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„Je höher der Gewinn, desto höher der Verlust“

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Protokoll von Frank, 28 Jahre, verheiratet, zwei Kinder, spielsüchtig. Aufgenommen am 19. Oktober 2008 in den Fachkliniken Nordfriesland.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

"Es war Ende der 90er Jahre. Meine Sucht begann damit, dass ich mit zwei, drei Freunden in die Spielhalle ging, um Billard zu spielen. Warum in die Spielhalle? Weil der Kaffee für die Besucher dort umsonst war. Wir trafen uns jeden Tag, immer so gegen 20 Uhr. Es gab leider nur einen Billardtisch, und wir waren nicht die einzigen, die daran spielen wollten. Ab und zu war er belegt, und wir mussten warten. Um die Zeit totzuschlagen, haben wir uns an Automaten gesetzt und 5 bis 10 DM eingeworfen. Wir gewannen, und das hat natürlich Spaß gemacht. Wir haben immer weiter gespielt, mehr gesetzt, und dabei natürlich nicht immer gewonnen. Es wurde schlimm. So schlimm, dass ich Kredite aufgenommen und von meiner Familie und meinen Freunden Geld geliehen habe. Doch bald verlor ich nicht nur das viele Geld in der Spielhalle, sondern auch diejenigen, die es mir geliehen hatten. Keiner hatte mehr Vertrauen zu mir, mit Recht. Und ich hatte Schulden: 80.000 Euro bei der Bank, 25.000 bei der Familie und 5.000 bis 10.000 Euro bei Freunden. Ich hatte oft 2.000 bis 3.000 Euro am Tag verspielt, es ging einfach so schnell weg. Außerdem hatte ich meine Spielsucht durch Betrügereien finanziert, wofür ich schließlich inhaftiert wurde. Das Gericht urteilte, ich solle einen Vollzug und eine stationäre Therapie machen. Ich solle mir helfen lassen. Erst im Vollzug wurde ich einsichtig, plötzlich hatte ich viel Zeit, über all das nachzudenken. Später habe ich noch eine ambulante Spielsuchttherapie gemacht und erfolgreich abgeschlossen. Das war wichtig, um straffrei zu bleiben und meine sozialen Bindungen zu stärken. Außerdem wollte ich meine Familie nicht noch einmal so enttäuschen. Das alles ändert aber nichts daran, das ich circa 120.000 Euro Schulden habe und vor einiger Zeit Privatinsolvenz anmelden musste. " Lies auf der nächsten Seite ein Interview mit Michael Immelmann, der mit Spielsüchtigen arbeitet.


