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"Ich hatte richtig Schiss"
jetzt.de: Die Gruppe "Dies Irae" ist bekannt für ihre Adbusting-Aktionen. Bisher haben die sich eher gegen die Werbebranche, Großkonzerne und Global Player wie H&M gerichtet. Warum jetzt Freital?
Anonymer Künstler: Mich hat die Pegida-Bewegung ziemlich irritiert. Wahnsinn, dass es für solche Parolen so viel Zustimmung gibt. Als dann diese sogenannten „besorgten Bürger“ in Freital vor das Flüchtlingsheim gingen, blieb mir echt die Luft weg. Ich wollte da ansetzen, wo dieses ganze gefährliche Halbwissen und die Vorurteile gegen Flüchtlinge herkommen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Knapp einen Tag hingen die 21 Plakate von Dies Irae in Freital
Diese „besorgten Bürger“ gibt es ja schon länger, war deine Kampagne von langer Hand geplant oder eher spontan?
Da ich allein war, musste ich mich schon vorbereiten. Ich hab vorher eine kleine Erkundungstour durch den Ort gemacht und mir die Werbeanlagen angeschaut. In einer Großstadt wie Hamburg ist so eine Aktion witzlos, da geht die Botschaft unter. In einer Kleinstadt wie Freital kann man aber sicher sein, dass 21 Plakate gesehen werden, wenn man sie gut platziert.
Die Gefahr besteht aber auch, dass du gesehen wirst.
Stimmt. Ich hatte noch nie bei einer Aktion so viel Herzklopfen wie da in Freital. Da ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass hinter jeder Gardine grundsätzlich jemand sein könnte, der die Aktion gewaltsam beenden möchte. Ich hatte richtig Schiss. Deshalb bin ich jetzt echt froh, dass es so gut gelaufen ist.
Steht niemand für dich Schmiere?
Diese Aktion habe ich alleine gemacht. Eine große Gruppe Menschen könnte auch zusätzlich für Aufmerksamkeit sorgen. Aber es ist wirklich total simpel. Schaut euch einfach mal fünf Minuten diese Werbekästen an. Jeder, der ordentliches Fahrradwerkzeug zu Hause hat, kann das in sehr kurzer Zeit nachmachen.
Die Sprüche waren wirklich kreativ. Wie viel Herzblut steckt in der Aktion?
Auf jeden Fall steckt da sehr viel Mühe drin. Alle Plakate sind von Hand gebastelt, das ist am billigsten, aber auch ein Haufen Arbeit. Leider habe ich keinen entsprechenden Drucker, sonst könnte ich spontaner handeln. Pro Plakat brauche ich eineinhalb Stunden. Insgesamt war ich eine Woche mit Malen beschäftigt.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Die Botschaften sollen Gleichgesinnten Mut machen
Auf einem Plakat steht „der Fuchs ist schlau und stellt sich dumm, der Nazi macht es andersrum“. Was macht ein Nazi, der das liest?
Natürlich ist nicht ausgeschlossen, dass damit der Hass noch mal geschürt wird. Ich ziele aber eher auf die stille Freude derer, die das Gleiche denken und plötzlich Anlass haben, das laut zu sagen.
Also glaubst du, dass der Durchschnitts-Freitaler eigentlich kein Nazi ist?
Ja. Ich glaube, dass es eine große Gruppe an Freitalern gibt, die mit den Nazi-Parolen eigentlich nicht mitgehen. Wenn diese Leute meine Plakate sehen, werden sie vielleicht auch ermutigt, den Mund aufzumachen. Ich wollte einerseits meine Solidarität mit den Flüchtlingen ausdrücken, aber auch mit denen, die vor Ort in der Flüchtlingsarbeit aktiv sind. Ich will denen zeigen, dass unsere Solidarität stärker ist als Dummheit und Hass. Ich bin außerdem der Meinung, dass Werbeflächen nicht in den öffentlichen Raum gehören und deshalb ist es auch das Recht jedes Bürgers, sich diesen Raum anzueignen und nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten.