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"Heute würde ich was anderes machen."
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Sie wurden mal als „letzte Überlebende der 1970er-Punk-Szene“ bezeichnet. Wie viel Punk steckt heute noch in Ihnen?
Eine ganze Menge – und das überrascht mich selbst. Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich ein sehr sturer Mensch bin.
Rock’n’Roll, Punk, New Wave – das sind alles Jugendkulturen. Inwiefern fühlen Sie sich diesen Jugendkulturen noch zugehörig?
Als wir 20 waren, gab es noch keine 60-jährigen, die Rock-Musik gemacht haben. Heute ist das doch vollkommen normal. Die Musik ist genauso erwachsen geworden wie seine Protagonisten.
(klinsmaus) Dann sind sie mit 30 Jahren nicht in eine Identitätskrise geraten, weil sie das Gefühl hatten, nicht mehr Teil einer Jugendbewegung sein zu dürfen?
Nein, überhaupt nicht. Ich sehe überhaupt nicht ein, diesen Teil meiner Persönlichkeit aufzugeben, bloß weil ich ein paar mehr Geburtstage gefeiert habe als andere. Meine natürlichen Instinkte lassen mich immer noch kämpfen und aufstehen für das, was mir am Herzen liegt.
Was für Kämpfe meinen Sie?
Die sind nur schwer zu benennen. Die haben vor allem mit der Attitüde zu tun, auf seine eigene Meinung zu bestehen. Ich habe eine Geisteshaltung, die ich mir von nichts und niemandem nehmen lasse. Weder von Freunden, noch von Kritikern oder vom Gesetz. Ich bin in der Lage, meinen Kopf zu gebrauchen, und zwar zum Denken. Das habe ich mir über die Jahre erarbeitet und erhalten.
(mary_and_max) Würden Sie als Frontfrau von Blondie wiedergeboren werden wollen?
Schwer zu sagen. Damals war unsere Musik Teil einer Gegenkultur, der ich mich sehr verbunden gefühlt habe. Alles war aufregend, neu und verboten – das ist es mittlerweile nicht mehr. Heute ist Rock’n’Roll Teil des Mainstreams. Insofern würde ich heute vielleicht auch etwas anderes machen. Irgendetwas, das noch ein bisschen Gefahr in sich birgt. Street Art zum Beispiel.
Sie selbst haben aber damals von Andy Warhol gelernt, dass es möglich ist, Kunst und Kommerz miteinander zu verbinden, ohne sich deshalb verbiegen zu müssen. Dafür haben Sie nicht nur Lob erhalten. Hat Ihnen die Kritik zugesetzt?
Nein, überhaupt nicht. Uns wurde ja vor allem vorgeworfen, dass Blondie am Reißbrett entworfen worden und es uns nur ums Geld gegangen wäre. Das ist aber Quatsch. Wir haben unsere musikalische Ausrichtung nie geplant und immer bloß das gemacht, wonach uns der Sinn stand.
Sie haben mal gesagt, dass Sie damals aus Ihrem Elternhaus in New Jersey ausgezogen seien und nach New York gegangen sind, weil Sie jemand Großes, gleichzeitig aber auch subversiv und cool werden wollten. Das ist Ihnen bereits vor 30 Jahren gelungen. Wie geht man damit um, wenn man sein Lebensziel schon so frühzeitig erreicht?
Ich bin einfach einem inneren Bedürfnis gefolgt. Ich wollte wahrgenommen und akzeptiert werden. Ich wollte mich ausdrücken, mich zeigen, mich etablieren. Ich wollte etwas erschaffen, auf das ich rückblickend stolz sein kann. Das war immer das, was mich angetrieben hat – und tut es auch heute noch.
Sie sind nicht von Ihren leiblichen Eltern großgezogen worden. Sind Sie auch deshalb nach New York gegangen, um herauszufinden, wer Sie eigentlich sind
Ja, das war ein wichtiger Faktor. Aber ich suche immer noch (lacht). Bisher gab es noch keinen Moment, an dem ich das Gefühl hatte, mich gefunden zu haben. Das ist ein Prozess, den man zu Lebzeiten nicht zu Ende bringen wird, wenngleich man sicherlich jeden Tag ein exakteres Bild davon bekommt, wer man eigentlich ist.
(onandoff) Wie haben Ihre Eltern Ihren damaligen Lifestyle inklusive Drogenabhängigkeit, Nacktaufnahmen und Ihrem offenen Umgang mit Sexualität aufgenommen?
Das ist sicherlich nichts, womit man seinen Eltern ein Lächeln aufs Gesicht zaubert. Meine Eltern sind trotz ihrer Konservativität jedoch auch in diesen Zeiten sehr liebevoll mit mir umgegangen. Aber sie hätten sich sicherlich gewünscht, dass ich ein paar Dinge anders gemacht hätte. Ich übrigens auch.
Auf die Frage, ob Sie im Laufe Ihrer Karriere Fehler gemacht haben, haben Sie mal geantwortet, es seien sogar mehrere tausend gewesen. Gibt es einen, den Sie ganz besonders bereuen?
Nein. Mein komplettes Leben war ein einziges Desaster, eine rigorose Anhäufung von Fehlern. Aus einigen haben sich im Nachhinein jedoch tolle Sachen entwickelt, sodass sie rückblickend eigentlich kaum noch als Fehler durchgehen. Letztendlich ist alles ok, wie es ist.
Sie waren eine der ersten Bands, die Musikvideos zu Ihren Songs produziert haben. Hätten Sie jemals gedacht, welchen Stellenwert dieses Medium einmal innehaben wird?
