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Grown Man Rap

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Als Jugendlicher sucht man sich häufig Vorbilder, an denen man sich in seiner „Mannwerdung“ orientiert. Welche männlichen Vorbilder hattest du?
Als ich mit zwölf angefangen habe, mich für Rap zu interessieren, waren das vor allem Gruppen wie Public Enemy und Run DMC. Kurz darauf kamen aber bereits deutsche Acts aus der HipHop-Szene dazu, wie die Beginner, Freundeskreis und Afrob. Die waren für mich Freunde und Vorbilder zugleich.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Du bist ohne Vater aufgewachsen, oder?
Ja. Ich hatte zwar einen Stiefvater, aber der hat nie diese emotionale Vaterrolle übernommen. Stattdessen habe ich von meinen älteren Freunden viel aufgesaugt – die waren mein Vaterersatz. Ansonsten gab es keine prägenden Männer in meinem Leben, die den Anspruch hatten, mir etwas mit auf den Weg zu geben. Zumindest nicht in der Form, wie ich das heute bei meinem Sohn versuche, dem ich Vater und Freund gleichermaßen sein möchte.  

Hat dir eine solche Vaterfigur damals gefehlt?
Natürlich. Aber in meinem gesamten Umfeld gab es keine Bilderbuchväter, wie man sie aus Hollywood-Filmen kennt. Auch meine Freunde hatten entweder Väter, zu denen das Verhältnis eher distanziert war, oder deren Väter überhaupt nicht da waren – wie bei mir. Das war wohl auch der Grund dafür, warum ich in der Schulzeit so viel Scheiße gebaut habe und von der Schule geflogen bin.  

Was war der Grund für den Rauswurf?
Ich bin nach dem Verlassen des Schulgeländes beim Klauen von Zigaretten erwischt worden und bekam einen Dreifachverweis.  

Was ist danach passiert?
Meine Mutter hat mich ein halbes Jahr nach England geschickt, und das war gut. Als ich zurückkam, bin ich an eine andere Schule gekommen und hatte dort eine Lehrerin, die die furchteinflößendste Person war, der ich je begegnet bin. Die mir gleich vom ersten Augenblick an klar gemacht, dass ich es mit ihr nicht aufnehmen kann. Also habe ich mich zusammengerissen – und letztlich einen richtig guten Realschulabschluss gemacht.  

http://www.youtube.com/watch?v=eCROj2zKPnY

Wann bist du zum ersten Mal mit deiner eigenen Vorbildfunktion konfrontiert worden?
Da gab es keinen konkreten Moment. Aber auch wenn ich in meinen Texten immer auf Welle gemacht habe, so habe ich abseits der Bühne immer versucht, mich allen Menschen gegenüber cool zu verhalten.  

In dem Stück „Feind Bild“ hast du vor ein paar Jahren mal gerappt: „Ich hab’ Leute angelogen, Freundinnen betrogen/Wegen ‚Grüne Brille’ ist halb Deutschland heute noch auf Drogen.“
Der Song „Grüne Brille“ wurde im Jahr 2000 veröffentlicht, aber die Auswirkungen des Stücks sind mir erst später bewusst geworden. Damals haben mir ein paar Kids erzählt, dass sie aufgrund dieses Songs mit dem Kiffen angefangen haben. Daraufhin habe ich den Track einige Jahre nicht mehr live gespielt. Aber als dann 2004 die Aggro-Ära begann und die Leute anfingen, über Waffen, Koks und Nutten zu rappen, war „Grüne Brille“ im Vergleich dazu pillepalle.  

Dein letztes Album hast du 2012 unter dem Pseudonym Herr Sorge veröffentlicht, der schwarz lackierte Fingernägel getragen und sich geschminkt hat – also eher weibliche Attribute, wofür du einigen Spott einstecken musstest. Willst du dich mit dem neuen Album von diesem Herr-Sorge-Alter-Ego abgrenzen?
Nein. Ich habe einen ganz männlichen Fick darauf gegeben, ob mich die Leute aufgrund dieses Outfits für einen Grufti oder für schwul halten. Bei den Ladys war Herr Sorge jedenfalls immer wahnsinnig begehrt.  

Die Frage ist bloß, warum: weil er so unglaublich männlich war oder weil er sich mit Schminke auskannte?
(lacht) Frauen mögen ja nicht nur extrem männliche Typen, sondern auch Männer, die sich trauen, ihre weibliche Seite zu zeigen – indem sie emotional sind oder ein Gespür für Mode besitzen. Schau mich an, ich trage fast nur schwarz. Wenn man mich so im Auto sehen würde, könnte man mich für einen Bankräuber halten. Aber dazu trage ich die hier (zeigt auf seine Hello-Kitty-Socken). Das entspricht vielleicht nicht der Klischee-Männlichkeit, aber sich das zu trauen, ist wiederum sehr männlich.  

