie an. Heute sind Frauen höher qualifiziert – dadurch aber auch länger in der Ausbildung. Mit Ende 20 tickt dann schon langsam die biologische Uhr und das Zeitfenster wird kleiner, in dem die Frau einen Partner finden und eine Familie gründen kann. Männer können sich da natürlich eher zurücklehnen und noch sehr spät Vater werden. Obendrauf werden auch die Stabilitäten in Partnerschaften immer geringer. Daher wird die Bereitschaft beider Geschlechter, in eine Familie zu investieren, eher geringer – das empfundene Risiko ist zu hoch. [i]Auf der nächsten Seite: warum Kinder ein unsexy Image haben und wie der neue, junge Vater aussehen könnte[/i]


[b]In der öffentlichen Diskussion vermutet man das Problem mal bei den Frauen, dann mal wieder bei den Männern. Kann der Staat etwas ändern, damit aus jungen Männern auch junge Väter werden?[/b] Wie der Soziologe Ulrich Beck schon richtig gesagt hat, ist die Geschlechterfrage ein Jahrhundertthema. Wir müssen also gewaltig umstrukturieren, neue Ideen und Konzepte des Zusammenlebens entwickeln. Dabei wird deutlich, dass eine Verantwortungs-Zuweisung an Männer oder Frauen, beziehungsweise eine gerechte Aufteilung zwischen beiden, einfach nicht aufgeht. Das Zauberwort lautet nun „öffentliche Erziehung“. Die ganzen aktuellen Diskussionen um Krippenausbau und Ganztagesschulen zeigen, dass die Frage des Aufwachsens nicht mehr der instabilen Kleinfamilie überlassen wird. Das Umfeld des Aufwachsens wird öffentlicher. [b]Der Journalist und Autor Tobias Kaufmann hat die These aufgestellt, dass der Kindermangel nicht an falschen Männer- oder Frauenrollenbildern liege, sondern am aktuellen Kinderbild. Kinder hätten einfach ein schlechtes Image, noch schlechter als das von großen Hunden. Sind Kinder unsexy?[/b] Wir haben es uns in Deutschland angewöhnt, in vielen gesellschaftlichen Bereichen immer die Schattenseiten in den Blick zu nehmen. Ich sage immer, dass es im Leben eigentlich keinen intensiveren und emotionaleren Moment als die Geburt eines Säuglings gibt. Natürlich kann es auch sehr belastend sein, Kinder aufzuziehen. Gesellschaftlich wird leider meist nur diese Last kommuniziert, nicht die große Bereicherung, die Kinder ins Leben bringen. Andererseits führt ein kinderfreundliches Klima auch nicht zu unmittelbarer Zeugungs- und Gebärfreudigkeit. Das ist ein Problem, dass man eigentlich in allen modernen Gesellschaften findet. In Italien zum Beispiel sind Kinder in der Gesellschaft heiß geliebt – die Geburtenrate ist trotzdem extrem niedrig. Die Gründe dafür sind immer diffizil und vielschichtig. Wichtig ist also die Summe aller Faktoren – Wie kann man sie so beeinflussen, dass die jungen Leute wieder gerne Kinder bekommen?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

[i]Der neue Papa-Typ?[/i] [b]Wie kann man uns jungen Männern denn wieder nahebringen, dass Kinder eine schöne Sache sind?[/b] Ein Grund ist bestimmt das öffentliche Bild, das auch über die Medien kommuniziert wird. In Soaps und im Tatort kommen Kinder kaum vor. Es gibt überall quirlige Jugendliche, aber dort sind Kleinkinder nicht Bestandteil des Lebens. An der Kultur der öffentlichen Akzeptanz von Kindern müssen sicher alle mitarbeiten – ein quengelndes Kind in der Gaststätte ist für viele ja der Horror. Ich würde mir wünschen, dass auch der Anreiz zum Kontakt mit Kindern früher kommt. 14- oder 15-jährige Jungs müssen dringend in Kontakt mit Kleinkindern kommen. Jungen leben oft über ein Jahrzehnt ohne näheren Kontakt zu einem Kleinkind. Ich könnte mir Praktika für diese Altersgruppe in Kindergärten vorstellen, damit Jungs einen Zugang zu kleinen Kindern bekommen und auch den emotionalen positiven Aspekt an Kindern entdecken. Aber insgesamt ist das natürlich ein langwieriger und mühsamer Prozess. [b]Wie könnte denn nun das neue Rollenbild eines jungen Mannes und Vaters aussehen?[/b] Ganz persönlich würde ich sagen, dass Jungen in ihrem Erwachsenwerden lernen müssen, dass Kinder ein integraler Bestandteil einer männlichen Biographie sind. Diese Fremdheit von Kindern muss überwunden werden. Die Erziehungsfrage darf auch nicht zum Geschlechterkampf stilisiert werden, an denen die Beziehungen dann zugrunde gehen. Es bleibt natürlich weiterhin ein Balanceakt zwischen den Erwartungen, die die Partnerin und die Gesellschaft an den Mann haben – und seinen eigenen Gefühlen und Erwartungen. Dafür wird es leider keine schnellen und einfachen Lösungen geben. Wenn wir aber Männer und Frauen beiderseitig für die komplexe Gesamtsituation sensibilisieren können und die Probleme des anderen Geschlechtes darlegen, dann könnten wir uns einer Lösung annähern.

Text: johannes-graupner - Illustration: katharina-bitzl / Fotos: B.Huber (DJI) und ddp

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