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"Irgendwann musste ich sagen, dass ich verweigere. Also trat ich aus der Reihe."

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jetzt.de: Eine Woche nach dem der Gaza-Krieg begann, hättest Du eingezogen werden sollen. Stattdessen hast Du gemeinsam mit anderen Israelis in deinem Alter einen Brief an die Presse geschrieben und ganz offiziell gesagt: Ich mache nicht mit. Warum? Maya: Ich war so wütend! Über die Operation und darüber, wie für alle Leute in Ordnung zu sein schien, was da passierte! Neunzig Prozent aller Israelis waren für den Militärschlag. Ich dachte nur: Das ist doch verrückt! Kein Mensch verstand die Zusammenhänge, warum die Palästinenser zuvor Raketen auf uns geschossen hatten … Gewalt ist ein Kreislauf, der sich selbst verstärkt. Es ist die israelische Besatzungspolitik, die zur Radikalisierung der Palästinenser führt. Was daraus folgt ist Hass und die Gewalt eskaliert weiter. Das ist ein Kreislauf, der nicht aufhören wird, bis jemand aufsteht und sich kompromisslos weigert, daran teilzunehmen. Hätte es den Gaza-Krieg nicht gegeben, wärst Du dann zur Armee gegangen? Nein, diese Entscheidung habe ich schon viel früher getroffen. Wie kam es dazu? Ich war zwölf, als die zweite Intifada begann. Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem die erste Bombe in einem Café in Jerusalem explodierte. Ich hörte, wie meine Eltern darüber redeten und sich Sorgen um die Zukunft machten. In den Jahren darauf explodierten zum Teil mehrmals die Woche irgendwo Bomben. Es war eine schwierige Zeit. Immer wenn ich auf den Bus wartete, stellte ich mir vor, wie er in die Luft fliegt, sobald ich eingestiegen bin. Einmal saß ich im Auto, als nicht weit von uns entfernt ein Bus explodierte. Damals waren wir alle ziemlich rechts. Ich war so wütend auf die Terroristen, die uns Angst einjagen wollten. Dass das mit der Besatzung zusammenhängt, habe ich damals noch nicht verstanden. Ich kannte noch nicht mal das Wort. Warum hast Du deine Meinung geändert? Eines Tages, ich war fünfzehn, sah ich eine Anzeige in der Zeitung. Dort wurden israelische und palästinensische Jugendliche für eine Begegnungsgruppe gesucht. Und ich dachte: Ja! Das könnte interessant sein! Bis zu dem Zeitpunkt hatte ich noch nie Palästinenser kennen gelernt. Und ich hatte das Gefühl, dass ich über all die schrecklichen Dinge, die ich während der Intifada erlebt hatte, mit jemandem sprechen musste. In der Gruppe lernte ich ein palästinensisches Mädchen kennen. Eines Tages saßen wir draußen und unterhielten uns. Plötzlich erzählte sie von ihrem Vater. Israelische Soldaten waren eines Nachts gekommen und hatten ihn verhaftet. Danach hatte sie ihn nie mehr wieder gesehen. Später ließ die Armee die Familie wissen, dass er im Gefängnis gestorben war. Ich sehe die Szene vor mir, als wäre es gestern gewesen. Das Mädchen begann zu weinen und ich fühlte mich in dem Moment so schuldig wie noch nie zuvor in meinem Leben. Zum ersten Mal begriff ich, dass ich die Soldatin sein könnte, die Ihren Vater verhaftet. Oder mein Vater, oder mein Cousin. Alle Leute, die ich damals kannte, gingen zum Militär.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Maya (im Bild mit einem Familienvater aus Sheikh Jarrah in Ostjerusalem; Foto: Marlene Halser) Und dann? Ich war völlig geschockt von dieser Geschichte. Im Nachhinein betrachtet, ist das fast lustig. Tausende von Palästinensern werden jedes Jahr verhaftet. Das ist meistens nicht mal eine Nachricht wert. Aber damals konnte ich mir nicht vorstellen, dass solche Dinge passieren. Alle Leute, die ich kannte, die zum Militär gingen, waren doch gute Menschen. Also musste auch die israelische Armee gut sein. Diese kleine Geschichte erschütterte alles, woran ich geglaubt hatte und ich begann mich zu fragen: Was hat man dir noch erzählt, was gar nicht stimmt? Ich begann im Internet zu suchen, stieß auf Tayush (arab. für Koexistenz, israelische Organisation, die in Hebron, im Westjordanland, mit Palästinensern zusammenarbeitet, Anm. der Redaktion) und hörte zum ersten Mal von den Shministim, einer Gruppe von Zwölftklässlern, die den Militärdienst verweigert hatten. Hattest du nie das Gefühl, dass es deine Pflicht sein könnte, zur Armee zu gehen? Doch, natürlich! Zu