Hurensohn - warum wird immer über die Mamas beleidigt?
Hurensohn - warum wird immer über die Mamas beleidigt?
Wahrscheinlich werden wir nie erfahren, was Marco Materazzi Zinédine Zidane in der 110. Minute des WM-Finales gesagt hat. Die Fifa hat das Verfahren gegen die beiden Spieler beendet - und beide gesperrt.
Sollte der italienische Verteidiger Zidane tatsächlich als Hurensohn beschimpft haben, dann hat er eine Form der Provokation gewählt, die in vielen Kulturen als besonders verletzend empfunden wird. Ein Gespräch mit der Psychoanalytikerin und Erziehungswissenschafterin Dr. Martina Hoanzl (38) von der Pädagogischen Hochschule in Reutlingen.
katarina-bader
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Im Russischen ist der so genannte „Mutterfluch“ der schlimmste aller Flüche, im Spanischen beschimpft man sich als „hijo de puta“, im Deutschen sagt man „Hurensohn“ – Warum gibt es in so vielen Sprachen Schimpfworte, die mit Müttern zu tun haben?
Die Mutter ist der personifizierte Ursprung. Greift man die Mutter an, ist das ein Angriff auf die Basis der Existenz. Bei „Hurensohn“ kommt noch ein anderer Faktor hinzu: Da wird nicht nur die Integrität der Mutter in Frage gestellt, sondern zugleich auch die Identität des Vaters. Der Vater eines „Hurensohns“ könnte jeder sein. Ein doppelter Angriff also. Interessant ist auch, dass dieses Schimpfwort eigentlich nur für Männer verwendet wird – oder haben Sie schon mal was von einer „Hurentochter“ gehört?
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Illustration: Julia Schubert
Das Ergebnis: Nach der Auseinandersetzung mit Materazzi wird Zidane des Feldes verwiesen, Foto: dpa
Nein, woran liegt das?
Das hat auch mit dem zu tun, was Freud als ödipale Situation beschrieben hat: Der kleine Junge empfindet seiner Mutter gegenüber ein kindliches Begehren. Sie ist die erste bedeutsame Frau in seinem Leben. Dieses Begehren muss jedoch abgewehrt und verdrängt werden. Frei nach dem Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf! Die Mutter als „Hure“ zu beschimpfen, ist wie „Öl ins Feuer“ gießen. Dass dann derjenige, der den latenten Wunsch ausgesprochen hat, angegriffen wird, ist letztlich eine Ersatzhandlung.
Dazu kommen kulturelle Faktoren: In manchen Kulturen existiert ein völlig überhöhtes Mutterbild – etwa im Katholischen durch die Idee der jungfräulichen Mutter Gottes. Wenn die Überformung des Mütterlichen so stark ist, dann gibt es oft nur noch Extreme: Heilige und Hure. Solche Entweder-Oder-Urteile über Frauen scheint es auch im Islam und in anderen Kulturen zu geben.
Verstehen sie Zidanes Reaktion auf die Provokation?
Ich arbeite auch mit verhaltensauffälligen Jugendlichen – da führen verbale Provokationen dieser Art oft zu Gewalt. Aber eine so halbherzige und hochgradig ambivalente Entschuldigung, wie die von Zidane, würde kein Lehrer durchgehen lassen. Jedem Schüler – auch Sonderschüler - verlangen wir mehr ab, als diesem hochbezahlten Fußballprofi.
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