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Herr Immelmann, wie entsteht Spielsucht? Häufig ist es so, dass die Patienten relativ früh angefangen haben, oft noch als Minderjährige, mit Freunden und Bekannten in Spielhallen, Internet- oder Billardcafés zu gehen, um dort gemeinsam Zeit zu verbringen. Viele berichten, dass sie das eine Weile gemacht und irgendwann angefangen haben, sich von der Gruppe zurückzuziehen, um in den Bereich der Geldspielautomaten zu gehen und dort für sich zu spielen. Sie sprechen später von dem Glück, am Anfang einen relativ hohen Gewinn erspielt zu haben, 100 oder 200 Euro beispielsweise. Augrund dieses Gewinns haben sie dann die Vorstellung entwickelt, sie könnten diesen auch öfter erzielen. In der Folge verlieren sie Geld am Automaten – und dieses verlorene Geld möchten sie wiederhaben. Man kann sagen, dass je höher der Gewinn eines Spielers, desto höher wird auch sein späterer Verlust sein. Es setzt sich eine Illusion, ein Irrglaube fest: Ich habe die Fähigkeiten, die Macht und die Möglichkeit, einen hohen Gewinn zu erreichen – ich weiß nicht, wann, aber ich werde ihn erreichen! Kann man sagen, dass es eine bestimmte Gruppe von Menschen und Altersklassen gibt, die besonders anfällig für übertriebenes Glücksspiel ist? Herkunft und Alter kann man weniger gut eingrenzen. Was man aber sagen kann: dass es meistens Menschen sind, die sehr hohe Ansprüche an sich selbst stellen, oder von außen diese Ansprüche gesetzt bekommen haben. Irgendwann im Verlauf ihres Lebens sind sie dann gescheitert und haben eine Kränkung erfahren. Wenn zum Beispiel ein junger Mann die Scheidung seiner Eltern nicht verarbeiten kann und vielleicht erlebt, dass Bedürfnisse nach Nähe und Zuwendung nun durch materielle Güter befriedigt werden. Um aus diesem Loch heraus zu kommen, braucht man ein Selbstbewusstsein, soziale Kompetenzen, Optimismus. Im Glücksspiel könnte er wieder gewinnen, Euphorie, Anerkennung und Entspannung erfahren. Alkoholiker sprechen ja auch oft davon, sie seien Entspannungs- oder Belohnungstrinker. Stress bei der Arbeit oder in der Partnerschaft treibt auch viele in die Spielhallen, um dort ihre Ruhe zu haben. Da haben sie auch wieder ein Gegenüber. Alkohol- und Drogen abhängige Menschen kommen oft von selbst auf die Idee, sich in einer Klinik behandeln zu lassen. Weil sie ihr Leben bedroht sehen. Was sind Gründe für Spielsüchtige, eine Therapie zu machen? Wirklich junge Spielsüchtige, die gerade älter als 18 Jahre alt sind, haben sich häufig schon in ein kriminelles Milieu begeben, um Geld für das Spielen zu beschaffen. Durch Betrug, Unterschlagung, Urkundenfälschung, Autoaufbrüche. Sie haben also oftmals juristische Probleme, und kommen deswegen. Andere junge Leute machen eine Therapie, weil ihre Eltern, vor allem die Mütter, sie unter Druck setzen. Wieder andere haben eine Partnerin und ein ganz junges Kind und wollen für diese einfach etwas ändern. Es gibt aber auch junge Leute, die sich selbst dabei erwischen, wie sie mit der Fan-Kleidung ihres Lieblingsfußballclubs in der Spielhalle sitzen, während ihre Mannschaft gerade spielt. Plötzlich merken sie: Irgendwas stimmt mit mir nicht. Gibt es bestimmte Therapiephasen bei Ihnen, die auch in anderen Suchtkliniken bestehen, wie Entzug, Aufbau und Vorbereitung auf ein Leben danach? Wir denken in ähnlichen Phasen. Es gibt eine Motivationsphase, eine Handlungsphase und eine Nachbereitungsphase. Die Sache hat natürlich den Haken, dass wenn ein Patient zu uns in die Entwöhnungsbehandlung kommt, wir gar nicht genau einschätzen können, wie stark er noch in seiner Sucht drin steckt. Bei Drogenpatienten kann man Blut abnehmen oder Urinproben untersuchen, um sie dann zu entgiften. Bei uns passiert eine Entgiftung erst in der Therapie. Es kann sein, dass die Patienten noch einen Tag vorher gespielt haben und noch ein bisschen neben der Spur sind. Die Therapie dauert insgesamt acht bis sechzehn Wochen. Was genau passiert in den angesprochenen drei Phasen? In der ersten Phase geht es um die Motivation: Welchen Sinn sehe ich überhaupt darin, nicht zu spielen? Wie finde ich eine Möglichkeit, zu erkennen, warum ich gespielt habe? Es soll eine inhaltlich wertfreie aber menschlich wertschätzende Beobachtung und Beurteilung des Problems geben. In der zweiten Phase wird zusammen mit dem Patienten überlegt, was er denn ändern möchte. Dabei setzen wir natürlich auf die radikale Abstinenz. Keine Würfelspiele, keine Kartenspiele, nichts. Der Patient hat dann die Möglichkeit, mit uns an seiner Selbstsicherheit zu arbeiten, damit er später zum Beispiel besser auf andere Menschen zugehen kann. Das können wir in Rollenspielen und Bezugsgruppen trainieren. Wenn diese Veränderungen stattgefunden haben, und der Patient stabiler geworden ist, gucken wir, wo er hingehen kann: Geht er nach Hause, in seine Einzimmerwohnung, mit der alten Couch, dem alten Fernseher und der alten Schrankwand? Oder geht er vielleicht erstmal in eine Übergangseinrichtung, in der er sich auch beruflich neu orientieren kann. Außerdem werden die Geldausgaben kontrolliert und begleitet. So kann zusammen überlegt werden, wofür ein Patient Geld ausgibt, ob das wirklich nötig ist, oder ob es sinnvollere Möglichkeiten gibt. Erleben Sie die Spielsüchtigen während der Therapie generell eher als Einzelgänger, oder knüpfen sie schnell Kontakte mit anderen Patienten? Die Glücksspieler sind in der Regel sehr kontaktfreudig und haben manchmal vordergründig hohe soziale Kompetenzen. Weil sie ja auch während ihres Spielerlebens gelernt haben, mit anderen Menschen zu spielen. Sie mussten in der Lage sein, Freunden, Eltern oder dem Arbeitgeber Geld abzuquatschen. Sie gingen also auf Menschen zu, um ihre dringendsten Bedürfnisse zu erfüllen. Wenn es aber darum ging, Traurigkeit, Wut und Enttäuschung mitzuteilen, lagen diese sozialen Kompetenzen plötzlich brach. Wie hoch sind denn die Rückfallquoten? Die Haltungsquoten sind schon mal sehr hoch. Im Gegensatz zum Drogenbereich brechen bei uns viel weniger Patienten die Therapie ab. Glücksspieler melden sich an, kommen und bleiben auch die ganze Zeit in der Klinik. Die Rückfallquoten liegen ähnlich wie im Alkoholbereich. Ein Jahr nach der Therapie ist bei etwa 40 bis 50 Prozent der Patienten wieder ein süchtiges Verhalten bemerkbar. Miachael Immelmann, 36, ist Diplom Psychologe und Bezugstherapeut bei den Fachkliniken Nordfriesland

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