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Gymnasiasten im Stress: 38 Stunden in der Woche plus Hausaufgaben

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Die Einführung des G8 ist für alle deutschen Gymnasien beschlossene Sache, allerdings dauert die Umstellung in den Bundesländern unterschiedlich lange. In Bayern und Niedersachsen soll sie 2011 abgeschlossen sein. Das bedeutet, dass die derzeitigen 11. Klassen in diesen beiden Ländern der erste G8-Jahrgang sind, der in die Oberstufe eingetreten ist. Jetzt warnte der Bayerische Lehrerinnen- und Lehrerverband (BLLV), viele Gymnasiasten seien bereits wenige Wochen nach Schulbeginn „erschöpft, müde und ausgebrannt.“ Ein Interview mit Roland Kirschner, Mathematiklehrer und Schulpsychologe am Karl-Ritter-von-Frisch-Gymnasium in Moosburg und Leiter der Fachgruppe Gymnasium des BLLV.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

jetzt.de: Herr Kirschner, der BLLV spricht von einer massiven Burnout-Gefährdung der derzeitigen Gymnasiasten, vor allem der 11. Klassen. Wie kommt es, dass gerade dieser Jahrgang so besonders belastet ist? Roland Kirschner: Es gibt eine Regelung, die besagt, dass an allen deutschen Gymnasien von der 5. Klasse bis zum Abitur 265 Wochenstunden unterrichtet werden müssen, damit die Länder ihre jeweiligen Abiturprüfungen gegenseitig anerkennen können. Durch die Einführung des G8 muss diese Stundenanzahl jetzt in acht Jahren untergebracht werden. In den letzten beiden Jahren kommen die Q11- bzw. Q12-Schüler im Schnitt auf mindestens 33 Stunden pro Halbjahr. Aber natürlich versuchen die Schüler, ihre Kurse so zu legen, dass sie im letzten Halbjahr – wenn die Abiturprüfungen anstehen – weniger Stunden haben. Manche Kurse werden auch nur in den ersten drei Halbjahren angeboten. Dadurch kommen manche in den beiden Q11-Halbjahren auf bis zu 38 Wochenstunden. Was verbirgt sich hinter dem Begriff Q11 beziehungsweise Q12? Das Q steht für Qualifikationsphase, Q11 und Q12 ist also das, was früher die Kollegstufe war: die letzten beiden Jahre, während der die Leistungen bereits ins Abiturzeugnis mit eingehen. Das Kurssystem, das es in der Kollegstufe gegeben hat und das sich meiner Meinung nach durchaus bewährt hat, gibt es ja in dem Sinn nicht mehr. Anders ist jetzt, dass zum Beispiel ein Seminar zur Vorbereitung auf die Universität und ein Projektseminar zur Studien- und Berufsorientierung dazugekommen sind. Insbesondere die Stärkung der Berufs- und Studienorientierung halte ich für sehr sinnvoll. Was die übrigen Fächer anbelangt, sind die Wahlmöglichkeiten in der Qualifikationsphase eingeschränkter. Und bedauerlicherweise müssen jetzt alle in Deutsch, einer Fremdsprache und Mathematik Abitur machen. Bedauerlicherweise? Das sagen Sie als Mathematiklehrer? Ja. Warum sollte man jemanden zwingen, dessen Begabungen woanders liegen, in Mathematik Abitur zu machen? Er wird doch in diesem Fach nicht dadurch besser, dass er am Schluss eine Prüfung machen muss. Da geht man ja von einem veralteten Lernbegriff aus. Wie muss man sich eine 38-Stunden-Woche eines Schüler vorstellen? Die Schüler, die ich habe, haben schon mal bis kurz nach fünf Unterricht, sind dann noch eine gute halbe Stunde mit dem Bus unterwegs. Freitag findet wenig Nachmittagsunterricht statt, das heißt man kommt von Montag bis Donnerstag auf etwa acht Stunden Unterricht, der an drei, wenn nicht an vier Tagen auch auf den Nachmittag fällt. Am Vormittag gibt es wenig Entlastung durch Freistunden, wobei an den meisten Schulen für diese Zeit ohnehin angemessene Rückzugsmöglichkeiten fehlen. Abends muss man, wenn es gewissenhaft gemacht wird, auf jeden Fall eineinhalb Stunden für Hausaufgaben und Lernen rechnen. Die Frage ist, ob das machbar ist, wenn man erst gegen 18 Uhr nach Hause gekommen ist. Ich glaube eigentlich, dass das nicht geht. Außerschulisches Engagement – zum Beispiel im Sportverein – ist beinahe unmöglich.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Roland Kirschner Kann man für die Schüler etwas tun, die jetzt in der 11. Klasse sind? Für die jetzigen 11. Klassen lässt sich wahrscheinlich nichts mehr ändern. Mittel- und langfristig sehe ich die Möglichkeit einer Umwandlung der Gymnasien in echte Ganztagsschulen. Da wechseln sich dann anstrengende Phasen mit weniger anstrengenden, also Lern-, Freizeit und Übungsphasen ab. Natürlich sind die Schüler dann täglich bis 16.30 Uhr in der Schule, aber dann ist das nicht so wie jetzt, dass man in den Freistunden rumhängt oder noch schnell ein Referat für die nächste Stunde vorbereitet.

Text: claudia-dambacher - Fotos: ap, privat

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