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„Good People“
jetzt.de: Oliver, was ist ein „Meme“?
Ein „Meme“ ist ein kulturelles Gen, wenn man so will. Das kann eine Idee sein, ein Konzept, die Art, wie jemand läuft, wie er spricht, wie er sich gibt. Solche Ausdrucksformen versuchen, sich zu replizieren – wie Gene. Das Gehirn ist das beste Medium. Sie versuchen, Zeitungen, das Fernsehen, die Medien zu „infizieren“, um am Ende in den Köpfen der Menschen zu landen. Wir interessieren uns für diejenigen Meme, welche zugunsten der Menschen arbeiten, für eine gerechtere Gesellschaft.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
jetzt.de: Das Memefest trägt den Untertitel „International Festival of Radical Communication“. Was darf man sich darunter vorstellen?
Wir verstehen den Begriff „Festival“ als Bildungs- und Kommunikations-Tool, als ein Medium, mit dem auch geforscht wird. Etablierte Werbe- und Designfestivals funktionieren alle ähnlich; sie zeichnen bestimmte Arbeiten aus, das heißt für alle dann: Das ist gut, der Preisträger muss gut sein. Wenn man das analysiert, merkt man, dass dort auf einer oberflächlichen Ebene entschieden wird. Die Entscheidungen geschehen frei von Kontext – frei vom sozialen, kulturellen, politischen Hintergrund der Werke. Unser Ansatz ist in hohem Maße kontextorientiert. Wir haben drei Kriterien, nach denen wir entscheiden, was gute Kommunikation ist: Sie muss hervorragend sein in ihrer Umsetzung, aus einer technischen und ästhetischen Sicht. Sie muss soziale Verantwortung übernehmen. Und sie muss der Person, die die Arbeit produziert hat, etwas bedeuten. Das ist paradox: Die meisten Menschen, die in der Kommunikationsbranche arbeiten, sind äußerst unzufrieden. Sie fühlen: Was ich mache, ist nicht ok. Ihnen wird erzählt: Das ist gut, was du machst. Aber das ist es nicht. Sie verkaufen nur bestimmte Marken.
jetzt.de: Das Memefest ist ein „semi-virtuelles“ Festival. Inwiefern?
Unser Festival verbindet das Internet mit physischen Aspekten: Ich befinde mich gerade in einer ehemaligen Fabrik in Nijmegen, die mittlerweile ein alternatives Kulturzentrum ist. Ende Mai und Anfang Juni wird hier der physische Teil des Memefests stattfinden: Hier wird es Ausstellungen, Lesungen und Workshops geben, an denen 20 ausgewählte Teilnehmer unserer „friendly competetion“ teilnehmen dürfen. Der andere sehr wichtige Teil, die Community, befindet sich im Internet. Wir wussten von Anfang an, dass wir das Internet nutzen müssen, weil wir in allen anderen Medien sofort zensiert worden wären.
jetzt.de: Wie kommuniziert man radikal?
Man kommuniziert radikal, indem man nicht der Marketing-Logik des Kommunizierens folgt. Die mediale Öffentlichkeit wird dominiert von großen Werbe- und PR-Firmen, die aus der Öffentlichkeit einen privaten Raum des neoliberalen Kapitalismus machen: Die Menschen werden zu Konsumenten. Das schafft Hierarchien – die Medienproduzenten haben die Macht und der Rest der Leute wird ziemlich manipuliert. Wir glauben, dass diese Art zu kommunizieren schädlich ist. Wir suchen nach anderen Formen der Kommunikation, nach Dialog. Hierfür bestehen nicht die gesellschaftlichen Bedingungen. In der Werbung geht die Botschaft bloß in eine Richtung, der Dialog ist nicht da. Unser Ansatz ist radikal, in dem Sinne, dass er konfliktbasiert ist. Ein Konflikt der Zeichen. Durch diesen Konflikt kann ein Dialog erst beginnen.
jetzt.de: Ist Wikileaks ein Beispiel für radikale Kommunikation?
Auf jeden Fall. Wikileaks hat neuen Raum geschaffen für eine große, konfliktreiche Debatte.
Auf der nächsten Seite erfährst du, wie sich das Memefest finanziert und was "good people" ausmacht.
jetzt.de: Das Memefest-Thema in diesem Jahr heißt „LOVE:CONFLICT:IMAGINATION“. Was bedeutet das und wieso ist das gerade 2011 interessant?
Das ist kein Hippie- oder New Age-Ansatz. Wir glauben einfach, dass Liebe persönliche und auch soziale Macht hat. Es gibt keine Liebe ohne Konflikt, einen produktiven Konflikt. Wie schon gesagt, Konflikte schaffen Dialog. Nach dem Dialog, nach der Reflektion müssen die Menschen ihre Fantasie bemühen und etwas Neues schaffen: Wie kann ich mir eine andere Welt, Gesellschaft, Wirtschaft – andere Formen von Kommunikation vorstellen?
jetzt.de: Wer kann mitmachen?
Jeder kann mitmachen. Es gibt keine Altersbeschränkung und keine Teilnahmegebühr.
jetzt.de: Eine Jury kürt die Arbeiten. Wird hier nicht ein neues Establishment geschaffen?
Uns geht es um eine „friendly competition“. Gewinner und Verlierer, der normale Wettbewerb, der die besten Ergebnisse bringt – wir glauben, dass das ein Mythos ist. Zusammenarbeit bringt bessere Ergebnisse als Wettbewerb. Bei uns gibt es nicht nur einen Gewinner. Klar, es werden einige Arbeiten herausgenommen, die die Kuratoren auswählen. Der Unterschied ist, dass bei uns jede ausgewählte Arbeit von einem Kurator kommentiert wird. Dieser Kommentar wird auf Memefest dann öffentlich gemacht. In einigen Fällen kann es dann zu zehn bis 20 Kommentaren der Nutzer kommen, die beschreiben, wieso sie mit der Wahl und dem Kommentar des Kurators nicht einverstanden sind. So entsteht wieder Dialog.
jetzt.de: Ihr sagt „We do not depend on anyone but on our selves.“ Wie finanziert sich das Memefest?
Memefest war jahrelang ein No Budget-Projekt. Wir müssen natürlich für die Internetseite und die Programmierung zahlen. Was wir aber bislang zeigen konnten, ist, dass man etwas Internationales auf die Beine stellen kann, ohne viel Geld zu besitzen. Mittlerweile werden wir vom slowenischen Kulturministerium, von verschiedenen Stiftungen und lokalen Geldgebern unterstützt. Vielleicht bauen wir eine Möglichkeit ein, zu spenden. Dann aber transparent - "das Geld haben wir bekommen und wir haben es hier und da reingesteckt". Ich muss aber sagen: Mir gefällt die Arbeit mit Memefest am meisten, wenn es nicht um Geldfragen geht.
jetzt.de: Ihr nennt euch „good people“. Was zeichnet „good people“ denn aus?
Viele Dinge. Uns geht es ja vor allem um den Dialog. Grundlage dafür ist die Bereitschaft, sich auch mal um andere Menschen zu kümmern: Empathie und Solidarität. Ich glaube, dass Menschen, die das haben, „good people“ sind.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Dr. Oliver Vodeb
Text: jurek-skrobala - Bilder: memefest.org