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"Jeder Satz haut einen um"
jetzt.de: In "Staudamm" spielst du Roman, einen einsilbigen Typen, der für einen Staatsanwalt Gerichtsakten auf Tonband aufnimmt. Der Staatsanwalt ist ein Freund seiner Eltern, ansonsten erfährt man kaum etwas über Roman. Wer ist dieser Typ?
Friedrich Mücke: Roman ist eigentlich eine sehr moderne Figur. Er macht diesen Job, um Geld zu verdienen. Er sitzt in seiner Wohnung und spricht die grauenhaften Dinge in ein Mikrofon, ganz kühl und unbeteiligt, die die Zeugen vor Gericht ausgesagt haben. Nebenbei spielt er Xbox und behandelt seine Freundin schlecht. Ein total isolierter Typ. Ihm fehlt was in seinem Leben.
Bis er dann in das Dorf muss, in dem der Amoklauf stattgefunden hat, um weitere Akten zu holen...
...und dort ändert sich was für ihn: Plötzlich trifft er Laura, eine Überlebende des Massakers. Sie ist traumatisiert, er kennt ihre Geschichte schon aus den Akten. Sie haben beide auf ihre eigene Art Schwierigkeiten damit, weiter zu leben. Und irgendwie erkennen sie, dass der jeweils andere ihnen eine Hilfe sein kann – eine Chance, etwas abzulegen.
Roman will eigentlich gleich wieder fahren, muss dann aber tagelang im Dorf bleiben, bis er die Akten bekommt.
Und plötzlich ist er eben nicht mehr unbeteiligt. Erst ist es das Schicksal, dass ihn dort festhält, aber am Ende will er auch selbst bleiben. Er dockt da irgendwie an.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Roman, gespielt von Friedrich Mücke, entdeckt das Tagebuch des Amokläufers. Der Text darin besteht aus echten Tagebuch-Ausschnitten.
Der Amokläufer selbst ist tot, es gibt keine Rückblenden, man hört von seinen Taten nur indirekt. Ist es nicht seltsam, um so ein Phantom herumzuspielen?
Ich hatte mich auch am Anfang gefragt: Sollte der Täter nicht irgendwann mal auftreten? Aber gerade diese Abwesenheit ist eine der spannendsten Säulen des Films, und auch als Schauspieler ist es interessant, diesen Geist plastisch werden zu lassen.
Zum Beispiel, wenn deine Figur über verschneite Wiesen joggt, während man aus dem Off die Zeugenaussagen hört?
Da wird diese Figur des Amokläufers ganz groß. Für diese Szenen bin ich zwei Tage lang durch den Schnee gejoggt – aber dass es am Ende wirklich so gut aufgeht, mit dem Text aus dem Off, habe ich erst am Schluss gesehen, als der Film fertig war. Beim Joggen kannst du ja nicht viel spielen, höchstens mit dem Gesicht.
Am Ende liest du nicht nur die Zeugenaussagen, sondern aus dem Tagebuch des Täters. Der Text stammt aus realen Tagebüchern von Amokschützen. Wie sehr hat dich das mitgenommen?
Das ist schon heftig, jeder Satz, den ich da spreche, haut einen um. Vor diesem Film war ich ja immer gelähmt, wenn ich Schlagzeilen von einem Amoklauf gesehen habe... Aber dieses Thema über einen Film greifbar und irgendwie nachvollziehbar zu machen, ist eine tolle Sache.
Irgendwann brechen Roman und Laura in die Schule ein, in der das Massaker stattgefunden hat. Und Roman bewegt sich plötzlich wie der Amokläufer durch die Schule und imitiert die Schüsse. Was passiert da?
In diesem Moment wird alles für ihn haptisch erlebbar, was er zuvor passiv gelesen hat. Er hat das ja nicht so geplant, es geht einfach mit ihm durch. Die imaginäre Waffe, mit der er da durchläuft, hilft ihm, das nachzufühlen, was in den Akten steht. Die Szene verändert plötzlich alles. Einfach so Schießerei zu spielen, das machen ja Kinder – aber an diesem Ort, mit dem Wissen, was dort passiert ist, in den leeren Klassenzimmern rumzuballern, das ist kein Spiel mehr.
Wie war es, das zu drehen?
Sehr merkwürdig. Die Szene veränderte schlagartig die Stimmung am Set. Wir haben das ja zwei, drei Mal wiederholt, da fühlt man das richtig intensiv.
Seit vergangenem Jahr spielst du einen "Tatort"-Kommissar in Erfurt - auch eine Stadt, in der ein Schulmassaker passiert ist. Gab es zwischen den Rollen einen Zusammenhang?
Nein, wir hatten "Staudamm" schon abgedreht, als das Angebot für den "Tatort" kam. Aber dort hat mein Filmpartner ein Trauma von dem Amoklauf. Es gibt bisher ja nur eine Folge, in der haben wir das Thema nur angekratzt, vielleicht wird das noch vertieft.
Ihr habt den Film speziell in Erfurt und Winnenden schon vor der offiziellen Premiere gezeigt. Wie war das?
Ich war bisher bei drei Vorführungen, und jedes Mal war die Stimmung sehr ruhig, nachdenklich. Ein paar Leute sind zwischendurch rausgegangen. Man braucht schon Geduld dafür. Der Film wirft mehr Fragen auf, als er Antworten gibt. Das ist das Moderne daran. Er sagt: Augen auf, hingucken statt weggucken.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
"Staudamm" läuft seit Donnerstag im Kino.
Text: jan-stremmel - Fotos: milkfilm