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"Ich würde ihr keinen Rassismus bescheinigen"
Bei einer Lesung aus ihrem Buch „Wachstumsschmerz“ erzählte Sarah Kuttner von einem Spielzeug, das sie als Kind besessen hat: einer "Negerpuppe". Ein Besucher der Veranstaltung mit äthiopischen Wurzeln rief die Polizei und zeigte Kuttner an, weil er Kuttners Beschreibung der Puppe als rassistisch empfand. Kuttner habe mehrmals geäußert, wie ekelhaft sie die Schlauchbootlippen fand, warf er ihr gegenüber der Hamburger Morgenpost vor. Kuttner hat sich inzwischen gegen den Vorwurf des Rassismus verteidigt und dabei unter anderem auch Unterstützung von Frank Spilker, Sänger der Sterne bekommen, der ebenfalls bei der Lesung war und gegenüber Spiegel Online äußerte, dass Kuttner vielmehr den Alltagsrassismus thematisiert habe, der ihr jetzt vorgeworfen wird. Nicht nur in den Medien, sondern auch auf Facebook und auf Twitter wird der Fall von Sarah Kuttner und ihrem Spielzeug äußerst hitzig diskutiert.
Andreas Zick ist Professor am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung in Bielefeld. Wir haben ihn gefragt, wo Rassismus eigentlich beginnt, wie er entsteht und ob Political Correctness übertrieben wird oder nicht.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
jetzt.de Herr Zick, ist das schon Rassismus, wenn Sarah Kuttner von einer „Negerpuppe“ spricht und deren Lippen furchtbar findet?
Andreas Zick: Ich kann mir vorstellen, dass sich jemand mit äthiopischen Wurzeln davon angegriffen fühlt, ich bin mir aber nicht sicher, ob da wirklich alles zutrifft, was gegen Frau Kuttner vorgebracht wird. Nachdem, was ich weiß, würde ich ihr keinen Rassismus bescheinigen wollen. Aber es ist natürlich grenzwertig. Es ist ein klassischer Fall, an dem man merkt, wie haarscharf man oft an der Grenze des Normativ-Normalen ist und wie leicht man Stereotypen anheim fällt. Wir würden heute halt nicht mehr „Negerpuppe“ sagen.
Wo liegt denn die Grenze, wo beginnt Rassismus?
Es gibt Merkmale, die schreibe ich einer Gruppe zu, zum Beispiel: Sportler sehen gut aus, oder: Deutsche sind fleißig und pflichtbewusst. Die Grenze zum Vorurteil ist da, wo wir eine motivierte Abwertung der Gruppe haben. Rassismus ist es dann, wenn ich dazu auf biologische Merkmale zurückgreife.
Leiden Afro-Deutsche unter besonders vielen Vorurteilen?
Nach so vielen Jahren Forschung zu dem Thema stelle ich keine Hierarchien mehr von Opfergruppen auf. Die Frage, welche Gruppe ist ein stärkeres oder schwächeres Opfer, bringt uns nicht weiter. Wir haben das Leiden unter Vorurteilen genauso bei Frauen, die in ihrer Arbeits- und Lebenswelt mit Sexismus konfrontiert werden, Homosexuelle leiden unter Anfeindungen und so weiter. Allerdings ist Rassismus etwas, vor dem man sich als Opfer kaum schützen kann. Die eigene Hautfarbe kann man nicht verbergen. Schwarze haben leider festgestellt, dass auch positive Umdeutungen wie „Black is Beautiful“ das Leiden nicht verhindern. Das Denken in den Kategorien unterschiedlicher Hautfarben verfestigt nur den Rassismus, der sie aus der Gesellschaft ausschließt.
Was halten Sie von Aussagen, dass die „Political Correctness“ übertrieben sei oder dem Klassiker „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“?
Wir alle sind nicht vorurteilsfrei. Im Moment finde ich das Ausmaß an Vorurteilen in Deutschland angesichts des Bildungsniveaus allerdings erschreckend hoch. Wenn man nun sagt, es ist völlig akzeptabel bestimmte Stereotype zu äußern, dann ist das die Öffnung der Schleuse, denn die Vorurteile sind schon in der Welt. Die Norm, dass wir keine Vorurteile gegenüber anderen Gruppen leichtfertig äußern wollen, scheint mir sehr brüchig geworden zu sein.
