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Im Anzug gegen die Überwachung
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
jetzt.de: Normalerweise beginne ich Interviews ja nicht so, aber: Was hast du an?
Michael Bukowski: Jetzt? Oder am Samstag bei der Demo?
Jetzt.
Dir das zu beschreiben, wäre mir ein bisschen zu privat.
Okay. Offenbar bist du aber kein Mensch, der immer im Anzug herumläuft.
Ne, auf keinen Fall. Ich mag Anzüge eigentlich ganz gerne und habe auch ein paar im Schrank. Aber ich ziehe sie selten an, meistens sieht mir das zu Business-mäßig oder zu festlich aus.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Michael im Demo-Outfit.
Am Samstag, auf der „Freiheit statt Angst“-Demo gegen Überwachung, wirst du aber einen Anzug tragen. Denn du hast den „Akkuraten Widerstand“ gegründet. Warum?
Ich habe den Impuls bei der „Freiheit statt Angst“-Demo vergangenes Jahr bekommen. Ihr habt damals auch über meinen Blogeintrag dazu geschrieben. Ich habe wieder nur die übliche Demo-Folklore und die üblichen Internet-Insider-Gags gesehen und gehört: Menschen mit Alu-Hüten und Grumpy-Cat-Schildern. Das führt aber in die falsche Richtung.
Aber die Alu-Hüte zum Beispiel haben doch eine inhaltlich passende Aussage.
Ich habe auch nichts gegen diese Hüte. Die wird es auf solchen Demos weiter geben und das soll auch so sein. Aber man muss diese übliche Demonstrationsfolklore mal brechen. Um endlich auch mal Bilder zu erzeugen, die man von solchen Veranstaltungen nicht gewohnt ist. Oma Krause soll in den Nachrichten auch andere Bilder sehen. Bilder, mit denen auch sie etwas anfangen kann. Akkurat gekleidete Menschen in Anzügen, die sie ernst nehmen kann. Sonst werden wir sie nie überzeugen können.
Ihr wollt also Menschen erreichen, die sich für das Internet nicht so interessieren.
Auch das. Es ist auch ein Missverständnis, dass es bei der ganzen Thematik nur ums Internet ginge. Früher hätte das vielleicht gestimmt, als man sich noch mit einem Modem eingewählt hat und vielleicht noch eine AOL-CD zu Hause hatte. Heute ist man immer online. Man kann sich quasi nicht mehr ausloggen, alles wird digital erfasst. Ich hinterlasse jeden Tag eine Datenspur, auch wenn ich das Internet gar nicht aktiv nutze. Es geht also um unseren gesamten Alltag. Auch das wird nicht deutlich bei den Demos.
Wie lautet dann denn eure Botschaft an Oma Krause und den Normalbürger? Was wird auf euren Demo-Bannern stehen?
Unsere Botschaft ist, dass wir die Stereotype umdrehen. Oma Krause denkt, dass auf so einer Demo lauter Radikale rumlaufen. Diese Annahme drehen wir genau um: Auf unserem Banner steht „Normale Leute gegen radikale Überwachung“. Damit klar wird, dass die Radikalen nicht die Leute sind, die da demonstrieren. Sondern die, die hinter den Monitoren der NSA und des BND sitzen. Das ist unsere Botschaft, und die reicht auch fürs Erste. Man kann Oma Krause eh nicht in fünf Worten auf einem Plakat erklären, worauf es ankommt. Aber man kann ihr sagen: Das geht alle was an, deshalb sehen wir auch aus wie alle.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Heißt das, dass die Inhalte erst in einem zweiten Schritt transportiert werden können? Dass es auf einer Demo also gar nicht in erster Linie auf Inhalte ankommt?