Um ehrlich zu sein: Ja. Für uns war das damals ein logischer Schritt, weil wir uns immer schon für Technologie und Fortschritt interessiert haben. Wir haben geahnt, dass das die Zukunft sein wird. Es ging aber auch gar nicht anders: Es gab eine immense Nachfrage nach unserer Musik in Europa. Da wir aber nicht überall auf der Welt zugleich sein konnten, mussten wir Videos drehen, die dann in Shows wie „Top Of The Pops“ in England oder dem „Musikladen“ in Deutschland ausgestrahlt wurden. Das waren allerdings noch reine Performance-Videos. Alles andere hat sich erst im Laufe der Jahre entwickelt.
(2differ) Wie beurteilen Sie die ästhetische Entwicklung der Musikvideos?
Das lässt sich nur schwer verallgemeinern. Es gibt heute wahnsinnig gute Videos, die toll gemacht und hervorragend ausgearbeitet sind. Andere wiederum sind zwar aufwändig produziert, aber trotzdem furchtbar langweilig. Bei einem guten Musikvideo müssen viele verschiedene Bedingungen gleichzeitig erfüllt werden. Das passiert aber leider viel zu selten. Mein derzeitiges Lieblingsvideo ist das zum Song „Party Rock Anthem“ von LMFAO. Darin wurde eine sehr einfache Idee wahnsinnig lustig umgesetzt.
(heron) Sie galten immer schon als Sex-Symbol. Wie lautet Ihre Definition von Sex-Appeal?
Sex-Appeal hat viel mit Selbstsicherheit zu tun. Und damit, auf andere Leute spannend und geheimnisvoll zu wirken. Mittlerweile sind Sex-Symbole aber rar geworden, was vor allem mit der zunehmenden Sexualisierung der Gesellschaft zu tun hat. Früher war die öffentliche Zurschaustellung von sexuellen Attributen verpönt und verboten, alles hat hinter verschlossenen Türen stattgefunden. Auch der Einfluss von Religion war viel stärker. Die auf allen Ebenen fortschreitende Sexualisierung macht einzelne Sex-Symbole, in die man seine geheimen Wünsche und Vorstellungen hineinprojezieren kann, heute nahezu überflüssig. Mittlerweile kann jeder ein Sex-Symbol sein.
(mary_and_max) Hat das auch einen Einfluss auf das Frau-Sein im Musikgeschäft?
Natürlich. Es gibt weniger Kontrolle. Frauen sind nun in der Lage, sich und ihre Sexualität frei auszudrücken, und das finde ich gut.
(flinkmark) Sie haben mit Blondie posthume musikalische Würdigungen an Leute wie Jeffrey Lee Pierce im Song "Under The Gun" und Joey Ramone mit "Hello Joe" gerichtet. Von welchem Künstler würden sie sich etwas Vergleichbares irgendwann einmal wünschen?
Schwer zu sagen, denn man weiß ja nicht, wann wir sterben und Andere noch leben werden. Vielleicht Bob Dylan. Allerdings nur, wenn er über hundert Jahre alt wird – denn ansonsten würde das ja bedeuten, dass wir bald sterben müssten.
(Charlotte94) Anfang der 80er Jahre sind Sie mal in der Muppet Show aufgetreten. War das so großartig, wie man es sich vorstellt?
Um ehrlich zu sein, haben wir das damals gar nicht so genossen, wie wir es heute tun. Ich habe eigentlich bloß mitgemacht, weil Dizzie Gillespie dort kurze Zeit vorher einen Gastauftritt hatte, der mich sehr beeindruckt hat, weil die komplette Show mit den dämlichen Figuren um ihn herumkonzipiert wurde. Ansonsten habe ich mich damals nicht sonderlich für die Muppets interessiert. Ich habe mich in einer sehr rebellischen Phase befunden, und die Muppets waren mir viel zu populär. Das war für mich eher abschreckend als reizvoll. Aber das ist ein tolles Beispiel für etwas, was ich damals als Fehler empfunden habe, heute aber eine tolle Erinnerung ist.
Ihr Song „Rapture“ war 1981 nicht nur der erste von einer weißen Frau gerappte Song, sondern auch das erste Rap-Stück, das es auf Platz 1 der amerikanischen Single-Charts geschafft hat. Woher kam dieser HipHop-Einfluss damals?
HipHop hat uns bereits fasziniert, als wir das erste Mal damit in Berührung gekommen sind. Das muss so um 1977 gewesen sein, als uns Fab 5 Freddie auf die ersten Rap-Konzerte mitgenommen hat. Die HipHop-Bewegung kam ja nahezu zur selben Zeit auf wie Punk. Beide waren sich in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich, dennoch gab es anfänglich überhaupt keine Verknüpfungspunkte zwischen beiden Genres. Es war toll, die Anfänge dieser beiden kraftvollen Kulturen live miterleben zu dürfen.
Sind Sie stolz darauf, durch diesen Song eine musikalische Brücke zwischen Schwarzen und Weißen gebaut zu haben?
Ja, natürlich. Zumal ein Großteil der Musik, die von Weißen präsentiert wird, auf dem basiert, was einmal von schwarzen Musikern erschaffen wurde. Ich war immer stolz darauf, dass wir stets vorwärts gedacht haben und es uns gelungen ist, verschiedene Stile miteinander zu verbinden – und zwar zu einer Zeit, als das noch keineswegs üblich war; dass wir ein Teil dieses Veränderungsprozesses waren, der neue Ausdrucksmöglichkeiten ermöglicht hat.
Sind Sie denn auch dafür kritisiert worden, Teile der afroamerikanischen Untergrund-Kultur in den Mainstream gebracht zu haben?
Nein. Ich bin bloß gelegentlich dafür kritisiert worden, ein schlechter Rapper zu sein. Und das geht durchaus in Ordnung, wenn man ehrlich ist (lacht).