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Immer vorne dran: Interview über das nächste große Ding
Ihr präsentiert in eurem Buch Trends und solche, die es noch werden sollen. Warum habt ihr die Ideen nicht für euch behalten und mit schlechten Kopien gutes Geld gemacht? Wir sind nicht so fürs Machen gemacht. Eine interessante Entwicklung, die in Deutschland vielleicht noch nicht - oder nicht unter einem bestimmten Blickwinkel - rezipiert wurde, zu beschreiben ist etwas vollkommen anderes, als ein Businessmodell und eine Firma darauf aufzusetzen. Uns geht es weniger um Businessmodelle, Chancen und Risiken, sondern um soziologisch dichte Beschreibungen, wie sich durch neue Technologien, Produkte, Marketing- und Kulturtechniken das Lebensgefühl verändert. Euer Buch heißt "Das nächste große Ding". Geht denn der Trend nicht eher in Richtung "immer kleiner"? Natürlich kann auch Nanotechnologie das nächste große Ding sein. Allerdings ist sie das schon ziemlich lange und außer E-Gitarren, die man nur unter dem Rastertunnelmikroskop spielen kann, ist bislang nicht viel dabei rumgekommen. Oft ist größer eben doch besser. Das Buch handelt aber eher von den nächsten großen Dingen im übertragenen Sinn. So wie man sagt: Tokio Hotel ist das nächste große Ding. Wovon es allerdings überhaupt nicht handelt, ist Tokio Hotel.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Angenommen, ich habe eine mittelgute Idee: Was muss ich tun, damit sie "das nächste große Ding" wird? Je nachdem, was es ist, könnte man ein USB-Kabel dranschrauben, es in Leuchtfarbe tauchen, vergolden, ein Vibrationselement einbauen oder es mit künstlichem Vanille-Aroma unterhalb der Wahrnehmungsschwelle subtil beduften. Es gibt verschiedene Wege, fixe Ideen zu Trends aufzusexen. Einer ist, andauernd darüber zu schreiben. Es gibt viele nur mittelgute Ideen, die schon für das nächste große Ding gehalten wurden, weil sie auf dem Papier gut aussehen. Intelligente Kleidung oder E-Paper zum Beispiel, offensichtlich scheint es aber irgendwo zu haken, denn sie sind so weit vom Alltag entfernt wie eh und je. Wir nennen so etwas Godot-Trends, also Trends, auf die man ewig warten kann. Ist die Halbwertszeit von Neuerungen eigentlich wirklich so gering oder haben wir einfach ein Faible dafür entwickelt, uns vollkommen nutzlosen, aber netten Schnickschnack andrehen zu lassen? Gesellschaftliche Basisinnovationen kommen langsam, aber gewaltig. Es gibt einen ganz typischen Verlauf: das Internet wurde erst euphorisch gefeiert, dann totgeprügelt, jetzt entdecken die Menschen, was seine eigentlichen Stärken ausmacht: dass es eben nicht nur Wissensspeicher und Einkaufszentrum ist, sondern eine riesige Sozialmaschine. Nutzloser netter Schnickschnack mag vielleicht ein zu diskutierender Trend sein - in Form des Bling-Bling im HipHop beispielsweise - hat aber nichts mit dem Wesen der Phänomene zu tun, die wir beschreiben. Uns geht es mehr um die subtilen Verschiebungen, die man erst bemerkt, wenn man sich das Leben von vor fünf Jahren vergegenwärtigt. Wieso ist der Browser Firefox so erfolgreich? Weshalb ist Ökologie in den USA sexier als in Deutschland? Warum wird das Duschgelregal dem Joghurtregal immer ähnlicher? Holm Friebe ist Journalist, Volkswirt, Autor des Weblogs Riesenmaschine und Macher des Programms Riesenmaschine TV, das heute, Mittwoch, den 22. Februar, ab 20 Uhr im NBI in der Kulturbrauerei, Berlin stattfinden wird. Das nächste große Ding von Holm Friebe und Kathrin Passig. 80 Seiten, 8 Euro. Erschienen im Verbrecher Verlag. Bild1: Verbrecher Verlag, Bild2: privat