Eine Demo kann das nicht leisten: wirklich Inhalte zu transportieren. Wenn wir es erreichen, mit dem Anzugträgerblock möglichst präsent zu sein, wäre schon was gewonnen. Dass der Durchschnittsmensch, der sonst nie auf die Idee käme, auf eine Demo zu gehen, sich auch angesprochen fühlt, sich informiert und vielleicht das nächste Mal mitdemonstriert. Und das klappt: Ich bin neulich mit dem Vater einer Freundin ins Gespräch gekommen, ein 60-jähriger Geschäftsmann. Der hat sich erst darüber gewundert, was wir da vorhaben, weil das überhaupt nicht seine Welt ist. Aber die Idee des akkuraten Widerstands leuchtete ihm ein, er kommt am Samstag mit. Und wenn er danach im Tennisclub oder so erzählt, dass er auf einer Demo war, haben wir plötzlich ganz andere Kreise erreicht.
Wer ist denn jetzt schon in deiner Gruppe? Wer fühlt sich angesprochen?
Ich habe bislang natürlich sehr viel Resonanz aus dem Internet bekommen, über meine eigenen Kanäle – Blog, Facebook, Twitter-Accounts. Das hat ganz ordentlich Wellen geschlagen.
Und das, obwohl sich deine Kritik ja genau an die Netzgemeinde richtet, die sich in ihren Protesten manchmal um sich selbst dreht, aber niemand außerhalb der eigenen Internetblase erreichen.
Da muss ich noch mal sagen: Ich will nur einen Impuls setzen. Ich will die Netzgemeinde gar nicht kritisieren oder ändern oder ihnen gar vorschreiben, jetzt Anzug zu tragen. Das wurde im Netz auch gar nicht so verstanden.
Mit wie vielen Anzugträgern rechnest du? Ich habe keinen Überblick über eine Teilnehmerzahl. Ich lasse mich da überraschen. Selbst wenn wir nicht 500 werden, sondern nur 50, wird das schon reichen, um schöne Bilder zu bekommen. Das ist erst der Auftakt, der akkurate Widerstand soll in den nächsten Jahren weitergehen. Das ist eine langfristige Sache, es wird dauern, das Bewusstsein für das Problem Überwachung in der breiten Bevölkerung zu etablieren.
Ihr seid bei der Demo ein offiziell eingetragener Block, auf der Webseite steht ihr auf der Unterstützerliste. Wie reibungslos lieb diese Integration ab? Fühlten die Organisatoren der Demo sich von euch nicht erst mal angegriffen?
Da war ich zuerst auch gespannt. Ich bin das ein bisschen unclever angegangen und habe mich bei denen erst gemeldet, nachdem ich die Aktion schon begonnen und dafür getrommelt hatte. Als ich mich dann gemeldet habe, kam ziemlich bald eine Antwort, dass man sich freue und das super finde.
Wird der akkurate Widerstand noch mehr sein als Auftritte bei Demos?
Ja. Das wird von der Kleidung weggehen. Wir wollen auch online akkuraten Widerstand leisten, und dort passende Maßnahmen anbieten, mit denen man akkurat und ohne großen Aufwand auf das Überwachungsproblem aufmerksam machen kann. Wie genau das aussehen wird, möchte ich noch nicht verraten. Aber Ziel ist es, da ein bisschen Wirbel zu machen und Medienaufmerksamkeit zu generieren.
Trotzdem, jetzt geht es erst mal um Kleidung. Wie genau ist denn am Samstag der Dresscode bei euch?
Der ist gar nicht so streng. Es muss kein schwarzer Anzug mit Fliege und Zylinder sein, nicht mal eine Krawatte. Die Frauen brauchen auch nicht im Abendkleid und auf High Heels kommen. Sondern einfach so, wie sich der Durchschnittsmensch anzieht, wenn er zu einem Vorstellungsgespräch geht oder zu einem Termin, bei dem er seriös wirken möchte. Sodass Oma eben sagen würde: akkurat gekleidet.
Text: christian-helten - Illustration: Sandra Langecker; Fotos: oh