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"Hamburg, du Mörder!"
jetzt.de: Lüam, euer neues Album klingt nach Hamburg, handelt von Hamburg, „Vis A Vis“ ist einfach sehr Hamburg – aber glücklich ist es nicht. Weil ihr selbst in Hamburg nicht mehr glücklich seid?
Mit uns und der Stadt, in der wir wohnen, verhält es sich ambivalent: Einerseits leben wir hier gerne und fühlen uns sehr wohl. Andererseits gibt es Dinge, die wir an Hamburg nicht so gut finden, und die zu Befindlichkeiten führen, die sich dann auch in den Songtexten widerspiegeln. Zum Beispiel, dass die Mietpreise in den letzten Jahren unfassbar hoch gestiegen sind. Mit den richtigen Leuten an der richtigen Stelle zu wohnen ist kaum noch möglich, wenn man nicht gerade sehr viel Geld hat. Überhaupt: In dieser Stadt sind einige Dinge nur noch mit Geld möglich.
Was stört auch sonst noch an Hamburg?
Hamburg lässt ja immer so eine gewisse Weltoffenheit raushängen, allein durch den Hafen bietet sich das ja auch an. Aber wenn es dann mal darum geht, den Flüchtlingen, die aus Lampedusa hier her kommen, zu helfen, halten sich die Politiker lieber an Paragrafen fest. Das hat mich persönlich zuletzt sehr betroffen gemacht und geschockt. Menschlich war das eine Katastrophe. Ich meine: Die Stadt Hamburg ist wirklich sehr reich. Aber Geld für Notunterkünfte gibt es trotzdem nicht.
Liegt wohl an der „Bequemlichkeit“ der Hamburger, die ihr in euren Songs immer wieder bemängelt: Die Leute fühlen sich von allem, was irgendwie fremd erscheint, gestört. Woher glaubst du kommt die?
Ich kann mir nur vorstellen, dass es eine große Angst bei vielen Leuten gibt, etwas zu verlieren, was man sich irgendwie verdient hat. Eine Angst, etwas aus der Hand geben zu müssen und vielleicht die Kontrolle darüber zu verlieren. In Hamburg geht es oft darum, wie man einen bestehenden Reichtum erhalten kann. Deshalb gucken viele leider erstmal auf Zahlen anstatt auf Menschen.
Wird sich das irgendwann irgendwie ändern?
Ich glaube ja grundsätzlich an das Gute in dieser Stadt und behaupt mal, dass jeder, der sich wirklich mit dem Schicksal von Flüchtlingen auseinandersetzt, auch dafür sprechen wird, dass etwas für sie getan werden muss.
In einem eurer neuen Songs heißt es, „eine Flut aus Geld und Gift“ reiße alles weg, was euch in Hamburg wichtig ist. Eine Anspielung wohl nicht nur auf die verloren gegangen Menschlichkeit, sondern auch auf Kulturstätten wie die Rote Flora. Seht ihr euch als Hamburger Künstler auch ein Stückweit verpflichtet, solche Einrichtungen zu retten?
Ja, aber dieses Pflichtbewusstsein entsteht nicht nur aus unserem Künstlerdasein heraus, sondern passiert auch auf einer persönlichen Ebene: Weil wir eben selbst gerne in bestimmte Clubs und auf bestimmte Konzerte gehen, bei denen es nicht unbedingt ums Geld geht, sondern darum, was einen berührt. Dass wir selbst Künstler sind, ermöglicht uns nur einen zusätzlichen Blickwinkel auf das Ganze und macht uns noch deutlicher, warum bestimmte Einrichtungen für viele Leute und natürlich auch für uns echt wichtig sind. Die Rote Flora, also ein selbstverwaltetes Kulturzentrum, ist ein gutes Beispiel, weil dort Raum geboten wird für Dinge, die nicht unbedingt wirtschaftlich rentabel sind, dafür aber künstlerisch sehr wertvoll.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Habt ihr mit der Band an Aktionen für eine Erhaltung teilgenommen?
Wir waren natürlich alle auf den Demos und Kundgebungen, aber nicht nur als Band, sondern auch als Einzelpersonen. Wir haben ja auch alle unterschiedliche Beweggründe, warum wir bestimmte Aktionen unterstützen. Den einen geht es ganz speziell um die Rote Flora, weil sie persönlich sehr daran hängen. Andere wollen ein grundsätzliches Zeichen setzen, was Kultur in der Stadt angeht.
Irre Mieten, bedrohte Kultur, menschliche Abgründe – schon mal an einen Wegzug aus Hamburg gedacht?
Den Gedanken gibt’s. Ich wohne neben Hamburg zum Beispiel auch in Kiel, wo ich sehr gut zur Ruhe kommen kann. Ganz aus Hamburg weggehen würde ich jetzt aber nicht. Vielleicht ist es am Ende die Angst, bestimmte Sachen wirklich aufzugeben, die mich vom Wegziehen aus hindern. Wir haben in Hamburg einen eigenen Proberaum, und unser Gitarrist nimmt selbst Hamburger Bands auf. Wir haben außerdem alle noch kleine Nebenjobs in Hamburg. Jeder hat so seine eigene, feste Struktur in dieser Stadt aufgebaut, die den Gedanken an was anderes dann irgendwie doch nicht so ganz zulässt. Außerdem: Wir wissen ja gar nicht, ob es irgendwo anders besser ist.
Wo könnte es denn gut sein?
Vielleicht in Städten wie Karlsruhe, Freiburg oder Erfurt. Mich persönlich reizen ja Städte, auf denen gar kein so großer Fokus liegt.
Keine Lust auf Berlin?
Wir sind mit der Band ziemlich oft in Berlin, und ich habe das Gefühl, dass es dort in zwei, drei Jahren sogar noch schlimmer sein könnte, als es jetzt in Hamburg ist.
„Hamburg du Mörder“, schreist du tatsächlich einmal auf dem Album. Die Wut hört man dir an, und die steckt auch in den Texten. Eure Musik hingegen entfernt sich immer mehr vom Punk, mit dem ihr einst begonnen habt. Hat Hamburg den womöglich auch auf dem Gewissen?
(lacht) Kann ich gar nicht so genau sagen, weil man als Musiker nicht so viel darüber nachdenkt, ob das, was man da gerade macht, jetzt ein Punklied wird oder ein Popsong. Wir merken aber schon auch, dass wir immer harmonischer und vielleicht auch poppiger werden.
Woran könnte das liegen?
Wir spielen relativ viele Konzerte, schon immer. Es passiert oft, dass wir am Wochenende ein Festival gespielt haben, das wahnsinnig laut und doll war, und danach gehen wir in den Proberaum oder ins Studio, und es kommt ganz automatisch zu einer Art Gegenbewegung. Vielleicht ist das der Grund.
„Vis A Vis“ von Findus erscheint am 14. März auf Delikatess Tonträger/Broken Silence.
Text: erik-brandt-hoege - Bild: Joachim Zunke