Als Mann setzt man sich mit dem gesellschaftlichen Bild von Männlichkeit vor allem in der Pubertät auseinander. Du bist 36 und damit doppelt so alt – warum war dir dieses Thema dennoch ein Anliegen?
Als ich 18 war, ging es mir lediglich darum, mich als Künstler zu definieren – nicht als Mann. Meine Jungs und ich, wir haben damals alle unser jugendliches HipHop-Leben gelebt. Ich bin dann als erster von uns Vater geworden und habe dadurch gemerkt, dass es neben der Musik noch etwas anderes gibt.  

Hattest du den Eindruck, dass du noch etwas nachzuholen hattest, was die Auseinandersetzung mit dem Mann-Sein betrifft?
Nein. Der Titel kam mir bei der Arbeit am Album irgendwann als Schlagwort in den Sinn. Und als ich gemerkt habe, dass ich auch noch seit 18 Jahren auf der Bühne stehe und damit als Rapper zum Mann geworden bin, fand ich das spannend.  

Die Definition von „Männlich“ ist sehr komplex und relativ, wie du in „Mann muss tun“ betonst.
Richtig, in dem Song sage ich ja auch: „Leider gibt es mehr Al Bundys als Ghandis/Wer ist der bessere Mann?/Das kommt darauf an, wie du Mann siehst“. Und die Unschärfe dieses Begriffes zieht sich durch sämtliche Bereiche. Gerade im Rap ist das Verständnis dessen, was als männlich angesehen wird, sehr Testosteron-behaftet – und ich bin cool damit. Aber wenn ich meine Platte „Männlich“ nenne, dann ist auch klar, dass die nur wenig mit dem typischen Testosteron-Rap zu tun haben wird. Mir ging es mit dem Album vor allem darum, das Thema zur Debatte zu stellen.  

Wie stellst du dir so eine Debatte vor, wenn ein Song auf deinem neuen Album „Penis“ heißt?
Das Stück habe ich zusammen mit Flo Mega aufgenommen, der im Refrain singt: „Warum sieht das Herz nicht weiter als das Auge? Kein Schwanz der Welt ist härter als Liebe und Vertrauen“ – und das sind doch geile Statements zum Thema „Männlichkeit“! Ich kenne viele Künstler und Leute aus dem Showbiz, die sehr leicht in Kontakt mit dem anderen Geschlecht kommen und entscheiden müssen, inwiefern sie das ausnutzen. Der Refrain bringt diesen Umstand auf den Punkt.  

Die gesellschaftliche Definition dessen, was als männlich angesehen wird, hat sich im Verlauf der vergangenen Dekaden stark gewandelt.
Eben. Und Schwulsein ist auch männlich. Oder sich mit Kosmetik auseinanderzusetzen. Ich finde es okay, wenn Männer sich pflegen – auch wenn ich ein Übermaß an Augenbrauenzupferei bei heterosexuellen Männern nach wie vor merkwürdig finde.  

Ist es für Männer heutzutage schwieriger, ihre persönliche Definition von Männlichkeit zu finden – eben weil der Begriff im Zuge der geschlechtlichen Gleichberechtigung stark aufgeweicht wurde?
Wenn man so ein Schlagwort zur Debatte stellt, verfängt man sich unweigerlich in Klischees. Gleichzeitig ist aber jedes Klischee schon mal gebrochen worden. Und dieser Umstand macht die Auseinandersetzung damit so spannend, weil man zwar keine ultimative Antwort auf die Fragestellung bekommt, auf dem Weg dorthin aber wahnsinnig viel lernt.  

Du hast einen 13-jährigen Sohn. Was tust du, damit er später ein guter Mann wird?
Ich versuche einfach zu merken, in welcher Entwicklungsphase er gerade steckt und viel mit ihm zu reden. Das läuft viel übers Gefühl und über gegenseitiges Vertrauen.  

Er ist jetzt ungefähr in dem Alter, in dem du damals angefangen hast zu rebellieren. Tritt er da in deine Fußstapfen?
Nein, glücklicherweise nicht. Der ist viel entspannter als ich. Offensichtlich habe ich da in Sachen Erziehung gute Arbeit geleistet. Und seine Mutter natürlich auch.  

„Männlich“ von Samy Deluxe erscheint am 21. März über Universal.

Text: daniel-schieferdecker - Foto: dpa

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