Beginn wollte ich auch zum Militär gehen. Ich wollte die Armee von innen heraus verändern. Ich wollte Leutnant werden und einen Checkpoint leiten und an meinem Checkpoint sollte alles glatt laufen, keiner sollte irgendwem Schaden zufügen. Doch als Du von den Shministim hörtest, hast Du Deine Meinung geändert? Ja. Zusammen mit neun anderen schrieben wir einen Brief an die israelischen Medien und demonstrierten am Tag vor Dienstbeginn vor der Armeebasis in Tel Aviv. Am nächsten Tag ging ich dann zur Basis. Man geht rein und dann kommt der Teil, an dem sich alle in zwei Reihen aufstellen müssen und sie anfangen einen anzuschreien und einzuschüchtern. Und ich dachte: Okay. Irgendwann musst Du sagen, dass Du verweigerst. Also warum nicht gleich? Also trat ich aus der Reihe und stellte mich an die Seite. Alle waren geschockt! Ich muss zugeben: Ich hatte wahnsinnige Angst vor dem Gefängnis! Ich hatte keine Ahnung, wie es sein würde und wie lange ich dort bleiben muss. Und das Krasse war: Obwohl ich so viel über alles nachgedacht hatte und die Entscheidung so bewusst gefällt hatte, dachte ich mir in dem Moment: Nur ein kleiner Schritt zurück in die Reihe und alles wäre so einfach. Die Versuchung war so groß! Aber Du bist stehen geblieben? Ja. Als sie gemerkt haben, dass Brüllen nichts bringt, haben sie mich noch auf der Militärbasis einem Richter vorgeführt und ich wurde verurteilt, weil ich einen Befehl missachtet hatte - den Befehl, Soldatin zu werden. Wie lange warst du im Gefängnis? Ich wurde zu 17 Tagen verurteilt. Als ich wieder raus kam, wollten sie wissen, ob ich meine Lektion gelernt habe. Als ich nein sagte, musste ich wieder zurück ins Gefängnis. So wurde ich insgesamt sechs Mal verurteilt. Zwei Mal musste ich in die Zelle, die restlichen vier Mal war ich in Verwahrung auf der Militärbasis. Wie war es im Gefängnis? Naja, es war kein Gefängnis, wie das, in das die Palästinenser kommen. Keiner hat mich gefoltert, oder so. Es war sehr grau und die Zeit war sehr schwer für mich, aber im Vergleich zu anderen Gefangenen ging es mir dort gut. Was hat deine Familie zu alldem gesagt? Es gab natürlich viel Streit deswegen. Ich glaube, meine Eltern mussten wegen meiner Entscheidung viel durchmachen. Freunde und Verwandte reagierten sehr kritisch. Sie mussten sich den Vorwurf gefallen lassen, mich nicht richtig erzogen zu haben. Sie haben sich bestimmt komisch gefühlt, wenn sie bei Freunden zum Essen eingeladen waren und die anderen Eltern von ihrem Sohn erzählten, der am Wochenende auf Heimaturlaub war. Ich gehe mittlerweile nicht mehr zu großen Essen mit Verwandten und Freunden. Meine Verweigerung schwebt immer im Raum. Dieser Druck ist mir einfach zu groß! Warum ist es in Israel so schlimm, wenn man nicht zur Armee geht? Damit überschreitet man eine rote Linie. Man kann links sein und die Regierung kritisieren. Aber die Armee zu verweigern ist wirklich ein extrem radikaler Schritt. Der Armeedienst wird in Israel als die grundlegende Erfahrung angesehen, eine Erfahrung, die jeder teilt. Die Armee ist wie ein Schmelztiegel, der all die Einwanderer vereint. Jeder spricht darüber. Das ganze Leben lang wird man gefragt, in welcher Einheit man war. Die Einheit steht auch im Lebenslauf und sie ist Voraussetzung für viele Jobs. Bereust Du Deine Entscheidung manchmal? Manchmal wünsche ich mir mein altes Leben zurück. Ich hatte Freunde, war ein ganz normales Mädchen. Viele meiner alten Freunde sprechen heute nicht mehr mit mir. Ich würde einfach gerne mal wie die anderen in einer Bar sitzen und Jungs kennen lernen. Aber jedes Mal werde ich früher oder später gefragt, bei welcher Einheit ich bin. Und dann gibt es immer Diskussionen. Oder der Typ hält mich für einen Freak. Aber das ist der Preis, den ich für meine Entscheidung bezahlen muss. Maya Wind arbeitet heute für die Menschenrechtsorganisation „Rabbis for human rights“. Dort koordiniert sie wöchentliche Proteste für die Rechte der Araber in Ostjerusalem. Daneben gibt sie alternative Stadtführungen zur Besatzungspolitik Israels in Jerusalem und ist Teil einer feministischen Gruppierung gegen die Militarisierung der israelischen Gesellschaft. Zum Wintersemester beginnt sie ein Studium an der Columbia University in New York.

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