Sie erforschen seit vielen Jahren wie sich Rassismus und andere Formen von „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ in Deutschland entwickeln. Nehmen solche Einstellungen also zu?
Wir finden in Deutschland in manchen Bereichen enorm hohe Ausmaße an Vorurteilen. Was uns auffällt, ist, dass in den letzten drei Jahren bestimmte Einstellungen zugenommen haben, Fremdenfeindlichkeit etwa, aber auch Vorurteile gegenüber Langzetarbeitslosen. Diese Stereotype haben insbesondere in den Mittelschichten, im Bürgertum zugenommen. Da fürchten wir, dass soziale Normen brüchig werden. Allerdings: Ganz deutlich gesunken sind sexistische Einstellungen und die abwertenden Einstellungen gegenüber Homosexuellen. Für diese sozialen Normen ist aber auch ganz viel getan worden, bei der Gleichstellungspolitik für Homosexuelle beispielsweise ist ja ganz viel passiert.
Wie stark ist die Fremdenfeindlichkeit in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern ausgeprägt?
Was Fremdenfeindlichkeit insgesamt betrifft, ist Deutschland in Europa absolutes Mittelmaß. Allerdings ist das Niveau dieses Mittelmaßes erschreckend hoch. In Sachen Islamfeindlichkeit liegen die Deutschen ganz oben an der Spitze. Übrigens, es gibt weder in Deutschland noch in Europa eine systematische Beobachtung der Entwicklung von Vorurteilen. Das drückt aus, dass uns als Gesellschaft das Problem offenbar nicht so wichtig ist. In den USA und Kanada dagegen ist das ganz anders. Dort denkt man, wir brauchen eine solche Beobachtung, um bröckelnde Normen frühzeitig zu bemerken und gegensteuern zu können.
Wie entstehen Rassismus und andere Vorurteile gegenüber bestimmten Gruppen?
Es gab früher die Vorstellung, dass Fremdenangst angeboren wäre. Es kommt aber auf die Umwelt an, in der wir uns bewegen und an der wir uns orientieren. Dort werden Vorurteile vermittelt. Stellen Sie sich vor, Sie leben zum Beispiel in einem kleinen Dorf und alle anderen Jugendlichen dort haben rechtsextreme Ansichten. Es sind also die einzigen Menschen, mit denen sie befreundet sein könnten. Dann haben sie eine ganz hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie diese Einstellungen übernehmen.
Weil man von den anderen Jugendlichen gemocht werden will?
Genau, weil wir in einer Gruppe aufgehen wollen und dabei diese Vorurteile übernehmen. Wichtig ist aber, es gibt Bremsen, die gegen die Verfestigung von Vorurteilen schützen. An diese Bremsen muss man sich immer erinnern, weil wir alle sehr anfällig sind, andere abzuwerten, um uns selbst aufzuwerten.
Was sind diese Bremsen?
Was uns zum einen vor Vorurteilen schützt, sind enge Kontakte zu Menschen, gegenüber denen andere Vorurteile haben, also zum Beispiel interkulturelle Freundschaften. Eine andere wichtige Bremse ist Bildung. Wir finden grundsätzlich und immer, dass Menschen mit einer höheren Bildung weniger Vorurteile haben. Nicht dann, wenn es um subtile Vorurteile geht, die haben auch gebildete Menschen. Aber Bildung schützt durch die Perspektivübernahme, die damit verbunden ist. Wir lernen, dass jemand mit einer anderen Hautfarbe sich verletzt fühlen könnte, wenn wir zum Beispiel auf eine bestimmte Weise über eine „Negerpuppe“ reden. Wichtig ist auch Menschen darüber aufzuklären, wie Vorurteile funktionieren. Wenn Menschen wissen, dass Vorurteile benutzt werden, um Interessen durchzusetzen oder um sich gegenüber anderen aufzuwerten, dann schützt sie das vor der leichtfertigen Äußerungen.
Text: juliane-frisse - Illustration: torben-schnieber / Foto: ag.dpa