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„Ich kämpfe jeden Tag gegen den Spießer in mir“

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Im Interview zum letzten Album hast du gesagt, du hättest deshalb keine Rap-Platte gemacht, weil du dich wieder in einer Szene hättest positionieren müssen, mit der du schon lange nichts mehr zu tun hast. Das ist nun offensichtlich anders. Wer hat sich verändert: Du oder die Szene?
Verändern tut man sich ja immer. Damals war Rap einfach nicht das Format, mit dem ich das hätte erzählen können, was mir auf der Seele gebrannt hat. Beim Rap nennt man die Dinge in der Regel beim Namen, und beim letzten Album wollte ich nicht konkret werden. Aber es stimmt schon: Die HipHop-Szene ist heute eine andere als noch vor drei Jahren. Und ich fühle mich wieder sehr wohl darin.  

Wie stehst du zu diesem merkwürdigen Begriff des „Adult-Rap“. Gibt es so etwas überhaupt? Vielleicht nicht unbedingt als eigenständiges Genre, aber natürlich verändern sich mit zunehmendem Alter auch die Inhalte. Jay-Z hat kürzlich in einem Interview gesagt, dass wir jetzt die erste Generation von 40-Plus-Rappern sind; ein Umstand, der in vielen anderen Musikrichtungen vollkommen normal ist. Und das merkt man insofern, als das auf unseren Platten sicherlich unbewusst auch über Dinge gesprochen wird, die unserem „Erwachsenen-Leben“ entspringen. Dadurch ergibt sich für HipHop eine neue Perspektive.  

Als Jugendlicher ist der künstlerische Ausdruck häufig eine Form konstruktiver Rebellion. Verspürst du heute noch den Drang, dich gegen bestimmte Dinge aufzulehnen?
Wenn ein Beat mir das über seine Kraft und Energie vorgibt, dann nehme ich das gerne mit. Dann kommt zum Beispiel so ein Stück heraus wie „Einstürzen Neubauen“ mit Samy Deluxe. Weil wir darin auch Ton Steine Scherben zitieren, halten einige Leute den Song für wahnsinnig politisch, aber das ist er gar nicht. Der Track ist einfach ein Zerstörer. In der Musik empfinde ich mich daher nach wie vor als rebellisch. Aber ich kann nicht sagen, dass mein Leben wahnsinnig rebellisch wäre. 

http://vimeo.com/46437624

Viele Künstler versuchen, sich mit ihrer Musik gegen Spießigkeit abzugrenzen. Ist das bei dir auch so?
Ich bestreite auf jeden Fall einen tagtäglichen Kampf gegen den Spießer in mir selbst.  

Du stellst bei dir also eine Zunahme von Spießigkeit fest?
Ich bin ein ordnungsliebender Mensch und merke zumindest, dass ich mehr Struktur brauche als früher. Zu viel Chaos um mich herum zehrt mich auf. Ist das schon spießig? 

Ich weiß nicht. Wie empfindest du das?
Ich habe eine Zeit lang neben einem besetzen Haus gewohnt und fand das eigentlich ganz gut – auch wenn es einem natürlich manchmal auf die Nerven geht, wenn da 17 Proberäume im Keller sind und sich alles zu einem einzigen Soundklumpen vermischt. Aber ich mag an Berlin, dass hier immer etwas los ist. Das ist ein bisschen wie in New York: The city never sleeps. Das empfinde ich als sehr inspirierend, selbst wenn ich an diesen ganzen Sachen relativ wenig teilnehme. Jeder Tourist kennt Berlin bei Nacht wahrscheinlich besser als ich. Aber allein die Vorstellung davon, dass um mich herum permanent etwas passiert, finde ich spannend. Und dafür nehme ich auch gerne in kauf, dass mal irgendwo ein Techno-Beat wummert.  

Das klingt für meine Begriffe nicht sonderlich spießig.
Ich würde vielleicht zwischen Spießigkeit und Gemütlichkeit unterscheiden. Letzteres weiß man im Alter auf jeden Fall mehr zu schätzen. Früher war ich häufiger bis 6 Uhr morgens auf irgendwelchen Partys. Aber ich habe mittlerweile gelernt, dass es zwischen 3 und 6 Uhr nicht unbedingt geiler wird.  

Christian Ulmen hat die Unfähigkeit, über den eigenen Tellerrand hinausblicken zu können, mal als Spießigkeit definiert. Siehst du das ähnlich?
Da ist auf jeden Fall etwas dran. Ein Merkmal des Spießers ist schließlich Intoleranz. Und als Schwabe kenne ich das natürlich. In Stuttgart gibt es wahnsinnig viele schmallippige Menschen, die ständig schlecht gelaunt sind und zu wissen glauben, wie es die Anderen nicht machen sollen. Viele der künstlerischen Sachen in Stuttgart sind auch aus der Ablehnung gegen dieses Spießertum entstanden. Wir wollten natürlich für etwas anderes stehen.  

Im Spiegel wurde mal gefragt, ob man sich überhaupt dauerhaft dagegen wehren kann zu verspießen. Weil zwar alle sagen, dass sie nie so werden wollen wie ihre Eltern, aber dass der Unterschied bei vielen dann doch nur darin besteht, dass sie sich die stylishere Schrankwand kaufen. Ich komme aus einem Architektenhaushalt, insofern wird es schwierig, meine Eltern innenarchitektonisch zu übertrumpfen. Aber ich schätze meine Eltern sehr, und bewundere sie auch in vielen Punkten: Ihre Bescheidenheit zum Beispiel. Es geht ihnen nie um Außenwirkung. Die machen die Dinge immer für sich selbst, weil sie sie gut finden. Und sie sind kaum materiell. Das ist unserer konsumorientierten Generation ganz anders.  

Merkst du denn, dass du mittlerweile bestimmte Eigenarten deiner Eltern annimmst? Ja, absolut. Bei uns zuhause gab es immer viel Besuch, und irgendwann hat mein Vater damit angefangen, sich zurückzuziehen, wenn ihm das zu viel wurde. Und das ist eine Tendenz, die ich bei mir mittlerweile auch zunehmend feststelle (lacht).  

Wie alt sind denn deine Eltern?
Mein Vater wird dieses Jahr 70, aber ich empfinde meine Eltern noch als extrem jung. Die machen immer noch total viel, sind wahnsinnig interessiert, gehen ins Kino oder ins Theater. Ich merke, dass sie das jung hält. Die rosten nicht ein, weil sie in Bewegung bleiben, holen sich permanent neue Impulse. Und ich glaube, das ist der Schlüssel „ewiger Jugend“. 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


 „Hallo Welt!“ von Max Herre erscheint am 24. August bei Nesola/Universal.

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